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11:30 Uhr - 30.06.2015

S&P: «Nach dem Referendum werden wir nicht weiter sein»

Moritz Kraemer, Chefanalyst bei S&P, hält eine baldige Rückkehr der Eurogruppe und Griechenlands an den Verhandlungstisch für unwahrscheinlich, solange in Athen diese Regierung am Ruder ist.

Für Moritz Kraemer, Chefanalyst bei Standard & Poor’s (S&P), hat das jähe Ende der Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen Geldgebern vor allem eines gebracht: ein tiefes Zerwürfnis und eine weitere Zerrüttung des Vertrauens. Dazu habe nicht nur die Ankündigung des Referendums am 5. Juli bei laufenden Verhandlungen beigetragen, sondern vor allem die Empfehlung der Regierung an ihre Bürger, dann die Bedingungen der Gläubiger abzulehnen. Die Durchführung des Referendums selbst sei mit Unsicherheiten behaftet. S&P hat das Rating für Griechenland am Montag gesenkt, die Wahrscheinlichkeit des Austritts aus der Eurozone liege nun bei 50%. S&P geht nun nicht nur von einem Ausfall gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) aus, sondern auch gegenüber kommerziellen Gläubigern. Ende Juni hätte Griechenland dem IWF 1,6 Mrd. € überweisen müssen. Im Juli und August werden mehrere Milliarden zur Rückzahlung an die Europäische Zentralbank (EZB) fällig.

Dass die EZB die Notliquiditätsmassnahmen ELA (Emergency Liquidity Assistance) zwar auf dem jetzigen Niveau von rund 90 Mrd. € aufrechterhalte, aber nicht mehr wie in den Wochen vor dem Verhandlungsabbruch aufstocke, sei verständlich. Die bereits eingeführten Kapitalverkehrskontrollen würden in einer Woche wohl verlängert werden müssen, mit gravierenden Folgen für die griechische Wirtschaft und Gesellschaft.

Herr Kraemer, wie stehen die Chancen, dass sich Griechenland doch noch mit den Gläubigern einigen kann? Schliesst das Referendum am 5. Juli eine Einigung bis dann aus?
Zumindest diese Woche dürften keine Verhandlungen mehr stattfinden. Ich glaube kaum, dass die griechische Regierung an den Verhandlungstisch zurückkehren wird, weil das natürlich als Einknicken interpretiert würde. Und wenn wir uns die Pressekonferenz der Eurogruppe vom Samstag vor Augen halten, inklusive der Körpersprache ihres Präsidenten Jeroen Dijsselbloem, dann besteht meiner Meinung nach auch von Geldgeberseite nur noch wenig Wille, mit dieser griechischen Regierung weiter zu verhandeln. Schon die Ankündigung des Referendums am 5. Juli durch Premier Tsipras in Athen, während die Verhandlungen in Brüssel noch liefen, wurde als Vertrauensbruch aufgenommen. Dass Tsipras gleich noch die Nein-Parole hinterherschob, muss als Affront empfunden worden sein.

Was bräuchte es für Neuverhandlungen?
Eine neue Strategie auf griechischer Seite oder neues Personal auf griechischer Seite.

Welche Lösung sehen Sie noch, oder ist die Lage ausweglos?
Alles hängt davon ab, wie das Referendum ausfällt. Und schon seine Durchführung gestaltet sich schwierig in dieser kurzen Zeit, nicht zuletzt aufgrund geografischer Gegebenheiten, also etwa wegen der vielen Inseln und der Auslandgriechen. Teilweise wird überhaupt seine Legalität angezweifelt. Sollte das Resultat knapp ausfallen, besteht auch die Gefahr, dass das Ergebnis angefochten werden könnte.

Seien wir optimistisch, was geschieht im Fall eines Ja?
Selbst wenn wir ein positives Ergebnis unterstellen, dass also die Bevölkerung das Angebot der Geldgeber annimmt, dann ist kaum davon auszugehen, dass die aktuelle Regierung ein solches Mandat annehmen oder in gutem Glauben mit den Geldgebern darüber verhandeln könnte, wenn Tsipras erklärtermassen strikt dagegen ist. Ich halte es daher für wahrscheinlicher, dass es zu so etwas wie einer Koalition der nationalen Einheit käme oder aber zu Neuwahlen. Und das alles kostet Zeit. Die Folge ist, dass Griechenland wirtschaftlich und gesellschaftlich noch mehr in Schieflage kommen wird. 60 €/Tag dürfen noch abgehoben werden, das ist nicht viel für eine Familie. Der soziale Grundkonsens in der Bevölkerung wird weiter leiden.

Was geschieht Ende Monat in Bezug auf die IWF-Zahlungen und das Rettungsprogramm?
Die IWF-Zahlungen dürften ausfallen, aber es fragt sich auch, wie lange noch Renten und Saläre bezahlt werden können.

Die Eurogruppe schien überrumpelt. Hat sie die Wahrscheinlichkeit unterschätzt, dass Griechenland so weit geht?
Die griechische Regierung ist mit einem Doppelmandat gewählt worden, das an sich inkompatibel ist: Beendigung der Austerität und Verbleib im Euro. Im Ausland ging man mehrheitlich davon aus, dass der Verbleib im Euro letztlich mehr zählt für Griechenland. Die Eurogruppe hat unterschätzt, dass das erste Teilmandat für Tsipras offenbar schwerer wiegt, ebenso der innerparteiliche Zusammenhalt bei Syriza.

Wird ein Schuldenschnitt nun doch noch kommen müssen, oder lassen es die Euroländer darauf ankommen, wie viel ihnen Griechenland noch zahlt?
Die Gläubiger wären zu einem Schuldenschnitt bereit gewesen und hatten dies auch angedeutet. Gezeigt haben sie das zudem 2012, als auch öffentliche Schulden restrukturiert und in der Laufzeit gestreckt wurden, sodass die Zinslast erträglicher wurde. Griechenland hat heute mit rund fünfzehn Jahren die weltweit höchste Maturität der Schulden, der Eurodurchschnitt liegt bei 6,5. Es ist daher gar nicht so unumstritten, ob die Schulden Griechenlands ohne Haircut nicht nachhaltig sind.

Man las aber vor allem davon, dass er nicht in Frage kommt – von Schäuble über Merkel bis zum IWF.
Nicht prinzipiell, denn man hatte ihn ja 2012 schon angewendet. Das hatte eher taktische Gründe. Die Gläubiger gehen davon aus, dass es für das Wachstum, das für die Nachhaltigkeit der Schulden nötig ist, Reformen braucht. Hätte Griechenland diese akzeptiert, wäre man wohl bereit gewesen, über einen Schuldenschnitt zu sprechen. Griechenland forderte dies dagegen von Anfang an. Die Sorge ist, dass diese Reformen bei einer frühzeitigen Zustimmung unterbleiben würden. Beim bisherigen Verhalten dieser Regierung ist diese Sorge verständlich.

Die Taktik ist also auf beiden Seiten gründlich schiefgelaufen: Man hat geglaubt, über einen Schuldenschnitt am Ende der Verhandlungen sprechen zu können, stattdessen kam nun zuerst das Ende der Verhandlungen, weil Athen die andere Reihenfolge erzwingen wollte. Es ist der klassische Unfall passiert, den viele ausgeschlossen hatten. Denn dieses Resultat wollte niemand.
Die Eurogruppe wollte dieses Resultat bestimmt nicht. Die Ziele der Regierungspartei Syriza sind schon weniger einfach zu lesen. Es wird teilweise sogar insinuiert, sie habe letztlich ein Scheitern der Verhandlungen gar angestrebt. Das glaube ich nicht. Auch Griechenland hat das Entgegenkommen der Gegenseite überschätzt. Sie hat nicht damit gerechnet, dass die Geldgeber ihre Prinzipien und die Regelgebundenheit höher einstufen würden als das Risiko des Grexit.

Wie im klassischen Gefangenendilemma: Wir befinden uns nach den Verhandlungen in der schlechtesten aller Welten für beide. Was passiert mit dem Rating von Griechenland?
Wir haben am Montag das Rating auf CCC– gesenkt, tiefer ist derzeit nur noch die Ukraine. Das Rating impliziert, dass die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls erheblich ist. Der Ausblick ist zudem nach wie vor negativ.

Was bedeutete das für das Rating des IWF und das anderer vorrangiger Gläubiger, sogenannter Preferred Creditors, wenn Griechenland seine Schulden offenbar vor denen privater Gläubiger ausfallen lässt?
Wie das CCC ausdrückt, gehen wir davon aus, dass Griechenland auch private kommerzielle Gläubiger nicht bedienen wird, weshalb sich relativ keine Verschiebung in dieser Vorrangigkeit gibt. Es geht ja beim Status des bevorzugten Gläubigers nicht darum, dass überhaupt keine öffentlichen Schulden ausfallen. Das Problem würde erst dann auftauchen, wenn manifest würde, dass die kommerziellen Gläubiger bedient werden, die offiziellen dagegen nicht. Das ist derzeit nicht unsere Grundannahme, sondern dass es einen Ausfall durch die Bank geben wird.

Wie beurteilen Sie die Entscheidung der EZB, die ELA weiterzuführen, aber nicht mehr aufzustocken, trotz Kapitalabfluss? Müsste die EZB nicht entscheiden, ob die Banken solvent sind oder nicht, und dann ELA inklusive Erhöhungen sprechen oder gar nicht mehr?
Ich glaube, das macht faktisch keinen Unterschied mehr. Man ist bei den ELA-Krediten ohnehin am Limit. Mit rund 90 Mrd. €, also etwa der Hälfte des BIP, wäre die Beendigung der ELA ohnehin illusorisch, da Griechenland sie ganz nicht zurückzahlen könnte. Das Geld ist einfach nicht da, da kann man es zurückfordern, solange man will. Ohne Kapitalverkehrskontrollen wären in diesen Tagen weitere Milliarden abgeflossen, die durch ELA hätten kompensiert werden müssen.

Was geschieht als Nächstes? Reichen die ergriffenen Massnahmen?
Ich denke, dass wir nächsten Montag wieder so weit sein werden wie jetzt, ausser, dass wir den Ausgang des Referendums kennen. Es ist zu bezweifeln, dass ein Ja die Bevölkerung genügend beruhigen wird, damit sie nicht weiter Geld abzieht.

Wird man die Kapitalverkehrskontrollen verlängern müssen?
Das ist sehr wahrscheinlich. Es ist übrigens recht typisch bzw. üblich, dass man sie erst mal für eine Woche einführt und dann verlängert, wenn die Büchse der Pandora einmal geöffnet wurde.

Wie stehen die Chancen eines Grexit?
Das Risiko eines Grexit ist in den letzten 72 Stunden gestiegen. Zusammen mit der Senkung des Ratings haben wir die Grexit-Wahrscheinlichkeit auf 50% angehoben. Aus unserer Sicht wäre der Euroaustritt noch immer die schlechteste Wahl für Griechenland.

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