US-Konzerne sind auf der Suche nach Elefantenhochzeiten. Die Wahl fällt auf europäische Partner. Die Schweiz wird übergangen.
Das Schlagwort in der M&A-Branche lautet derzeit «Inversion». Gemeint sind Übernahmen und Fusionen mit dem Ziel, den Firmenhauptsitz in ein anderes Land zu verlegen. Die zentrale Wertsteigerungslogik solcher Transaktionen ist: Steueroptimierung.
Das Phänomen betrifft in erster Linie international aktive US-Konzerne. Besonders die Pharmabranche zieht es nach Europa, vorab nach Irland und Grossbritannien. In den USA soll dieses Steuerschlupfloch nun geschlossen werden (vgl. Box unten). «Plötzlich verspüren viele US-Unternehmen den Drang, noch schnell eine Lösung zu finden», erklärt ein Banker die Häufung steuergetriebener Wegzüge via strukturumkehrende Übernahmen.
Auch zur Steueroptimierung
«Die grosse potenzielle Steuerlast auf ausländischen Geldern von US-Konzernen ist ein starker Treiber für M&A», sagt Rudolf Tschäni, Leiter Corporate und M&A Team bei Lenz & Staehelin. Sie müssen diese Gelder, sogenanntes Trapped Cash, im Ausland arbeiten lassen, denn bei Repatriierung würden hohe Steuern fällig. «Viele amerikanische Konzerne wollen raus aus den USA», weiss der Wirtschaftsanwalt. «Sie stellen sich die Frage nach dem passenden Deal.»
Beispielsweise der US-Apothekenriese Walgreens denkt derzeit laut darüber nach, die volle Kontrolle über die in der Schweiz beheimatete Pharmaziekette Alliance Boots zu übernehmen und in diesem Zug den Hauptsitz aus den USA in die Schweiz zu verlegen. Ähnliche Überlegungen trieben dem Vernehmen nach den US-Agrochemiekonzern Monsanto (MON 116.01 -0.22%), die Fühler in Richtung Syngenta (SYNN 328.9 1.64%) auszustrecken. 40 Mrd. $ sollen die Amerikaner für eine Fusion in Aussicht gestellt haben. Der Deal scheiterte angeblich an wettbewerbsrechtlichen Bedenken und Zweifeln an der industriellen Logik der Grossfusion. «Nur aus steuerlichen Gründen gibt es keine Transaktionen», sagt Daniel Daeniker, Managing Partner bei Homburger.Doch auch beim Zusammengehen der Zementschwergewichte Holcim (HOLN 77.35 -0.13%) und Lafarge (LG 61.91 1.24%), in dessen Verlauf der französische Hauptsitz in die Schweiz verlegt werden soll, spielen steuerliche Aspekte ein grössere Rolle, als öffentlich propagiert wird, ist zu hören. «Steueroptimierte Strukturen sind heute wichtiger als früher», berichtet der Wirtschaftsanwalt Daeniker aus langjähriger Erfahrung.
Schweiz punktet nicht
Die Schweizer Standortqualität hat in jüngster Zeit jedoch gelitten. Obwohl die hiesige Unternehmenslandschaft besonders auch für amerikanische Firmen attraktive Partner bietet, unterschreiben gegenwärtig vor allem die Iren und die Briten die Deals. «Auf der Suche nach einem neuen, attraktiven Standort für ihr Hauptquartier zieht die Schweiz seit Annahme der Minder-Initiative im Vergleich zu Holland, Luxemburg, Irland – und neuerdings auch Grossbritannien – oft den Kürzeren», bedauert Tschäni.Beobachter berichten, sie hätten jüngst eine ganze Reihe potenzieller Schweizer Deals kollabieren sehen. Einzelne hoffen, mit der vielerorts erfolgten Umsetzung der neuen gesetzlichen Vorgaben würde deren abschreckende Wirkung allmählich nachlassen.
Die Voraussetzungen für M&A stehen gut. Doch kennzeichnend für die laufende Übernahmewelle sind vor allem einzelne, auffällige Megadeals. Nur die Transaktionsvolumen steigen deutlich, die Anzahl Deals aber ist global auf dem tiefsten Stand seit der Finanzkrise. Es besteht Aufholbedarf. Die üblicherweise äusserst prozyklische M&A-Aktivität hält noch immer nicht Schritt mit den boomenden Börsen.
Marco Illy, Leiter Credit Suisse (CSGN 26.04 1.05%) Investment Banking Schweiz, ist optimistisch: «Die CEO haben wieder viel mehr Zuversicht bezüglich der Wirtschaftsentwicklung, besonders auch derjenigen in Europa.» Auch die Investoren wollen, dass die Unternehmen wieder auf Wachstum umschalten. «In den letzten Jahren dominierten abwechselnd Rückführung von Geld an die Aktionäre und Bilanzsanierungen», sagt Marco Superina, Leiter M&A Schweiz Credit Suisse. Der Fokus lag auf Senkung der Kostenbasis. Als «Nabelschau» beschreibt diese Zeit ein anderer Beobachter. Jetzt wollten die Aktionäre Investitionen in Wachstum sehen. «Agieren, nicht reagieren», laute die Devise, sagt Superina. «In diesem Jahr stellen wir fest, dass Unternehmen, die Akquisitionen bekanntgegeben haben, mit steigenden Kursen belohnt werden.»
Die Migrationswelle ist selbst verschuldet. Offiziell beträgt die Steuerrate für Unternehmen in den USA 35% und gehört international zu den höchsten. Die meisten Konzerne haben ihre Struktur zwar so optimiert, dass sie wesentlich weniger zahlen. Problematisch wird es aber, wenn sie Gewinne aus dem Ausland zurückbringen wollen, um sie in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen auszuschütten oder für Investitionen zu nutzen. «Unsere Barmittel in die USA zurückzuführen hätte steuertechnisch signifikante Konsequenzen», sagte dazu etwa Apples neuer Finanzchef Luca Maestri. «Wir denken, dass das nicht im besten Interesse unserer Aktionäre ist», meinte er.
Zu einer ersten Massenabwanderung kam es bereits zur Jahrtausendwende, wobei damals Destinationen wie die Cayman Islands oder die Bermudas bevorzugt wurden. 2004 griff Washington dann ein und änderte das Steuergesetz. Als Ausweg blieben Übernahmen im Ausland. So erlauben Fusionen, bei denen mindestens 20% des Aktienkapitals einer US-Gesellschaft an ausländische Investoren transferiert werden, dem neuen Unternehmen, sich fast überall niederzulassen.
Dagegen will die US-Regierung vorgehen. Sie hat im Budget einen Zusatz eingeschoben, der solche Transaktionen unterbindet. Das ist ein Warnschuss, auch wenn die Chancen minimal sind, dass der Kongress die Haushaltsrechnung billigt. Gleichzeitig hat Senator Wyden einen Vorstoss lanciert, der bei der Sitzverlagerung eines Konzerns einen Mindestanteil von 50% an ausländischen Investoren erfordert und rückwirkend per 8. Mai gelten soll. In dieselbe Richtung zielt der «Stop Corporate Inversions Act of 2014», über den derzeit debattiert wird. Wegen des politischen Patts in Washington sind rasche Massnahmen aber unwahrscheinlich. CG
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