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11:30 Uhr - 01.10.2021

«Die Geldschwemme hat zu einer massiven Fehlallokation von Kapital geführt»

Nervosität an den Börsen, die Zinsen steigen. Wie geht es weiter? Teil 4 von fünf Fragen an fünf Banker: Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz.

Die Investoren müssen sich derzeit der Kernfrage stellen, ob das Fundament des seit über zwölf Jahren andauernden Superzyklus an den Finanzmärkten am Bröckeln ist. Die Befürchtungen eines «Lehman-Moments» für China und den Rest der Welt aufgrund der Misere des Immobilienkonzerns Evergrande haben sich zwar etwas gelegt. Doch Fragezeichen hinsichtlich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung im Land der Mitte bleiben bestehen.

Immer wieder erschüttert der Regierungsapparat in Peking die Märkte mit Regulierungsmassnahmen in einer Reihe von Sektoren. Die Abschwächung der Wirtschaftsdynamik ist in den Daten bereits offensichtlich.

Doch auch andernorts signalisieren die Einkaufsmanagerindizes, dass die initiale Phase der Erholung nach dem pandemiebedingten Einbruch abgeschlossen ist. Dem nicht genug: Das von den Notenbanken in Aussicht gestellte Nachlassen des Inflationsdrucks will sich einfach nicht einstellen. Dies wiederum lässt einige Experten ein Schreckensgespenst zum Leben erwecken: die Stagflation.

Schwaches Wirtschaftswachstum gepaart mit hoher Teuerung brächte die Währungshüter in eine Zwickmühle. Und selbst wenn sich die Stagnation des Wachstums nicht einstellt, haben die Notfallmassnahmen, die während der Pandemie rasch Einzug in den Massnahmenkatalog der Währungshüter genommen haben, keine Berechtigung mehr.

Die Preise steigen vielerorts auf breiter Front. Der Winter könnte in Sachen Teuerung heisser werden als ursprünglich gedacht. Der Mangel an Energieträgern lässt wiederum vielerorts Kälte und Mangelwirtschaft befürchten.

Einzelne Notenbanken haben den Leitzins bereits erhöht, andere machen sich daran, ihre Wertpapierkäufe zu reduzieren. Eine neue Phase für Wirtschaft und Finanzmärkte ist angebrochen. Wie werden Aktien und Obligationen darauf reagieren, und wie können Anleger ihr Portfolio fit machen für potenzielle neue Entwicklungen? Wo bietet der Finanzmarkt noch ansprechende Rendite für das eingegangene Risiko?

Diesen und weiteren Fragen wird im Rahmen des FuW-Forums «Opportunities 2022» nachgegangen. Der hier in einer Serie präsentierte Fragenkatalog an fünf Banker, die an der Veranstaltung konkrete Ideen auf dem Podium präsentieren werden, bietet nur einen kleinen Vorgeschmack auf die Themen des Anlasses.

Herr Geissbühler, die Börsen sind nervös und die Bewertungen hoch. Kommt der Superzyklus, der 2009 begann, bald zu einem Ende?
In den vergangenen zehn Jahren hat der SPI jährlich 11,4% zugelegt. Diese Performance liegt deutlich über dem langfristigen Durchschnitt von rund 8%. Getrieben wurde diese Entwicklung durch die expansive Geldpolitik. In punkto Geldpolitik befinden wir uns aber an einem Wendepunkt. Entsprechend gehen wir davon aus, dass die «fetten» Jahre hinter uns liegen und die künftigen Durchschnittsrenditen spürbar tiefer ausfallen werden.

Wo kann im Aktienmarkt noch Überrendite erzielt werden?
In einem Umfeld moderaterer Aktienrenditen kommt der Selektion eine entscheidende Rolle zu. Zudem wird die Dividende ein noch wesentlicherer Bestandteil der Gesamtrendite. Firmen mit Preissetzungsmacht, starker Bilanz und solider Dividende dürften den breiten Markt schlagen. Opportunitäten ergeben sich zudem in den Schwellenländern.

Finger weg von Anleihen oder gibt es bei festverzinslichen Werten noch Opportunitäten?
Anleihen sind in einem Umfeld von steigenden Zinsen unattraktiv, weshalb wir Obligationen stark untergewichten. Einzig aus Diversifikationsgründen haben qualitativ hochstehende Anleihen eine gewisse Berechtigung in einem Portfolio.

Was muss geschehen, dass die ­Langfristzinsen nachhaltig steigen?
Die deutlich gestiegene Inflation setzt die Notenbanken unter Druck, ihre expansive Geldpolitik schrittweise zurückzufahren. Zudem hat die Geldschwemme zu einer massiven Fehlallokation von Kapital geführt. Evergrande ist ein Beispiel dafür. Die weiter gestiegene Verschuldung vieler Staaten dürfte dazu führen, dass Anleger künftig eine höhere Risikoprämie einfordern. Diese Faktoren sprechen für höhere Langfristzinsen.

Die SNB äussert warnende Worte ­angesichts der Immobilien­preisentwicklung in der Schweiz. ­Befindet sich der hiesige Häusermarkt in einer Blase?
Nein. Aufgrund der ungebrochenen Nachfrage – welche sich im Zuge der Coronakrise gar noch verstärkt hat – und dem limitierten Angebot rechnen wir höchstens mit einer Konsolidierung, aber nicht mit einer grösseren Korrektur.

 

 

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