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12:18 Uhr - 29.05.2015

«Eine zweigeteilte Wirtschaft»

Credit-Suisse-Ökonom Claude Maurer spricht im Interview mit der FuW über die schwachen Schweizer BIP-Zahlen. Eine technische Rezession sei zwar denkbar, die meisten Schweizer dürften sie aber nicht als Rezession empfinden.

Der Frankenschock hinterlässt sichtbare Spuren in der Schweizer Wirtschaft (lesen Sie hier mehr). Nach Schätzung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) ist das Bruttoinlandprodukt im ersten Quartal 0,2% geschrumpft. Claude Maurer, Leiter des Swiss Macro Research bei der Credit Suisse (CSGN 25.1 -0.28%), erklärt, weshalb die Daten so schwach ausgefallen sind.

Claude MaurerLeiter des Swiss Macro Research bei der Credit Suisse Bild: ZVGHerr Maurer, haben die schwachen BIP-Quartalszahlen des Seco Sie überrascht?
Ja, sehr, wir haben ein Wachstum von 0,3% in ersten Quartal geschätzt.

Welche Komponenten haben zur Abweichung geführt?
Überraschend waren die Zahlen zum Aussenhandel. Der vom Seco ausgewiesene Rückgang der Warenexporte war grösser als erwartet, und gleichzeitig sind die Dienstleistungsimporte deutlich gestiegen.

Woran liegt das?
Das sind vor allem statistische Gründe: Die Aussenhandelsdaten des Seco erfassen die Waren, die den Eigentümer wechseln. Wir stützen uns auf die Daten der Zollverwaltung. Sie erfasst alles, was über die Grenze geht. So werden grenzüberschreitende Transaktionen von einem Unternehmen mit einem Tochterunternehmen unterschiedlich erfasst. Zudem ist es allgemein derzeit sehr schwierig zu beurteilen, wie gross die Preiseffekte und wie gross die Volumeneffekte sind. Man sieht einen Rückgang beim Erlös aus den Exporten, aber weiss nicht, wie viel wirklich weniger geliefert wurde und wie viel davon auf Preisnachlässe zurückgeht. Die Seco-Zahlen unterschätzen derzeit wohl tendenziell den Preisrückgang und überschätzen damit den Volumenrückgang.

Das Seco hebt aber auch die solide Binnenkonjunktur hervor. Teilen Sie diese Einschätzung?
Wir haben eine zweigeteilte Wirtschaft mit einem schwachen Aussenhandel auf der einen und einer robusten Binnennachfrage auf der anderen Seite. Die Ausrüstungsinvestitionstätigkeit war im ersten Quartal sehr rege, und der Konsum ist immer noch grundsolid. Doch der Aussenhandel leidet, auch wenn mit den verfügbaren statistischen Mitteln nicht klar zu erkennen ist, ob die Unternehmen durch Preisnachlässe Margeneinbussen hinnehmen oder ob sie wirklich weniger im Ausland absetzen.

Beides könnte früher oder später einen Stellenabbau zur Folge haben. Wie sieht die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt aus?
Noch ist der Schweizer Arbeitsmarkt robust. Im ersten Quartal wurden im Vergleich zum Vorjahresquartal 30’000 neue Stellen geschaffen, und die Arbeitslosenquote ist praktisch unverändert bei 3,3%. Aber die Industrie baut Stellen ab, die entsprechende Subkomponente des Einkaufsmanagerindex bzw. PMI ist auf einem ähnlichen Niveau wie während der Rezession 2009. Viele Unternehmen wählen aber zuerst Kurzarbeit als Massnahme. Bei der Kurzarbeit werden wir einen deutlichen Anstieg sehen und später auch einen leichten Anstieg der Arbeitslosenquote. Doch solange die binnenwirtschaftliche Sektoren wie etwa das Gesundheitswesen und der Staat noch Stellen schaffen, wird der Anstieg gering ausfallen.

Müssen wir mit einer Rezession rechnen, das heisst mit zwei Quartalen mit schrumpfender Wirtschaft in Folge?
Zwei bis drei Quartale mit negativen Wachstumsraten in Folge sind durchaus denkbar, das wäre dann definitorisch eine Rezession. Wir erwarten allerdings nicht, dass es eine spürbare Rezession geben wird mit Problemen am Arbeitsmarkt und weit verbreiteter Angst in der Bevölkerung vor dem Verlust des Arbeitsplatzes.

Wird die Schweizerische Nationalbank ihre Geldpolitik anpassen und das Negativzinsregime verschärfen müssen?
Mit der Aufhebung des Mindestkurses hat die SNB (SNBN 1182 -0.42%) das, was jetzt eingetroffen ist, sicherlich in Kauf genommen. Dass dieser neue Datenpunkt weiter gehende Massnahen der SNB auslöst, ist sehr unwahrscheinlich, zumal die statistische Unsicherheit gross ist und die Binnenkonjunktur gut läuft. Dazu müsste sich die Wirtschaftslage noch deutlicher eintrüben und der Trend ins Negative klar sichtbar sein. Es wird nun spannend sein, ob die SNB in der kommenden Lagebeurteilung am 18. Juni ihre Prognosen anpasst. Bis dahin wird die SNB «nur» wie bis anhin bei Gelegenheit am Devisenmarkt intervenieren, um den Euro-Franken-Kurs um die 1.03 Fr. pro Euro zu stabilisieren.

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