Zurück zur Übersicht
12:57 Uhr - 24.06.2016

«Für das Pfund ist der Brexit desaströs»

Christoph Schenk, CIO der Zürcher Kantonalbank, sieht Chancen an den amerikanischen Aktienmärkten. Die SNB könnte die Negativzinsen noch einmal verschärfen.

Christoph Schenk Bild: ZVG Herr Schenk, wie geht es nach dem Brexit an den Aktienmärkten weiter? Ist das eine Kaufgelegenheit?
Unser Motto lautet: No exit after Brexit. An einem Tag wie heute, in Panik, darf man nicht verkaufen. Wir schichten aber punktuell um. Konkret bedeutet das, wir kaufen keine europäischen oder britischen Aktien nach, wir verkaufen sie aber auch nicht. Wir investieren jetzt in den US-Markt. Eine baldige Zinserhöhung der US-Notenbank dürfte nach dem Brexit vom Tisch sein. Der Dollar wird als Fluchtwährung stark bleiben. Die amerikanische Wirtschaft entwickelt sich zudem robust. Daher favorisieren wir Investitionen in amerikanische Aktien und Obligationen.

Sie haben die Devisenmärkte angesprochen. Was passiert mit dem Pfund?
Für das Pfund ist der Brexit desaströs. Das Problem liegt nicht nur im Verhältnis von Grossbritannien zur EU. Das Hauptproblem liegt innerhalb des Landes, wo starke Zentrifugalkräfte entstehen können. Die Schotten werden sich überlegen, ob sie noch einmal ein Referendum ergreifen wollen. Auch Nordirland denkt bereits über ein Referendum nach, um sich mit Restirland zu vereinigen. Die Bank of England wird möglichst viel Geld bereitstellen, um das Pfund zu stützen, aber die innenpolitischen Unsicherheiten sind so enorm, dass die Währung unter Druck bleiben wird und sich nicht so bald erholt.

Und der Franken?
Die Bank of Japan wird Geld zur Verfügung stellen, aber auch die Europäische Zentralbank steht bereit. Die Zinsen in Europa dürften weiter sinken und die Zinsdifferenz sich zuungunsten der Schweiz entwickeln. Das setzt den Franken unter Druck. Die SNB (SNBN 1110 1.56%) wird am Devisenmarkt intervenieren, das wird sich aber nicht in einer massiven Abschwächung des Euros gegenüber dem Franken zeigen, sondern in noch negativeren Renditen. Wenn die Interventionen am Devisenmarkt nicht nützen, müssen wir mit einer weiteren Ausweitung der Negativzinsen rechnen. Die Ausgangslage für die Schweiz ist also nicht besonders gut, denn der Franken kommt noch stärker unter Druck. Wir gehen aber nicht aus dem Schweizer Aktienmarkt raus. Zuerst müssen wir abwarten, wie die Finanzmärkte auf die Geldspritzen der Notenbanken reagieren.

Was bedeutet der Brexit für den Finanzplatz London?
Das ist im Moment schwierig zu sagen, weil es stark von den Verhandlungen mit der EU abhängt. Im schlimmsten Fall verliert Grossbritannien aber den EU-Passport zum Vertrieb von Finanzprodukten in Europa. Damit würde der Finanzplatz London für ausländische Banken an Attraktivität verlieren. Die London Stock Exchange ist unter anderem deshalb so stark, weil viele Kunden dort sind. Gehen sie, leidet auch der Börsenplatz. Derzeit müssen wir davon ausgehen, dass der Brexit dem Finanzplatz London schaden wird.

Welche Börsenplätze könnten davon profitieren?
Die Schweiz hätte unmittelbar wohl keinen Vorteil, weil der EU-Passport ein wichtiger Faktor ist. Aber jeder EU-Börsenplatz könnte davon profitieren. So ist etwa eine Abwanderung von London nach Frankfurt denkbar.

Drohen weitere Bruchstellen in Europa?
Das ist eine Gefahr. Auch sie hängt stark von den Verhandlungen zwischen Grossbritannien und der EU ab. Wenn die EU zu nachgiebig ist, könnte das weitere Länder zum Austritt animieren. Durch den Brexit haben die antieuropäischen Kräfte Auftrieb erhalten.

Könnte der Brexit dennoch eine Chance sein für Europa?
Es gibt zwei Richtungen. Die einen hoffen nun auf den Untergang der EU. Es könnte aber auch sein, dass Europa näher zusammenrückt. Das ist das Ziel der Deutschen und der Franzosen. Sie wollen die Integration vorantreiben. Das Problem ist, dass die liberalen Kräfte in der EU von Grossbritannien repräsentiert wurden. Wenn die Briten gehen, wird Europa noch zentralistischer. Ein Szenario ist daher, dass Europa zwar näher zusammenrückt, aber nicht liberaler wird.

Welche weiteren Unsicherheiten kommen in den nächsten Monaten auf die Finanzmärkte zu?
Die europäische Wirtschaft erholt sich. In den USA läuft die Konjunktur gut. Das grösste Risiko ist, dass die Stimmung dreht und die Stabilisierung der Konjunktur dadurch ins Wanken gerät. Ein Auslöser könnten erneute Turbulenzen in China sein, wie wir es Anfang Jahr erlebt haben. Aber auch ein Aufflammen der Krise in Griechenland könnte das Vertrauen erschüttern.

Was ist mit den US-Wahlen?
Auch sie sind ein Risiko. Die Wahlen stehen aber noch nicht so sehr im Vordergrund. Der Prozess geht jetzt erst richtig los. Aus der Dynamik des Wahlkampfs und abhängig davon, wer die Führung übernimmt, kann der Druck auf die Finanzmärkte jedoch steigen. In dem Fall würden wir auch unsere Dollarpositionierung überdenken und anpassen. Das Thema dürfte aber erst nach den Sommerferien akut werden.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.