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07:31 Uhr - 03.03.2015

«Die Europäer lassen ihre Wirtschaft abstürzen»

Richard Koo, Chefökonom des Nomura Research Institute, erklärt der Eurozone, was sie von Japan lernen muss. Nur der Staat, nicht die Geldpolitik, könne helfen.

Im Gespräch mit «Finanz und Wirtschaft» sieht der Nomura-Ökonom Richard Koo eine tragische Situation in Europa. Statt die niedrigen Zinsen für einen Fiskalstimulus zu nutzen, würden weiter die Haushaltsdefizite reduziert. Kurzfristig dürfe man nicht auf Strukturreformen setzen, da sie erst langfristig ihre Wirkung entfalten.

Zur PersonRichard C. Koo wurde 1954 in Kobe, Japan, geboren. Der US-Bürger mit taiwanesischen Wurzeln studierte Ökonomie an der Universität Berkeley bei San Francisco und an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore. Danach arbeitete er bei der Federal Reserve Bank von New York. Seit 1984 ist er am Nomura Research Institute, dem er nun als Chefökonom vorsteht. Er ist auch im Beratergremium des Institute for New Economic Thinking. In seinem 2008 erschienenen Buch «The Holy Grail of Macroeconomics» popularisierte er die Idee der Bilanzrezession, um die langjährige Wirtschaftskrise Japans zu erklären. Koo ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. ATHerr Koo, gemäss Ihrer Analyse hat Japan unter einer Bilanzrezession gelitten: Der Schuldenabbau des Privatsektors hat eine Wirtschaftskrise verursacht. Was kann die Eurozone von der japanischen Erfahrung lernen?
Massnahmen gegen eine Bilanzrezession und Strukturreformen sind zwei völlig verschiedene Dinge. Man kann das eine nicht mit dem anderen ersetzen. In einer Bilanzrezession muss man die Wirtschaft davon abhalten, in eine Deflationsspirale zu fallen. In solch einer Situation sind Strukturreformen kein Ersatz für sofortige Impulse durch Staatsausgaben.

Wo liegen Japan und Europa falsch?
1997 hat der japanische Premier Ryutaro Hashimoto geglaubt, nur mit Strukturreformen die Konsolidierung des Staatshaushalts zu erreichen und gleichzeitig die Wirtschaft anzutreiben. Das Ergebnis waren fünf aufeinanderfolgende Quartale mit negativem Wachstum und ein Zusammenbruch des Bankensystems. Japan hat damals eine seltene Gelegenheit zur wirtschaftlichen Erholung verpasst. Der Fehler von 1997 hat die Rezession um mindestens fünf, wenn nicht zehn Jahre verlängert.

Geschieht nun etwas Ähnliches in der Eurozone?
Die europäischen Länder beschränken freiwillig ihre Staatsausgaben und lassen damit ihre Wirtschaft abstürzen, was sehr traurig ist. In Amerika wurde die japanische Lektion dagegen verstanden. Akademiker und Entscheidungsträger haben mit ihrer deutlichen Warnung vor dem Fiscal Cliff – der Fiskalklippe – eine neuerliche Rezession verhindert. Das ist der Grund, warum die USA nun viel besser dastehen als Europa, das nicht aus dem japanischen Fehler von 1997 gelernt hat. Ein Fiskalstimulus ist wichtig, da der Staat der einzige Schuldner ist, der in einer Bilanzrezession noch übrig bleibt.

Spanien und Portugal werden als positive Beispiele für Strukturreformen präsentiert. Stimmen Sie dem nicht zu?
Ich sage nicht, dass Strukturreformen keinen Wert haben. Manche Reformen sind sehr wichtig und haben eine langfristige Wirkung. Aber man kann mit Strukturreformen einen Fiskalstimulus nicht ersetzen. Die Arbeitslosigkeit in Spanien liegt weiterhin über 20%. Die Zukunft für junge Portugiesen sieht düster aus. Die Länder sind in ziemlich schlechter Verfassung, selbst wenn manche Wachstumszahlen nun positiv sind. Die Lebensbedingungen der Menschen in Spanien, Portugal und sogar in Irland sind nicht so, wie sie sein könnten.

Sind Strukturreformen schuld daran?
Medizinisch gesprochen ist eine Bilanzrezession eine Lungenentzündung, und Strukturprobleme entsprechen Diabetes. Hat man beides gleichzeitig, muss die Lungenentzündung schnell behandelt werden – an ihr kann der Patient sterben. Dagegen hat man für die Behandlung von Diabetes mehr Zeit. Die Therapien gegen die Krankheiten können sich widersprechen: Einem Diabetespatienten muss man Nahrung vorenthalten, bei einer Lungenentzündung braucht der Patient viel Nahrung, um die Krankheit bekämpfen zu können.

Das Anleihenkaufprogramm Quantitative Easing, QE, der Europäischen Zentralbank hat grosse Hoffnungen geweckt. Wäre das ein Heilmittel gegen die europäische Lungenentzündung?
Weltweit sind die Märkte vom QE abhängig geworden. Jedes Mal, wenn sie QE hören, gehen die Aktienkurse nach oben, und die Währung wertet sich ab. Dahinter steht die Idee, dass die von der Notenbank bereitgestellte Liquidität in die Realwirtschaft fliessen wird. Aber in den USA, Grossbritannien oder Japan ist die Kreditvergabe an den Privatsektor nach diesen Programmen nicht allzu stark gewachsen.

Ist QE demnach wirkungslos?
Die Notenbankgeldmenge ist natürlich massiv gestiegen, und davon konnte der Finanzsektor profitieren. Aber der Rest der Wirtschaft hat die Erhöhung der Geldmenge nicht gespürt. Da das Geld in der Realwirtschaft nicht angekommen ist, liegt die US-Inflationsrate bei nur 1,3%. Das ist lächerlich wenig bei der vielen Liquidität, die in den Markt geflossen ist.

Hat QE wirklich keinen positiven Effekt? Die Risikoprämien für spanische und portugiesische Anleihen fallen ja stetig.
Es gibt positive Effekte, aber die Zinsen für Spanien und Portugal sind schon vor der EZB-Ankündigung des QE stark gefallen. Der Grund ist, dass der Privatsektor in diesen beiden Ländern – wie auch in Irland – grosse Ersparnisse anhäuft. Hätten die Länder eine eigene Währung gehabt, wären ihre Zinsen schon früher gesunken – wie es auch in Grossbritannien, den USA und Japan der Fall war. In einem Land mit eigener Währung in einer Bilanzrezession müssen Fondsmanager Staatsanleihen kaufen, wenn sie kein Währungsrisiko eingehen wollen: Der Staat ist der einzige Sektor, der noch Schulden aufnimmt. Aber in der Eurozone gibt es die Komplikation, dass spanische Fondsmanager statt spanischer auch deutsche Anleihen kaufen konnten. Das verschlimmerte die Krise.

Nun sind aber auch spanische Staatsanleihen wieder begehrt.
Da es keine Angst mehr gibt, dass Spanien oder Portugal den Euro verlassen könnten, kaufen Spanier auch wieder spanische Anleihen. Das hat die Marktzinsen herabgedrückt. Die Regierungen sollten die niedrigen Renditen nun nutzen.

Sollte der Staat seine Ausgaben erhöhen?
Ja, die Peripherieländer sollten die niedrigen Marktzinsen für einen Fiskalstimulus nutzen. Aber Mario Draghi fordert weiterhin, auch wenn die Renditen gefallen seien, sollten die Staatsdefizite weiter gesenkt werden. Demnach können die Länder den Vorteil der niedrigen Renditen nicht nutzen.

Ihre Analyse scheint in der Diskussion in Europa kaum eine Rolle zu spielen.
Das Konzept der Bilanzrezession wurde nie an Universitäten gelehrt. Dies ist eine völlig andere Krankheit als eine normale Rezession. In den USA sind die Entscheidungsträger irgendwie auf mein Buch «The Holy Grail of Macroeconomics» gekommen. Leute wie Larry Summers oder Ben Bernanke verstanden, dass sich die USA in einer Bilanzrezession befinden. Mit dem Begriff Fiscal Cliff konnten sie argumentieren: Wenn der Privatsektor trotz Nullzinsen Schulden zurückzahlt, muss der Staat Geld ausgeben, um die Wirtschaft vor dem Kollaps zu bewahren. Es scheint, dass Europa zu weit von Japan entfernt ist, um die Botschaft zu hören.

Europa versteht die japanische Erfahrung also nicht?
Viele in Europa glauben, Japan verstanden zu haben. Aber das ist nicht richtig. Sie sagen, Japans Wachstum sei schwach, weil die Politiker nur langsam Strukturreformen eingeführt haben. Oder dass die Banken ihre Probleme nicht früh genug angepackt haben. Aber seit zwanzig Jahren weise ich darauf hin, dass das Wachstumsproblem in Japan nichts mit fehlenden Strukturreformen oder mit der japanischen Kultur zu tun hat. Das Problem waren die Bilanzen, und die japanischen Probleme können in jedem Land auftreten. Aber diese Botschaft scheint in Europa kein Gewicht zu haben.

Die Argumente, die besonders von deutschen Politikern und Ökonomen betont werden, sind damit falsch?
Alles, was die Deutschen über Strukturreformen sagen, ist richtig – wenn die Volkswirtschaft und die Bilanzen gesund sind. Dann sollte ein Fiskalstimulus vermieden werden, weil damit Geld verschwendet wird. Um eine Volkswirtschaft dann zu stabilisieren, kann man die Geldpolitik nutzen – aber auch nicht zu schnell oder zu oft, da langfristig die volkswirtschaftliche Struktur zählt. Doch das ist nur richtig, wenn der Patient gesund ist. Und jetzt ist der Patient nun einmal von der Klippe gefallen und hat sich die Beine gebrochen. Dann zwingt man ihn nicht dazu, einmal ums Haus zu joggen. Man muss zuerst seine Probleme beheben.

Es wird befürchtet, mit einem Fiskalstimulus werde die Wirtschaft von Staatsausgaben abhängig. Sehen Sie diese Gefahr nicht?
Keynes hat nie verstanden, dass ein Fiskalstimulus nur verwendet werden darf, wenn der Privatsektor Bilanzprobleme hat. Hat der Privatsektor keine solchen Probleme, kann die Geldpolitik mit niedrigeren Zinsen gegen die Rezession angehen. Aber alle paar Jahrzehnte spielt der Privatsektor verrückt und schafft eine riesige Blase. Platzt die Blase, kommen wir in die Welt der Bilanzrezession.

Keynes lag also falsch?
Keynes hat das nie verstanden, und die Keynesianer haben argumentiert, alle Rezessionen seien mit Staatsausgaben zu bekämpfen. Das war ein riesiger Fehler. Bis 1971 wurde versucht, die Wirtschaft durch die Fiskalpolitik zu steuern. Das Ergebnis waren unter anderem eine hohe Inflation und die falsche Verwendung von Ressourcen. In einer Bilanzrezession muss der Fiskalstimulus verwendet werden, weil er die einzige Massnahme ist, die wirkt. Hätte Keynes das in seiner «General Theory» geschrieben, hätten die Leute ein weniger schlechtes Bild von ihm.

Ursache für niedriges Wachstum und geringe Zinsen in Europa und Japan könnten auch fundamentale Faktoren sein, etwa die Demografie. Sind wir in der oft genannten säkularen Stagnation?
Eine alternde Bevölkerung sollte eigentlich inflationär und nicht deflationär wirken. Es gibt weniger arbeitende Menschen und mehr, die Geld ausgeben. Aber in Japan herrscht Deflation, da niemand Geld leihen will nach dem, was geschehen ist. Das Konzept der säkularen Stagnation wurde 1938 von Alvin Hansen eingeführt. Damals erfuhren die USA eine zweite Rezession nach der Grossen Depression, da Präsident Franklin Roosevelt den Fiskalstimulus 1937 aussetzte. Der Privatsektor hat damals immer noch nicht Geld geliehen, sondern weiterhin seine Schulden zurückgezahlt. Als der Fiskalstimulus beendet wurde, kollabierte die Wirtschaft, und die Arbeitslosenrate schnellte nach oben. Hansen hat damals gesehen, dass die Wirtschaft nach vielen Jahren immer noch schwach ist, und dachte, das sei nun die säkulare Stagnation.

Die Wirtschaftsstrategie des japanischen Premiers Shinzo Abe, Abenomics, besteht aus den drei Pfeilen Fiskalstimulus, geldpolitische Lockerung und Strukturreformen. Wie effektiv ist dieses Massnahmenpaket?
Ausländische Analysten und Medien glauben, dass von den Pfeilen nur Quantitative Easing und Strukturreformen effektiv sind. Aber ich würde sagen, dass 80% der Effekte von Abenomics vom Fiskalstimulus kommen. Selbst die Leute bei der Bank of Japan sagen: Wir haben es nicht getan, das kommt von den Staatsausgaben. Denn sie wissen, dass nur wenige Leute in Japan Kredite aufnehmen. Wenn keine Kredite aufgenommen werden, bleibt das Geld im Bankensystem stecken.

Gibt es keinen positiven Einfluss durch Japans Strukturreformen?
Strukturreformen sind wichtig. Nachdem die Bilanzprobleme in Japan vorbei sind, müssen Investitionsgelegenheiten geschaffen werden, damit Unternehmen Geld leihen und investieren. Japan ist eine reife Wirtschaft, daher ist es schwierig, neue Investitionsgelegenheiten zu schaffen. Aber wir müssen realistisch sein: Strukturreformen wirken mikroökonomisch, nicht makroökonomisch. Diese Dinge brauchen Zeit, bevor sie ihre Wirkung entfalten. In der Zwischenzeit leiht sich der Privatsektor in Japan immer noch kein Geld.

Weshalb nimmt Japans Privatsektor keine Kredite auf?
Nach fünfzehn Jahren, in denen die Leute Schulden zurückgezahlt haben, sind sie es so leid, dass sie keine Kredite aufnehmen – obwohl ihre Bilanzen sauber sind, die Zinsen so tief stehen wie noch nie in der Menschheitsgeschichte und die Banken willig sind. Man muss den Privatsektor von seinem Trauma befreien. Abenomics hat einige Programme dazu eingeführt. So können Investitionen im Fiskaljahr 2014 im selben Jahr abgeschrieben werden. Ich bin froh, dass wir nach 25 Jahren zum ersten Mal eine Regierung haben, die die wirtschaftlichen Probleme Japans auf die richtige Weise angeht.

Ein Effekt des QE ist die Abwertung des Yens. Ist das nicht gut für die Wirtschaft?
Die Abwertung war zu Beginn des QE schon zwei Jahre überfällig. Nach dem Nuklearunfall in Fukushima hat Japan ein Handelsdefizit verzeichnet. Das hätte den Yen schwächen sollen, aber der Devisenmarkt hat ihn immer stärker werden lassen. Als Premier Abe 2012 dann an die Regierung kam, hat der Markt den Yen abwerten lassen. Damals gab es aber noch kein QE, das fing erst im April 2013 an. Die Geldpolitik hat zwar geholfen, aber sie war nicht der Auslöser für die Abwertung. Der Auslöser war, dass der Devisenmarkt die Tatsache wahrgenommen hat, dass Japan ein Handelsdefizit hat.

Und ist der schwache Yen gut für Japan?
Der schwache Yen hilft der japanischen Wirtschaft. Aber der positive Effekt braucht länger, um anzukommen, als die Leute von früheren Erfahrungen gewohnt sind. Als der Yen sehr stark war, haben japanische Unternehmen ihre Fabriken nach China und Südostasien verlagert. Als er dann 2012 gefallen ist, war die Exportindustrie kleiner als zwanzig Jahre davor. Die Abwertung steigert zwar die Gewinne der exportierenden Unternehmen, aber der Effekt ist schwächer, da Japan nicht mehr eine grosse Exportmaschine ist.

Kritiker warnen, der schwache Yen verteure die Importe.
Für Importgüter war Japan vor zwanzig Jahren ziemlich geschlossen. Nun ist das Land sehr offen. Da Importe ein wesentlicher Teil der japanischen Wirtschaft sind, schadet der schwache Yen vielen Menschen – besonders den Hausfrauen. Sie äussern sich jetzt gegen den schwachen Yen, was vor zwanzig Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Die Kosten des schwachen Yens sind also höher als früher, die Vorteile kleiner. Daher braucht es länger, bis man einen positiven Effekt sieht.

Die Bank of Japan, BoJ, will die Inflationserwartungen nach oben treiben. Ist sie damit erfolgreich?
Ein schwächerer Yen drückt die Preise zwar nach oben, aber das ist eine einmalige Preiserhöhung und schafft keine längerfristige Inflation. Tatsächlich sinken die Inflationszahlen in Japan wieder. Und die Idee, dass die Deflation die Probleme in Japan verursacht, ist völliger Unsinn. Die Probleme Japans, einschliesslich der Deflation, werden dadurch verursacht, dass der Privatsektor keine Kredite aufnimmt. Daher können die durch die BoJ geschaffenen Bankreserven nicht wirken. Notenbankgouverneur Haruhiko Kuroda und sein Stellvertreter Kikuo Iwata verstehen das nicht. Aber andere Leute in der BoJ wissen, warum die Geldpolitik nicht wirkt.

Glauben Sie, dass die BoJ ihr QE-Programm überdenken wird?
Kuroda und Iwata haben sich so stark darauf festgelegt, die Inflation nach oben zu bringen, dass sie so bald davon nicht abrücken können. Aufgrund von QE wurden im Bankensystem sehr hohe Reserven geschaffen; nun sollten sich die Notenbanker fragen, wie man aus dieser Situation lebend herausfindet. Solange der Privatsektor kein Geld leiht, kann Kuroda zwar das QE weiterführen, ohne viel Schaden anzurichten. Aber das wäre natürlich eine schlechte Entwicklung.

Könnten die Marktzinsen nach oben schnellen, wenn der Privatsektor wieder Schulden aufnimmt? Und wäre das nicht ein Riesenproblem angesichts der hohen Staatsschulden?
Wenn der Privatsektor wieder Schulden aufnimmt, könnte die japanische Regierung zum ersten Mal in 25 Jahren die Steuern erhöhen und die Ausgaben senken, um das Defizit zu reduzieren. Das wäre eine erfreuliche Entwicklung. Sobald das geschieht, sollte die Regierung ihren Fokus vom Fiskalstimulus auf die Defizitreduktion verschieben. Manche Steuern in Japan, wie etwa die Konsumsteuer von nur 8%, sind noch ziemlich niedrig. Es gibt viele Massnahmen, mit denen der Staat seine Haushaltslage verbessern könnte.

Wo liegt die Krux?
Die Schlüsselbedingung ist: Es muss sicher sein, dass der Privatsektor sich wieder Geld leiht. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, verschlimmert die Politik nur die Wirtschaftslage. Genau das geschieht nun in vielen europäischen Ländern.

Das Buch, das Europa retten soll«Ich habe das Buch geschrieben, um Europa zu retten», sagt Richard Koo im Gespräch mit «Finanz und Wirtschaft» über sein neues Werk. In «The Escape from Balance Sheet Recession and the QE Trap» geht es um das Konzept der Bilanzrezession, was für Erfahrungen Japan damit gemacht hat und was die Welt daraus lernen kann. Eine Bilanzrezession ist für Koo eine besondere Art der Wirtschaftskrise, in der der Privatsektor nach dem Zusammenbruch einer Blase zu grosse Verbindlichkeiten angehäuft hat. In dieser Phase zahlen Unternehmen und Privathaushalte ihre Schulden zurück, um ihre Bilanzen zu reparieren. Das drückt auf die Investitionen und den Konsum.

In solch einer Situation sinken die Zinsen, da niemand mehr Schulden aufnehmen will. Selbst bei Nullzinsen spart – entgegen der gängigen Theorie – der Privatsektor lieber, als Kredite aufzunehmen. Daher soll gemäss Koo dann der Staat einspringen und kreditfinanziert die Wirtschaft ankurbeln. Solche expansive Fiskalpolitik – das ist dem Nomura-Ökonomen wichtig – ist nicht bei jeder Rezession erforderlich, wie es der klassische Keynesianismus fordert, sondern nur in einer Bilanzrezession.

Die japanische Staatsverschuldung von mittlerweile 240% der Wirtschaftsleistung sieht er nicht als gefährlich an. Nur durch die Expansion der Staatsausgaben habe nach dem Zusammenbruch der japanischen Immobilienblase ein Kollaps der Volkswirtschaft verhindert werden können. Der eigentliche Fehler der Regierungen sei vielmehr gewesen, der Wirtschaft immer wieder zu früh den Fiskalstimulus zu entziehen. Obwohl die Bilanzen in Japan nun aufgeräumt seien, sei das Land immer noch durch ein Trauma belastet, das Unternehmen und Private von der Kreditaufnahme abhalte.

Da er Europas Krisenländer ebenfalls in einer Bilanzrezession sieht, plädiert er auch für einen Fiskalstimulus in der Eurozone. Strukturreformen seien zwar langfristig gut, würden kurzfristig aber wenig gegen die Wirtschaftskrise ausrichten.

In seinem neuen Buch argumentiert Koo gegen die Anwendung von Quantitative Easing, dem Anleihenkauf durch Notenbanken, um Bilanzrezessionen zu bekämpfen. Wenn der Privatsektor keine Schulden aufnehmen will, landet die zusätzliche Liquidität nicht in der Realwirtschaft. Die dann von den Banken gehaltenen Reserven werden eher zur Gefahr, Koo nennt dies die «QE-Falle». Leiht sich der Privatsektor irgendwann wieder Geld, könnten die Zentralbanken befürchten, dass die durch QE angehäufte Liquidität zu schnell im Wirtschaftskreislauf landet. Um dies zu verhindern, könnte die Notenbank sich gezwungen sehen, die Zinsen zu früh zu erhöhen und damit eine Wirtschaftserholung zu ersticken. AT
zoomRichard C. Koo: «The Escape from Balance Sheet Recession and the QE Trap», 2014, John Wiley & Sons, 352 Seiten

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