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15:15 Uhr - 15.06.2020

Ein Buch erklärt, was in der Weltwirtschaft schiefläuft

Ungleichgewichte im Handel müssen auf Basis der Finanzströme analysiert werden. Sonst gibt man sich den trügerischen Lösungen der Populisten hin.

Es hört sich fast sozialistisch an, wie der Klappentext das Buch zusammenfasst: «Eine provokative Perspektive, wie die heutigen Handelskonflikte durch Regierungen ausgelöst werden, welche die Interessen der Eliten auf Kosten der Arbeitnehmer fördern.»

Aber die Autoren haben mit ihrem im Mai erschienen Werk keine Revolution im Sinn. Matthew C. Klein, Kolumnist beim Anlegermagazin «Barron’s», und der in ­Peking lehrende Finanzprofessor Michael Pettis wollen eine einleuchtende umfassende Analyse präsentieren. Dies und dar­aus abgeleitete Handlungsempfehlungen sind sogar notwendig, um ein möglichst freies Wirtschaftssystem und einen nutzbringenden Welthandel zu ermöglichen.

Die Gefahr der Populisten

Im Hintergrund des Buches «Trade Wars are Class Wars» – «Handelskriege sind Klassenkämpfe» – klingen die lauten Töne der populistischen Trumpisten und Brexisten, die gegen andere Länder wettern. Ihre Lösungen können nicht funktio­nieren. Bis das offensichtlich wird, werden aber Zölle, Handelsbeschränkungen und Sanktionen Schaden anrichten.

Das komplexe Thema wird ohne akademische Umständlichkeit flüssig und klar behandelt. Manchmal werden ­Zusammenhänge aber etwas knapp dar­gestellt; das könnte Leser überfordern, die sich bisher kaum mit der Materie beschäftigt haben. Trotzdem ist das Buch dringend zu empfehlen. Die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftsbedingungen innerhalb der Länder und der globalen Finanzströme werden wohl in keinem aktuellen Werk so präzis auf den Punkt gebracht.

Das Buch beginnt mit der Schilderung, wie sich der weltweite Handel über die vergangenen Jahrzehnte fortentwickelt hat. Die wichtigste Lehre daraus: Die ­globalen Finanzströme sind früher zwar durch die Finanzierung von Handelsströmen entstanden. Das ist aber nicht mehr der Fall. Die Handelssalden der Länder sind nun eher Effekt der Finanzströme.  Im Gegensatz zu klassischen Handelstheorien sei es «nicht mehr möglich, die Weltwirtschaft zu verstehen ohne ein umfassendes Verständnis darüber, wie sich Geld über die Grenzen hinweg bewegt».

Folglich widmet sich ein Kapitel der Frage, wie die Finanzströme tatsächlich funktionieren. Wieder sägen die Autoren an einem Pfeiler der Lehrmeinung moderner Ökonomik: Kapital fliesst meist nicht in die Länder, in denen es gebraucht und am effizientesten eingesetzt wird. So sei das Geld in den Industrieländern nicht knapp. Wird Kapital importiert, wird es am ehesten für ineffiziente Zwecke verwendet – etwa für einen Immobilienboom.

China versus USA

Schwerpunkt des Buchs ist die Darstellung, wie sich die Situation in den wichtigsten Ländern mit einem Kapitalüberschuss zugespitzt hat: China und Deutschland. Auf der anderen Seite wird der grosse «Absorber» der Finanzströme ausführlich beschrieben – die USA mit ihrem attraktiven Kapitalmarkt.

Dabei verzichten die Autoren auf Schuldzuweisungen. Es wird klar, dass ­weder die Produktivität der Deutschen noch die Vorsicht der sparsamen Chinesen oder die Konsumfreude der Amerikaner für die Ungleichgewichte verantwortlich zu machen sind. Ebenso wie in der Eurozone die polemische Gegenüberstellung der fleissigen Nordländer gegen die faulen Südeuropäer wenig damit zu tun hat, wie es tatsächlich zur Überschuldung kam, die sich in der Eurokrise entladen hat. Ohne den Drang der Gläubigerländer, ihr Geld im Ausland unterzubringen, hätten die Schuldenberge nie entstehen können.

Es hätte das Buch abgerundet, wenn die beiden Autoren einen aktuellen Bezug zur verzwickten wirtschaftlichen Lage infolge der Coronapandemie eingefügt hätten. In einem Podcast hat sich Michael Pettis dazu schon geäussert. Die Pandemie habe bisherige Trends noch beschleunigt. So dreht sich etwa die Schulden­spirale in China schneller. Die Zeit, um die Ungleichgewichte möglichst schmerzlos zu bereinigen, läuft davon.

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