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07:17 Uhr - 23.12.2014

«US-Banken sind ausreichend kapitalisiert»

Für Timothy Adams vom Institute of International Finance (IIF) gehen US-Regulierer im Ausland viel zu aggressiv vor. Im Interview mit «Finanz und Wirtschaft» erklärt er, warum.

Herr Adams, eine umfassende und abschliessende Lösung der Too-big-to-fail-Problematik ist Ihnen ja ein zentrales Anliegen. Sie wollen sicherstellen, dass die Abwicklung systemrelevanter Banken unter keinen Umständen zu Lasten der Steuerzahler geht, sondern Gläubiger und Aktionäre dafür geradestehen müssen. Wie schätzen Sie diesbezüglich die Fortschritte auf beiden Seiten des Atlantiks ein?
Zur PersonTimothy D. Adams ist seit 2013 Präsident und Chief Executive Officer (CEO) des Institute of International Finance (IIF) in Washington. Er ist der Nachfolger von Charles Dallara, der seit 1993 den internationalen Bankenverband geleitet hatte. Der Betriebswirt und Politologe Adams ist ein Absolvent der University of Kentucky. Bevor er beim IIF das Ruder übernahm, war er Direktor des Wirtschaftsberatungsunternehmens The Lindsey Group in Washington. Von 2005 bis 2007 arbeitete der 53-Jährige im US-Finanzministerium Staatssekretär für auswärtige Beziehungen. Dort war Adams unter anderem für währungspolitische Fragen ebenso wie internationale Finanzbeziehungen zuständig und vertrat zudem die Interessen der US-Regierung gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie der Weltbank. Unter den Finanzministern Paul O'Neill und John Snow hatte Adams als Stabschef gedient. Zuvor hatte Adams, der 1993 Mitbegründer der G7 Group war, in verschiedenen Positionen unter dem ehemaligen Präsidenten George W. Bush gearbeitet. Die Industrieländer sind dabei sehr weit gekommen, sie befinden sich nun quasi auf der Zielgeraden. Die Vorgaben für das verlustabsorbierende Kapital, das Total (FP 42.86 0.07%) Loss Absorbing Capital bzw. TLAC, die erstmals 2009 anlässlich des G-20-Gipfels in Pittsburgh in den Raum gestellt wurden, zählen zu den wichtigsten Initiativen des Financial Stability Board. Die TLAC-Vorgaben werden trotz ihrer Nachteile sicherstellen, dass im Falle der Abwicklung einer systemrelevanten Finanzinstitution deren Kapitalausstattung ausreicht und die Auflösung gelingen kann, ohne dass auf Steuergelder zurückgegriffen werden muss.

Sie sprechen von Nachteilen. Welche sind damit gemeint?
Ich sprach kürzlich mit dem Vorstandschef der Wells Fargo Bank, die eines unserer Mitglieder ist. Er sprach völlig korrekt eine bemerkenswerte Ironie an, dass nämlich Einlagen doch eigentlich die beste Form von Kapital seien, TLAC ihn aber nun zwingen würde, Anleihen zu begeben. Das ist im Grunde kontraproduktiv, folglich teilen wir diesen Einwand. Im Grossen und Ganzen, und das ist entscheidend, stehen wir aber voll hinter den TLAC-Vorgaben.

Welche Rolle spielt das IIF denn konkret, wie machen Sie ihren Input geltend?
Wir sind stark involviert. Mein Team hier in Washington arbeitet an einer Studie, die Empfehlungen für die konkrete Umsetzung der TLAC-Richtlinien enthält. Wir werden diese Anfang Februar vorlegen und gehen davon aus, dass diese in der Diskussion auf nationaler ebenso wie internationaler Ebene eine Rolle spielen werden.

Haben denn angesichts dieser Vorgaben nun eher Banken in Europa oder den USA stärkeren Bedarf, Nachrangkapital aufzunehmen?
Einen direkten Vergleich kann ich da nicht ziehen. Das liegt zum einen daran, dass wegen der unterschiedlichen Jurisdiktionen verschiedene Mindeststandards gelten. Dies bedeutet, dass beispielsweise für US-Banken striktere Regeln gelten als die globalen FSB-Standards. Sicher ist aber, dass die amerikanischen Banken mittlerweile gut kapitalisiert sind. Ich gehe davon aus, dass der Bedarf an Nachrangpakital von Land zu Land erheblich variiert. Auf globaler Ebene macht die Kapitalausstattung der Banken aber mittlerweile 20 bis 25% der Bilanzsummen aus. Das ist schon ein massiver Kontrast und eine deutliche Verbesserung gegenüber 2005.

Das Fed hat ja kürzlich neue Kapitalaufschläge für systemrelevante Banken gefordert, die nach diversen Kriterien mit individuellen Risikoprofilen versehen werden. Acht US-Banken wären demnach zu den Aufschlägen verpflichtet. Was halten Sie davon?
Nun, das ist nicht überraschend. Das Fed will auf Nummer sicher gehen und hat mit diesem Schritt wirklich aussergewöhnliche Vorsicht walten lassen. Ich bin hingegen der Ansicht, dass die Kapitalisierung unserer Banken mittlerweile adäquat ist. Auch gibt es keine Daten oder Analysen, die darauf hindeuten würden, dass bei den systemrelevanten Finanzinstitutionen die Kapitalisierung nicht ausreichend ist und diese daher zu einem zusätzlichen Aufschlag verpflichtet sein sollten.

Wie bewerten Sie die Fortschritte bei der Umsetzung der europäischen Bankenunion und deren künftige Bedeutung im Kontext des globalen Bankengeschäfts?
Das läuft bisher doch alles ziemlich glatt. Insbesondere fällt mir auf, dass der Widerstand einzelner Staaten geringer ist, als wir anfänglich erwartet haben. Mit der Europäischen Bankenaufsicht EBA in London, dem Inkrafttreten des einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus sowie dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus wird die Bankenunion eine gut konzipierte, solide Struktur haben. Zwar ist davon auszugehen, dass es in fünf oder sechs Jahren eventuell kleinere Pannen gibt, die dann behoben werden müssen. Im Grossen und Ganzen ist das Projekt aber nicht nur auf Kurs, sondern eine unabdingbare Voraussetzung für ein besser integriertes Finanzsystem.

Die Republikaner haben im November bei den Kongresswahlen einen Durchmarsch gefeiert. Viele von ihnen halten die derzeitige Finanzmarktarchitektur und die Regulierung für zu strikt und wollen sie lockern. Wird der neue Kongress, der im Januar zusammentritt, das Dodd-Frank-Gesetz wieder aufschnüren wollen oder es zumindest verwässern?
Ich habe nach zahlreichen Gesprächen mit führenden Republikanern nicht den Eindruck gewonnen, dass sie versuchen werden, Dodd-Frank wieder aufzuheben oder es auszuhöhlen. Zwar könnten sie versuchen, die Regeln für Gemeinschaftsbanken wieder zu lockern, aber für diese sind wir nicht zuständig, und deswegen will ich dazu auch keinen Kommentar abgeben. Auch ist es kein Geheimnis, dass Republikaner der im Zuge von Dodd-Frank gegründeten Verbraucherschutzbehörde und deren Strukturierung kritisch gegenüberstehen. Ungeklärt ist auch, was wir mit den staatlichen Hypothekenversicherern Fannie Mae und Freddie Mac machen werden. Folglich könnte schon einiges in Bewegung kommen, wobei das noch keineswegs mit einer Aufhebung eines so umfassenden Gesetzeswerks gleichzusetzen wäre.

Die Opposition will doch auch Veränderungen beim Fed sehen. Worin könnte das seinen Niederschlag finden?
Das ist richtig. Trotz allem, was schon geschehen ist, wollen sie die Notenbank noch transparenter machen. Zur Debatte steht unter anderem die Einführung einer externen Bankenrevision. Auch wollen etliche Mitglieder des Bankenausschusses durchsetzen, dass Vorstandsmitglieder der Distriktnotenbank von New York ebenfalls vom Senat bestätigt werden müssen. Unterm Strich: Selbst wenn beide republikanisch beherrschte Kammern ein Gesetz zimmern sollten, das einige Aspekte der neuen Finanzmarktarchitektur wieder lockert, wäre noch keineswegs gewiss, dass Präsident Barack Obama dieses auch unterschreiben würden anstatt ein Veto einzulegen.

Gibt es denn Teile der Finanzmarktregulierung, bei der Sie sich als internationaler Bankenverband Änderungen wünschen?
Ich halte es für zu früh, um eine abschliessende Bewertung abzugeben. Sie dürfen nicht vergessen, dass weite Teile des Dodd-Frank-Gesetzes noch gar nicht umgesetzt sind. Beurteilen sollte man die Regulierung erst, wenn alles implementiert ist und man sieht, welche gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen sie entfaltet.

Welche gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen meinen Sie?
Ich denke in erster Linie an den Transmissionsmechanismus über die Kreditmärkte. In anderen Worten: Werden Kredite für Verbraucher ebenso wie Unternehmen leichter oder schwerer zu bekommen sein? Werden sie sich verteuern? Wie wird sich dies wiederum auf Konsum- und Investitionsentscheidungen auswirken?

Der Hacking-Skandal bei Sony (SNE 20.58 -2.65%) hat einmal mehr vor Augen geführt, wie anfällig selbst die Betriebssysteme und Datenbanken der weltgrössten Konzerne sein können. Nun vertreten Sie Hunderte von internationalen Banken, darunter einige absolute Branchengiganten. Glauben Sie, dass das internationale Bankensystem ausreichend gewappnet ist für mögliche Cyber-Attacken? Sollten sich Kunden Sorgen machen?
Dass weite Teile unserer ökonomischen Infrastruktur anfällig sind für Cyber-Kriminalität ist unbestritten. Auch werden die Methoden der Hacker fast täglich raffinierter und komplexer. Ich glaube offen gestanden nicht, dass die Finanzdienstleistungsindustrie diesbezüglich irgendwie einzigartig ist. Wir müssen nicht nur Schritt halten mit den Hackern, sondern ihnen immer ein paar Schritte voraus sein. Wie aus zahlreichen Gesprächen hervorgeht, die ich mit Bank-CEO geführt habe, geben sie aber wirklich kolossale Summen aus, um die eigene Anfälligkeit zu reduzieren. Allein deswegen glaube ich, dass andere Branchen, die weniger in Cyber-Sicherheit investieren, einer grösseren Gefahr ausgesetzt sind.

Das US-Bundesfinanzamt IRS hat ja international durch die schonungslose Jagd auf Steuersünder von sich reden gemacht. Ist dieser transatlantische, regulatorische Übergriff in Europa zu weit gegangen?
Das könnte ein abendfüllendes Thema sein. Betroffen sind davon ja mehrere Länder, darunter die Schweiz und Luxemburg. Ich begegne aber nicht nur in Europa, sondern überall auf der Welt Bankern, die die extraterritorialen Eingriffe seitens diverser US-Behörden für aufdringlich und unzumutbar halten. Natürlich wird in Washington argumentiert, dass diese Eingriffe darauf abzielen, das System sicherer zu machen: nicht nur, um Steuersündern auf die Schliche zu kommen, sondern auch, um der Geldwäsche und Finanzierung von Terrorismus einen Riegel vorzuschieben. Das sind zwar noble Anliegen, aber die US-Methoden sind in der Tat zu aufdringlich und für die Wirtschaft kontraproduktiv.

Kontraproduktiv inwiefern?
Einige der grössten Banken haben sich bereits aus Schwellen- und Industrieländern komplett zurückgezogen. Sie befürchten, dass wenn Geld von London nach Pakistan oder Somalia überwiesen wird oder Transaktionen zwischen Banken in New York und Mexiko stattfinden, irgendwelche Summen in die Hände von Terroristen, Drogenkartellen oder anderen Verbrechern gelangen und die US-Behörden dann eingreifen. Dieser Rückzug der Banken hat natürlich zur Folge, dass auch legales Geld, zum Beispiel für Investitionen in Schwellenländern oder Entwicklungshilfe nicht mehr fliessen kann.

Der Basler Ausschuss der Bankenaufseher plant die Mindestvorgabe einer ungewichteten Eigenkapitalquote von 3% bis 2019. Dabei meinen viele in den USA, das sei nicht hoch genug. Was sagen Sie dazu?
Es ist nicht ungewöhnlich, dass die USA Vorgaben aus Basel als absolutes Minimum ansehen und dann selbst höher gehen wollen. Die Realität ist simpel: Das Fed und die anderen Aufsichtsbehörden in den USA sind unterdessen deutlich strikter als in fast allen anderen Ländern der Welt. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern.

Die USA sind mit Kapital- und Liquiditätsvorgaben für grosse Töchter ausländischer Banken eigene Wege gegangen. Werden diese bewusst als wettbewerbspolitisches Instrument eingesetzt, und droht folglich eine transatlantische Zersplitterung der Regulierung?
Diese Bedenken höre ich nicht nur aus Europa, sondern auch Asien. Auch sind viele der ausländischen Banker überzeugt, dass dies in der Tat durch Protektionismus motiviert ist. Das glaube ich allerdings nicht. Es ist vielmehr eine Überreaktion in dem Bestreben, absolut sicherzustellen, dass wir niemals wieder eine Finanzkrise wie die letzte erleben werden.

Und die Frage der Fragmentierung?
Das ist fraglos ein völlig legitimer Einwand. Die schärferen amerikanischen Regularien behindern den Kapitalverkehr. Dies macht das Finanzsystem weniger flexibel. Meiner Einschätzung nach sind die USA damit jedenfalls deutlich zu weit gegangen. Anstelle der angestrebten Harmonisierung der Finanzmarktregulierung tritt als Folge dieser Methoden das Gegenteil ein. Es kommt nämlich zu deutlich mehr Fragmentierung.         

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