Trotz Rückschlägen sollten Anleger das Gebiet nicht abschreiben. Das Marktpotenzial ist riesig.
Das menschliche Gehirn ist ein Wunder. Während moderne Computer nur nach vorgegebenen Programmschemata arbeiten, kann ein Mensch kreativ denken, abstrahieren sowie nach Fakten, Gefühlen und Erfahrungen bewerten und entscheiden. Umso erschreckender ist es, dass die Leistung durch Alzheimer abnehmen kann und es für den Zerfall bisher keine Heilungsmöglichkeiten gibt. In den USA sterben jährlich rund 500 000 Personen an der Krankheit. Wegen der zunehmend älteren Weltbevölkerung wird die Anzahl erkrankter Personen in den nächsten Jahren zudem stark steigen.
Während die Forschung bei anderen altersbedingten Leiden wie Krebs im letzten Jahrzehnt deutliche Fortschritte erzielt hat, steht sie bei Alzheimerbeschwerden erst am Anfang. Alle auf dem Markt erhältlichen Medikamente heilen nicht. Präparate wie Namenda der kürzlich durch Actavis (ACT 218.68 -0.43%) übernommenen Forest Laboratories und andere bereits als Generika erhältliche Arzneimittel zögern den Fortschritt der Erkrankung nur hinaus.Gleichzeitig gestaltet sich die Entwicklung neuer Wirkstoffe schwierig. Die Misserfolgsrate ist hoch. Zwischen 1998 und 2011 sind über hundert klinische Versuche gescheitert, bis heute folgen immer wieder Fehlschläge. Neben Eli Lilly (LLY 64.37 0.19%), Pfizer (PFE 30.34 -0.16%) und Baxter musste jüngst auch der sonst vom Erfolg verwöhnte Schweizer Pharmakonzern Roche (ROG 267.3 -0.34%) eine Niederlage einstecken. Der Wirkstoff Crenezumab zeigte keine signifikante Wirkung bei Alzheimer mit mildem bis mittelstarkem Krankheitsfortschritt.
Im Trüben fischen
Bisher legen die meisten Pharmakonzerne den Fokus auf Beta-Amyloide. Je nach Diagnostikmethode wird bei 63 bis 74% aller Alzheimererkrankten ein erhöhtes Level solcher Peptide zwischen den Nervenzellen im Gehirn festgestellt. Die Forscher vermuten, dass die Molekülverbindungen massgeblich zum Fortschritt der Krankheit beitragen, da sie Ablagerungen bilden, die sich wie eine Schicht über die Hirnmasse legen. Sicher sind sie sich allerdings nicht.
Ein weiteres bisher von der Arzneimittelindustrie weniger beachtetes Merkmal bei Alzheimererkrankten sind Phosphatgruppen, die in Tau-Proteine eingebaut sind. Dadurch kommt es zu einer Störung wichtiger Transportprozesse. Neuere Studien lassen darauf schliessen, dass in einzelnen Teilen des Gehirns entstandene Phosphatgruppen schädigende Impulse auf Tau-Proteine in anderen Hirnregionen abgeben. Die Krankheit könnte sich somit wie eine Infektion ausbreiten. Doch auch hier ist die Wissenschaft erst am Anfang.
Pipeline noch nicht leer
Trotz wenig präziser Ausgangslage geben etliche Pharmakonzerne nicht auf. «Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, in das Therapiegebiet einzusteigen, auch weil es bisher wenig Innovation gab», sagte beispielsweise Roche-CEO Severin Schwan erst letzten Samstag im Interview mit «Finanz und Wirtschaft». Dem Ersten, dem ein wirksameres Medikament gelingt, winkt ein Milliardenumsatz. Deshalb bleibt das Therapiegebiet trotz allem lukrativ.
Weiterhin an den Erfolg glauben neben Roche auch Merck (MRK 58.21 0.17%) & Co, AstraZeneca, Biogen (BIIB 336.79 -0.24%) Idec sowie Eli Lilly. Die Euphorie ist allerdings etwas gedämpft. Während die Forschungsabteilungen der Konzerne den Fokus bei früheren klinischen Tests auf Patienten mit mildem oder mittelstarkem Alzheimer setzten, liegt er heute mit zunehmender Vorliebe auf Patienten, deren Gedächtnisverlust noch nicht allzu weit gereift oder gar noch nicht ausgebrochen ist. «Das Problem ist, dass abgestorbene Nervenzellen sich nicht regenerieren und auch nicht ersetzt werden können», sagt Pharmaexperte Andreas Wicki vom auf Healthcare-Anlagen spezialisierten Berater HBM Partners in Zug im Gespräch mit «Finanz und Wirtschaft». Die Ausrichtung auf Patienten in früherem Stadium dürfte für potenziell krankheitsmodifizierende Arzneimittel deshalb aussichtsreicher sein.
Andere Pharmakonzerne wie Sanofi sind zurückhaltender. Wegen der vielen Rückschläge der Branchennachbarn bleiben sie Alzheimer vorerst fern. «Die Wissenschaft ist noch zu wenig weit, als dass dies die Kosten für die Entwicklung von Medikamenten rechtfertigen würde», sagte Sanofi-CEO Chris Viehbacher im April der Nachrichtenagentur Bloomberg. Auch Bristol-Myers (BMY 49.46 0.28%) Squibb bleibt nach Misserfolgen der Alzheimerforschung gegenüber skeptisch. Im Vordergrund bleiben beim Pharmakonzern vorerst die weit lukrativeren Krebsmedikamente.
Riesiges Marktpotenzial
Obwohl die laufenden spätklinischen Studien noch bis mindestens 2017 dauern, sollten sich Anleger dennoch langsam auf das Thema einstimmen. Das Marktpotenzial ist gross. 200 Mrd. $ werden in den USA heute für die Krankheit ausgegeben. Bis 2030 werden sich die Kosten laut den Analysten von Citi Research verdoppeln und bis 2050 verfünffachen. Ein Grossteil der Ausgaben entfällt bisweilen zwar noch auf Pflegeleistungen. Sollte es aber gelingen, schlagkräftigere Medikamente zu entwickeln, werden sich die Pharmakonzerne einen deutlich grösseren Teil des Kuchens abschneiden können. Morgan Stanley (MS 33.4 0.15%) schätzt den Alzheimermarkt allein in Amerika in Zukunft auf ein Volumen von 20 bis 40 Mrd. $.Investoren, die bereits heute auf einen Heilungserfolg bei Alzheimer wetten wollen, dürfen Merck & Co (Kurs-Gewinn-Verhältnis 2015 von 16) oder Roche (KGV 17) im Auge behalten. Die beiden Konzerne sind nicht nur bei der Entwicklung von Medikamenten gegen Alzheimer an vorderster Front mit dabei. Auch bei anderen vielversprechenden neuen Therapieansätzen, wie beispielsweise der Immunonkologie, sind sie in der Pole Position.
Doch auch Anleger, die die risikobehafteten Alzheimerprojekte der innovationsfreudigen Arzneimittelhersteller nicht mittragen wollen, können das Thema spielen. Sie müssen sich allerdings nach anderen Branchen umsehen. Der in den USA grösste Betreiber von Altersheimen, Brookdale Senior Living, hat sich beispielsweise auf alzheimerkranke Personen spezialisiert. Das Unternehmen gilt als Turnaround-Kandidat. Das hohe Kurs-Gewinn-Verhältnis von 72 ist deshalb nicht aussagekräftig.
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