Zurück zur Übersicht
15:08 Uhr - 18.06.2015

«Ohne Einigung kein Ende der Krise in Griechenland»

Für Jean-Claude Trichet, Ex-Präsident der EZB, kann Athen ohne Einigung mit den Gläubigern nicht zu Wachstum zurückfinden. Dass die EZB hellenische Banken trotzdem weiter stützen würde, schliesst er nicht aus.

Der Vorgänger von Mario Draghi als EZB-Präsident spricht sich für eine weitere interne Abwertung in Griechenland aus, damit das Land wieder wettbewerbsfähig wird. Über die EZB sagt er unter anderem, sie habe nicht mehr Einschränkungen in der Ausübung ihres Mandats als andere grosse Zentralbanken. Sie dürfe handelbare Wertschriften kaufen und solventen Banken unbegrenzt Liquidität zuteilen und sei damit ein Lender of Last Resort. Im Fall eines Scheiterns der Verhandlungen werde der EZB-Rat den endgültigen Entscheid über die Notliquidität ELA für die Banken in Griechenland unter Berücksichtigung der Folgen für die gesamte Geldpolitik frei fällen. Ohne einen glaubwürdigen und akzeptierten Plan aus Athen gebe es aber keine Lösung für Griechenland. Der Grexit wäre desaströs für das Land.

Herr Trichet, welches der möglichen Resultate der Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen Gläubigern wäre für Athen am besten?
Sicher ist, dass das schlechteste aller Ergebnisse der Austritt aus dem Euro wäre. Es wäre ein Desaster für das Land. Aber einmal abgesehen davon: Das wirkliche Problem ist, dass Griechenland nicht an einem Sanierungsprogramm vorbeikommt, das das Vertrauen in Griechenland wiederherstellt, sowohl bei den eigenen Bürgern und Unternehmern als auch bei seinen Freunden im Ausland.

Damit meinen Sie die anderen Euroländer?
Für sie gilt das ganz besonders – sie haben Athen bereits sehr geholfen, auch diejenigen, die selbst grosse Schwierigkeiten hatten. Letztlich aber auch für die internationale Staatengemeinschaft, die Athen über die IWF-Kredite massgeblich gestützt hat. Ohne eine solche Konvergenz des Vertrauens in die Glaubwürdigkeit eines Plans für die Erholung wird es keine Lösung für Griechenland geben.

Sind die Griechen mit einer Einigung mit den Gläubigern ihre Probleme los?
Meiner Meinung nach wären die übrigen Probleme, einschliesslich bei den ausstehenden Schulden, lösbar, sobald ein solches Programm steht. Aber bis jetzt gibt es das noch nicht, und mir scheint, es fehlt der Wille dazu. Ohne einen solchen Plan gibt es indes keine Rückkehr zu Wachstum und keine neuen Arbeitsplätze. Die Regierung könnte ihr Wahlversprechen nicht einlösen, das darin bestand – wenn ich mich nicht irre –, die Rückkehr zu Wachstum anzustreben, die Arbeitslosigkeit schnell zu senken, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit, und in der Eurozone zu bleiben. Dafür ist ein glaubwürdiges und von der internationalen Staatengemeinschaft akzeptiertes Sanierungsprogramm eine Bedingung.

Wären der Grexit und die Einführung einer eigenen, schwächeren Währung nicht eine Hilfe für Griechenland, einen Neuanfang zu wagen, indem die Exporte und der Tourismus angekurbelt würden?
Nein, der Ausstieg aus einer Währung wie dem Euro hätte dramatische Folgen. Das griechische Volk weiss das. Aber in der Eurozone zu bleiben, bedingt, ein glaubwürdiges Sanierungsprogramm wie das von Irland, Portugal und Spanien zu haben.

Was für Alternativen gäbe es, um die Wirtschaft wiederzubeleben?
Vertrauen in den Sanierungsplan ist essenziell. Ausserdem muss aktiv daran gearbeitet werden, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, indem die Kosten gesenkt werden. Arbeitsplätze werden geschaffen, wenn mehr griechische Güter ein Verhältnis aus Qualität und Preis haben, das von in- und ausländischen Konsumenten geschätzt wird.

Und sollte diese Strategie der internen Abwertung über die Preise statt über den Wechselkurs weiterverfolgt werden?
Ja, bis Griechenland zu Wachstum und Vollbeschäftigung zurückkehrt. Dazu muss es aber eine glaubwürdige Marschroute für die Erholung aufzeigen können.

Aber würde eine weitere Runde interner Abwertung und Austerität nicht nur die Abwärtsspirale in der Wirtschaft beschleunigen und zu einer weiteren Rezession führen?
Nein, im Gegenteil. Man muss sich die wahren Gründe vor Augen halten, warum Griechenland seit 2009/2010 so grosse Probleme hat.

Welche sind das?
Seit dem Beitritt Griechenlands zum Euro hat das Land einen gewaltigen Anstieg der Kosten, der Erträge und der Preise in Euro erfahren und dadurch viel Wettbewerbsfähigkeit verloren. Die griechische Wirtschaft hat den Euro übernommen und vergessen, dass die neue Währung eine Preisstabilität von knapp 2% Teuerung liefern würde. Der Kompetitivitätsverlust war entsprechend enorm und muss nun wettgemacht werden, auch über eine reale interne Abwertung.

Eine europäische Institution, die Sie besonders gut kennen, steht seit Jahren an vorderster Front in der Krisenbekämpfung: die EZB. Hat sie sich seit Ihrer Präsidentschaft verändert?
In meiner Zeit als Präsident der Europäischen Zentralbank standen wir keiner deflationären Bedrohung gegenüber. Seit Einführung der Einheitswährung entsprach die Inflation dem Zielwert von knapp unter 2%. Die Inflationserwartungen standen zudem damit in Einklang, sowohl mittel- wie langfristig. Erst Mitte 2014 war zu beobachten, dass sie sich aus dieser Verankerung gelöst hatten. Darauf musste die EZB reagieren.

War «Ihre» EZB weniger unkonventionell in den Massnahmen?
Auch wir hatten schon zu Beginn der Finanzkrise aussergewöhnliche Massnahmen beschlossen: Das Konzept der Vollzuteilung der Liquidität an Banken zu einem fixen Zins lag bereits im August 2007 vor und wurde nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 erweitert. Das Wertschriftenkaufprogramm Securities Market Program (SMP) startete 2010 und wurde im Mai 2010 und im August 2011 aktiviert. Daneben wurden zwei Programme zum Kauf von Pfandbriefen 2009 bzw. 2011 beschlossen. Ich glaube, die EZB ist pragmatisch und reagiert permanent auf alle Herausforderungen, um ihr Preisstabilitätsmandat zu erfüllen. Dieses bezieht sich auf die Abwehr sowohl inflationärer als auch deflationärer Bedrohungen.

Wie beurteilen Sie die jüngsten Massnahmen, etwa die quantitative Lockerung durch das im Januar beschlossene Wertschriftenkaufprogramm?
Meiner Meinung nach hatte der EZB-Rat recht, angemessene Massnahmen gegen die erwähnte Deflationsgefahr zu beschliessen.

Mit den Outright Monetary Transactions, kurz OMT, versprach die EZB 2012, unter Reformbedingungen Anleihen kriselnder Staaten zu kaufen und damit die akute Phase der Krise zu beenden. Der Europäische Gerichtshof hat die OMT diese Woche für legal erklärt. Hat die EZB nicht oft das Gefühl vermittelt, selbst nie restlos sicher zu sein, wie weit sie rechtlich gehen und ein letzter Kreditgeber im Notfall – ein Lender of Last Resort – sein kann?
Nein. Bekanntlich gab es zwar rechtliche Auseinandersetzungen. Aber die juristischen Analysen der Anwälte von EZB, EU-Kommission und EU-Rat haben festgestellt, dass die EZB rechtlich immer korrekt gehandelt hat. Ich glaube, das muss man ganz klar betonen. Und es stimmt nicht, dass die EZB in der Ausübung ihres Preisstabilitätsmandats juristische Schranken hat, die andere Zentralbanken nicht haben.

Die EZB ist ein vollwertiger Lender of Last Resort?
Die Kompetenz, handelbare Wertschriften zu kaufen, ist ausdrücklich in ihrer Satzung vorgesehen. Und seit 2008 wird in der Bankenrefinanzierung die Vollzuteilung von Liquidität zu einem fixen Zins durchgeführt. Das heisst, dass Banken Liquidität erhalten ohne weitere Bedingungen als die fixe Zinszahlung und die Hinterlegung von Wertschriften. Alle Notenbanken können Lender of Last Resort sein, unter der Voraussetzung, dass sie Liquiditätsprobleme damit angehen und nicht Solvenzprobleme. Letztere sind Sache der Eigner der Finanzinstitute und in Ausnahmefällen des Staates – nie aber der Zentralbanken.

Wie auch immer sich die Krise in Griechenland weiter entwickelt: Wird die EZB das griechische Bankensystem weiter mit der Notfallliquiditätsmassnahme ELA stützen? Oder wird sie, falls es nicht zu einer Einigung mit den Gläubigern kommt, die ELA wirklich wie mehrfach angedroht nicht mehr bewilligen?
Es liegt in der Kompetenz des EZB-Rats, alle Gegebenheiten und auch den Stand der Gespräche zwischen den Regierungen bezüglich des griechischen Programms zu berücksichtigen und zu entscheiden, ob die Weiterführung oder die Beendigung der ELA die Funktionsfähigkeit der Geldpolitik insgesamt aufs Spiel setzen würde. Aber noch einmal: Ohne einen glaubwürdigen Plan Griechenlands, der von der EU-Kommission, dem EU-Rat und dem IWF abgesegnet wurde, gibt es keine Lösung für die Krise in Griechenland.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.