Zurück zur Übersicht
07:19 Uhr - 02.10.2014

Thailands heikle Suche nach der Moderne

Nach dem zweiten Militärputsch innerhalb von sieben Jahren versuchen die neuen Machthaber einmal mehr einen Neuanfang.

Thailand ist dank seiner exportorientierten Automobilelektronikindustrie, dem global wettbewerbsfähigen Agrarsektor wie auch dem lange blühenden Fremdenverkehr eines der am weitesten fortgeschrittenen Schwellenländer. Angesichts der zentralen Lage und der günstigen demografischen Verhältnisse überrascht es nicht, dass es die zweitgrösste südostasiatische Volkswirtschaft auf eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Region bringt. Doch nach gleich vier aufeinanderfolgenden Krisen ist die Stimmung im Land gedrückt.

2004 überrollte ein Tsunami die Strände des Indischen Ozeans, was allein in Thailand 8000 Menschenleben kostete. Zwei Jahre später gipfelte ein immer schärfer ausgetragener innenpolitischer Streit in einem Militärputsch. 2008 wurde das stark exportabhängige Land mit aller Wucht von der globalen Finanzkrise erfasst. Drei Jahre später schliesslich wurde Thailand von grossen Überschwemmungen heimgesucht, die bedeutende Teile der Industrieproduktion gelähmt haben.

Talsohle ist durchschritten

Es überrascht denn auch nicht, dass das  Wirtschaftswachstum in drei Jahren um die Hälfte auf noch 2,7% im Jahr 2013 gesunken ist. Im ersten Semester 2014 ist es ganz zum Stillstand gekommen. Grund dafür waren die erneut verschärften innenpolitischen Spannungen. Der Privatkonsum, die Sachinvestitionen, das Kreditwachstum wie auch die ausländischen Portfolioinvestitionen brachen ein.

zoomIn der zweiten Jahreshälfte hat nun  eine Erholung eingesetzt. Die Talsohle scheint durchschritten zu sein. Die Zentralbank prognostiziert für 2014 ein Wachstum von gegen 1,5%.  «Dass sich die Lage trotz der aussergewöhnlichen Situation so schnell stabilisiert, zeugt von der grossen Widerstandskraft der thailändischen Wirtschaft», sagt Poramatee Vimolsiri, stellvertretender Generalsekretär des nationalen Rates für wirtschaftliche und soziale Entwicklung.

Während einer von der Investitionsbehörde BOI organisierten Pressereise ist im Zentrum der Hauptstadt Bangkok von Krisenstimmung denn auch nichts zu spüren. Die Restaurants sind gut besucht, in den gigantischen Warenhäusern werden die neuesten Markenartikel angeboten, und die vorwiegend neuen Autos und Motorräder verstopfen zu den Hauptverkehrszeiten die breiten Strassen. Das Bild der scheinbaren Normalität folgt monatelangen wüsten Strassenprotesten gegen die Regierung von Premierministerin Yingluck Shinawatra.

Wieder sicherer

Die Demonstranten sind verschwunden. Die Schwester des vor acht Jahren gestürzten Premierministers Thaksin Shinawatra wurde am 22. Mai dieses Jahres ihrerseits von der Armee aus dem Amt geputscht. In den Monaten vor der Machtübernahme des sogenannten nationalen Rates für Frieden und Ordnung war die Regierungstätigkeit praktisch gelähmt, womit auch fast alle staatlichen Neuinvestitionen blockiert waren.

zoomUnternehmer reagierten mit einem kollektiven Seufzer der Erleichterung auf den Staatsstreich. Das Investitionsklima sei nach einer langen Phase der Ungewissheit wieder sicherer geworden, hält auch Jörg Buck fest, Geschäftsführer der Deutsch-Thailändischen Handelskammer. Diese Einschätzung teilt auch die Börse Bangkok, die seit dem Staatsstreich rund 15% zugelegt hat. Dennoch kann das Bild der Normalität die Nervosität der neuen Machthaber nicht überdecken. Das beweist die Tatsache, dass über weite Teile des Landes der Ausnahmezustand verhängt bleibt.

Die Versammlungs- und die Pressefreiheit sind damit eingeschränkt. Die Opposition ist vorerst ruhiggestellt worden. Doch es ist sehr unsicher, ob sie sich bei nächster Gelegenheit nicht wieder lauthals zu Wort meldet. Sollten unter dem alten System morgen Wahlen abgehalten werden, so würde mit grosser Wahrscheinlichkeit erneut die Opposition gewinnen.

Wachstumslokomotive

Es ist damit wie nach dem Coup vor acht Jahren offen, ob das Land für die Intervention der Armee langfristig nicht einen hohen Preis zahlen wird. Putschführer Prayuth Chan-Ocha, der mit der Übernahme des Premierministeramtes seine Generalsuniform gegen Zivilkleider getauscht hat, schliesst baldige Neuwahlen aus. Doch gerade weil ihm die demokratische Legitimation fehlt, muss er dafür sorgen, dass Thailands angeschlagene Wirtschaft rasch wieder an Dynamik gewinnt.

Ein positives Zeichen ist etwa, dass im August die von den neun Banken erteilten Kredite 1,6% höher lagen als im Vorjahreszeitraum. Das japanische Finanzhaus Nomura geht für die nächsten Monate von einer weiter beschleunigten Kreditexpansion aus. Allerdings sind dem fremdfinanzierten Wirtschaftswachstum angesichts der hohen Verschuldung des Privatsektors enge Grenzen gesetzt.

Daher soll jetzt der Staat mit der Lancierung von neuen Infrastrukturprojekten zur Wachstumslokomotive werden. So soll etwa das Schienennetz für 23 Mrd. $ modernisiert und erweitert werden. In den kommenden acht Jahren sollen Infrastrukturprojekte im Wert von total 75 Mrd. $ realisiert werden. Doch ohne die Beteiligung von privaten Investoren wird das nicht machbar sein. Umso nötiger sind für die Rückkehr eines schnelleren Wachstums ausländische Direktinvestitionen.

Steuererleichterungen

Wie dringend das ist, zeigt sich auch daran, dass Premierminister Prayuth selbst an die Spitze der Investitionsbehörde BOI getreten ist. Doch das Land steht im Wettbewerb mit Staaten wie Vietnam oder Indien, die weit weniger entwickelt sind und wo damit auch die Lohnkosten wesentlich niedriger sind. Thailand fördert mit Steuererleichterungen und Zollfreizonen vermehrt kapitalintensive Industrien, um so in der Wertschöpfungskette ein höheres Niveau zu erreichen. Doch auch andere Länder unternehmen ähnliche Anstrengungen.

Zudem klagen ausländische Unternehmer über die mangelnde Qualifizierung von Schul- und Universitätsabgängern und damit deren aufwendige Einarbeitung. Um in einer globalen Welt auch künftig wettbewerbsfähig zu sein, muss Thailand vorab sein Schulsystem verbessern. Nach dem Putsch wurde der Reform des Bildungssystems denn auch hohe Priorität eingeräumt. In einem ersten Akt wurden in den neuen Schulbüchern alle Verweise auf den 2006 gestürzten Premier Thaksin entfernt. Ob die Gesellschaft mit solch hilflos anmutenden Schritten wirklich modernisiert werden kann, ist fraglich. Das Thailand des 21. Jahrhunderts benötigt keine Zensur, sondern vielmehr offene Debatten und baldige freie Wahlen.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.