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12:17 Uhr - 28.10.2015

«Es ist Zeit, sich äusserst defensiv zu positionieren»

Steen Jakobsen, Chefökonom der Saxo Bank, erwartet für das vierte Quartal steigende Börsen. Der Start ins neue Jahr dürfte sich allerdings schwierig gestalten.

Steen Jakobsen«2016 dürften wir eine steigende Anzahl an Zahlungsausfällen sehen.»zoomDer US-Leitindex S&P 500 ist seit dem Jahrestiefst Ende August über 10% gestiegen. Ist die Korrektur damit überstanden?
Das ist die 100-Millionen-Dollar-Frage. Die Anleger haben sich richtigerweise auf die Ereignisse in China fokussiert, haben jedoch meines Erachtens die falschen Schlüsse gezogen. Die schwachen Fundamentaldaten machten sie nervös, weshalb es zum Ausverkauf kam. Dann entschied die US-Notenbank Fed, die Zinserhöhung aufzuschieben. Seitdem haben Schwellenländer alle anderen Märkte abgehängt. Nun haben die Börsen meines Erachtens aber überschossen.

Also sollten sich Anleger wieder vorsichtiger positionieren?
Die Erholung findet vor dem Hintergrund einer nach wie vor schwachen globalen Wirtschaftsentwicklung statt. Gleichzeitig ist die Deflationsgefahr noch nicht gebannt – sicherlich nicht in Europa. Insgesamt sind sowohl die Schulden als auch die Neuverschuldung der Unternehmen im historischen Vergleich hoch. Die Kreditschwemme hat die Erholung am Aktienmarkt zwar erleichtert, ist jedoch gleichzeitig Teil des Problems. Die Notenbanken versuchen, die Vermögenspreise zu erhöhen, aber die Verbindlichkeiten nehmen unvermindert zu.

Was können die Notenbanken machen?
Nichts – die Verschuldung ist bereits zu hoch. Es ist damit zu rechnen, dass 2016 eine steigende Anzahl von Unternehmen von «Anlagequalität» auf «Ramsch» herabgestuft wird. Und wir werden einen weiteren Anstieg der Fremdfinanzierungskosten sehen. Die Kreditaufschläge auf Ramschanleihen haben sich im Vergleich zum Juni 2014 verdoppelt, während die Aufschläge auf Anleihen, die gerade noch Anlagequalität erreichen, um einen Prozentpunkt gestiegen sind. Höhere Kapitalkosten bei stagnierenden Umsätzen werden zu steigenden Zahlungsausfällen führen.

Höhere Fremdkapitalkosten dürften auch die Aktienrückkäufe bremsen.
Selbstverständlich. Das wäre eine unmittelbare Folge und wahrscheinlich einer der negativsten Faktoren für den weiteren Aufwärtstrend an den Börsen.

Was heisst das für die Märkte?
Aktuell sehen wir einen Höhepunkt bei den Notenbankstimuli. Die Bank of Canada, die Europäische Zentralbank und die People’s Bank of China haben vergangene Woche Massnahmen angekündigt oder in Aussicht gestellt. Im Oktober wird der Renminbi in den Korb der Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds aufgenommen und im Dezember könnte die EZB weitere Massnahmen ankündigen. All dies dürfte die Börsen bis zum Jahresende unterstützen. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass die Märkte im vierten Quartal steigen werden.

Dann folgt die Ernüchterung?
Im ersten Quartal 2016 werden wir einen leicht stärkeren Dollar sehen, der das ohnehin schon geringe globale Wachstum abwürgen wird. Das dürfte für einen schwachen Börsenstart sorgen. In den ersten beiden Quartalen werden die Inflationszahlen ihr Tiefst erreichen und an den Aktienmärkten wird es zu einem Ausverkauf kommen.

Sollen Investoren demnach Aktien abstossen und Staatsanleihen kaufen?
Es ist an der Zeit, sich äusserst defensiv zu positionieren. Wir haben kürzlich unsere Goldpositionen auf das bislang höchste Niveau ausgebaut. Silber haben wir ebenfalls aufgestockt, da wir negative Zinsen haben. Das Umfeld ist äusserst schwierig, was sich positiv auf den Goldpreis auswirken dürfte. Palladium sollte sich ebenfalls erfreulich entwickeln. Zudem glaube ich nicht, dass das Fed die Zinsen bald erhöhen wird. Der Weg des geringsten Widerstandes für den Dollar zeigt zudem nach unten – obschon jedermann genau das Gegenteil erwartet. Da der Dollar seinen Zenit wohl überschritten hat, sollten Anleger in Segmente investieren, die davon profitieren werden, wie zum Beispiel Schwellenländeraktien. Insgesamt ist es jedoch angebracht, einen substantiellen Teil des Portfolios in sieben- bis zehnjährigen Staatsanleihen zu halten.

Welcher Länder?
US-Staatsanleihen sind die offensichtliche Wahl, aber europäische Staatspapiere dürfen ebenfalls nicht fehlen. Obwohl zweijährige deutsche Staatsanleihen mittlerweile negativ rentieren, könnten zehnjährige Anleihen weiter zulegen. Das Problem bei US-Staatsanleihen ist der Dollar. Als Europäer würde ich das Währungsrisiko deshalb absichern.

Ist die von Ihnen erwartete Dollarschwäche der Auslöser für eine mögliche Aufholbewegung der Schwellenländerbörsen?
Für mich hängt das bessere Abschneiden der Emerging Markets entscheidend von einem schwächeren Dollar ab. Solange dieser steigt, sollte man sich von Schwellenländern fernhalten. Aber trotz möglicher Perioden mit Verkaufsdruck sind einige dieser Märkte fundamental gesehen attraktiv bewertet. Viele Schwellenländermärkte handeln auf Kurs-Gewinn-Verhältnissen von 10 oder sogar darunter, während die Industrieländer mit KGV von 17 bis 25 bewertet sind. Wer Aktien kaufen möchte, sollte sich zuerst Emerging Markets anschauen.

Bevorzugen Sie gewisse Länder?
Polen ist fundamental attraktiv. Mit dem Wahlsieg der Partei Recht und Gerechtigkeit ist die politische Unsicherheit zwar gestiegen, aber das Land bleibt interessant. Auch China, Singapur und Südkorea sind attraktiv. Russland – obwohl riskant – hat ebenfalls Potenzial. Zur Risikominderung ist es jedoch ratsam, diese Long-Positionen durch Leerverkäufe von Industrieländern auszugleichen.

Wenn Sie auf Schwellenländer setzen, dürften Sie auch Rohstoffaktien bevorzugen?
Genau, wir mögen Aktien aus den Sektoren Energie und Grundstoffe.

Leiden diese Branchen nicht unter strukturellen Problemen?
Allerdings – aber genau deshalb sind sie günstig. Viele Anleger vergessen, dass man beim Investieren den zu bezahlenden Preis mit dem erwarteten Gegenwert vergleichen muss. Und der Energiesektor ist einer der wenigen Bereiche, wo der Preisabschlag signifikant ausfällt und der Anleger fundamentalen Wert erhält.

Reicht die günstige Bewertung?
Wir beobachten gewichtige Verschiebungen innerhalb der Industrie. Zum ersten Mal in der Geschichte des Energiesektors teilen sich Ölförderer Plattformen – noch vor zwei Jahren wäre so etwas unvorstellbar gewesen. Die Unternehmen erhöhen die Auslastung ihrer Kapazitäten, während sie aggressiv auf die Kostenbremse drücken. Und vergessen Sie nicht, Energie- und Grundstoffunternehmen bieten etwas Einzigartiges: Sie und ich werden ihre Rohstoffe immer nachfragen. Dasselbe lässt sich nicht von allen Technologieprodukten behaupten.

Was halten Sie von europäischen Aktien?
Der einzige wirksame Impuls für die europäische Wirtschaft ist ein schwächerer Dollar. Europa ist Teil der Dollar-Welt. Der Alte Kontinent erzielt den Löwenanteil des Exportwachstums in Emerging Markets, und diese tragen rund 55% zum globalen Wachstum bei. Das Problem eines stärkeren Dollars ist, dass er zu einer Wachstumsverlangsamung in den Emerging Markets führt, sodass das europäische Exportvolumen trotz schwacher Währung abnimmt. Den Euro abzuwerten ist demnach Zeitverschwendung.

Und schmerzt die hiesige Wirtschaft.
In der Tat. Die Schweiz hat aufgehört, den Franken-Wechselkurs zu kontrollieren – zumindest für den Moment. Das ist die richtige Vorgehensweise. Die Schweiz profitiert von einem riesigen Leistungsbilanzüberschuss, hat dank der Einwanderung eine bessere Demografie und verfügt über kompetitive mittelständische Unternehmen. Letztere scheinen fähig und willens, auch in Zeiten des Abschwungs zu investieren, haben sie doch das nötige Kapital.

Sie sehen also keine grösseren Risiken für die Schweizer Wirtschaft?
Nein, die Schweiz ist eines der ganz wenigen wettbewerbsfähigen Länder. Die Banken sind im internationalen Vergleich relativ gut kapitalisiert und der starke Mittelstand ist ungemein flexibel, wie er nach der starken Frankenaufwertung im Januar bewiesen hat. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die Schweizer Wirtschaft inzwischen in einer ausgewachsenen Rezession stecken würde – das ist aber nicht passiert.

Sind Sie ebenso optimistisch in Bezug auf Schweizer Aktien?
Nein, der Schweizer Aktienmarkt reflektiert eine Wirtschaft mit negativen Zinsen. Um diesen zu entkommen, investieren viele Anleger in Aktien mit hoher Dividendenrendite und treiben deren Notierungen in die Höhe. Solange die Aktienkurse avancieren, scheint dies eine sichere Strategie zu sein – bis die Kurse nicht mehr steigen. Es ist einfach eine Illusion, zu glauben, dass man mit Dividendenaktien eine bessere risikoadjustierte Rendite erzielen kann als mit Staatsanleihen.

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