Eleanor Taylor Jolidon, die Co-Leiterin Schweizer & globale Aktien bei Union Bancaire Privée, setzt auf krisenfeste Unternehmen und warnt vor zu viel Optimismus.
Frau Taylor Jolidon, hat die Pandemie Sie auf dem falschen Fuss erwischt?
Wir haben zu Jahresbeginn natürlich nicht mit einem derart starken Absturz an den Märkten gerechnet. Doch wir sind bereits vorsichtig ins 2020 gestartet und haben ein schwächeres Wachstum erwartet. Wir glaubten, die Gewinnerwartungen im Markt seien zu hoch, insbesondere an zyklische Sektoren wie Energie, Werkstoffe oder die kapitalintensive Industrie. Durch die verhaltenen Wachstumszahlen aus China fühlten wir uns bestätigt und waren dementsprechend bereits vor der globalen Coronakrise defensiv positioniert.
Was hatte der Ausbruch der Pandemie für Sie denn für Folgen?
Als sich die Auswirkungen in der Weltwirtschaft niederzuschlagen begannen, haben wir einige Veränderungen im Portfolio vorgenommen. Wir setzen vermehrt auf Unternehmen, von denen wir glauben, dass sie nicht nur solide durch die Krise kommen oder gar kurzfristig daraus Gewinn ziehen, sondern von den veränderten Gegebenheiten nach der Krise profitieren werden. Der Schweizer Aktienmarkt ist dafür geradezu prädestiniert.
Wie das?
Der heimische Markt ist in Krisen ein klarer Überperformer und verliert viel weniger als andere Märkte, vor allem in Europa. Das liegt an der bekannten defensiven Ausrichtung mit den Schwergewichten Nestlé (NESN 104.8 0.98%), Roche (ROG 342.5 0.15%) und Novartis (NOVN 83.41 0.28%) sowie an der Tatsache, dass ich, wenn ich in den Schweizer Markt investiere, zugleich im sicheren Hafen Franken angelegt bin.
Das ist die allgemein bekannte Lesart.
Wenn man tiefer schaut, stellt man fest, dass der Schweizer Markt auf breiter Front mit Unternehmen bestückt ist, die einen hohen und stabilen Cashflow auf ihren Investitionen liefern. Diese Unternehmen sind sehr gut positioniert, um solche Krisen zu überstehen. So vergleicht sich der heimische Markt in der Qualität der Wertschöpfung viel eher mit dem amerikanischen als mit anderen europäischen.
Was zeichnet diese Unternehmen aus?
Diese krisensicheren Gesellschaften haben eine starke Bilanz. Sie können ihre Produkte und Dienstleistungen weiterhin herstellen und vertreiben, ihre Geschäfte finanzieren und Cashflow generieren. Dann ist es von Vorteil, wenn ein Unternehmen Notwendiges herstellt, wie schon erwähnt Nestlé, Roche und Novartis. Dinge also, bei denen Konsumenten in schlechten Zeiten nur wenige Abstriche machen. Interessant sind auch Unternehmen, deren Produkte jetzt mehr nachgefragt werden als sonst.
Welche Gesellschaften sind das konkret?
Das sind IT- und Softwareunternehmen, die die Digitalisierung von Unternehmen vorantreiben, was in Zeiten des Home Office nochmals an Wichtigkeit gewonnen hat: SoftwareOne (SWON 21.65 3.1%), die ihr Geschäft mit Softwarelizenzmanagement und Beratungsleistungen macht. Temenos (TEMN 133 2.07%) und Crealogix (CLXN 88 0%), die auf Bankensoftware spezialisiert sind. Logitech (LOGN 48.84 1.52%), die Computerzubehör herstellt.
Das können aber auch schlicht Strohfeuereffekte sein. Wer gewinnt strukturell?
Das würde ich pauschal so nicht sagen. Wir werden in Zukunft vielleicht weitere Lockdowns erleben. Mindestens wird Home Office einen nachhaltigen Aufschwung erfahren. In Zeiten, in denen wir sensibler auf Krankheitserreger eingestellt sind, werden sich zudem Privatpersonen und Unternehmen vermehrt überlegen, ihre Infrastruktur zu erneuern, beispielsweise Lüftungen und Klimaanlagen zu modernisieren. Dann profitiert ein Unternehmen wie Belimo (BEAN 6630 2%), das ein führender Zulieferer in diesem Bereich ist.
Ist jetzt nicht vor allem der Pharma- und Gesundheitssektor der grosse Gewinner?
Hier ist Vorsicht geboten. Viele Unternehmen forschen zurzeit an Impfstoffen oder Therapien gegen Covid-19. Diese werden meiner Meinung nach aber mit hohem Rabatt oder in manchen Ländern gar umsonst auf den Markt kommen. Erfolge im Kampf gegen das Virus werden sich also nicht automatisch in einen höheren Ertrag ummünzen. Darüber hinaus ist ein grosser Teil der Nachfrage nach speziellen Medikamenten oder Materialien wegen der Pandemie sicher nicht nachhaltig.
Es muss doch auch Gewinner in diesen Bereichen geben.
Die gibt es. Ein Unternehmen, das in der Pandemie infolge der Regulierungsänderungen profitiert, ist die Onlineapotheke Zur Rose (ROSE 159 -0.38%). Die deutschen Behörden haben jetzt elektronische Rezepte zugelassen, und das Parlament wird sie ab 2022 sogar für obligatorisch erklären. Das macht es viel einfacher, Medikamente online zu bestellen. Von der Forschung nach einem Impfstoff und einem höheren Absatz von Medikamenten, die zur Behandlung der Infektionen eingesetzt werden, könnten die Auftragsproduzenten im Pharmabereich wie Lonza (LONN 444.3 0.91%), Bachem (BANB 242 0.62%), Siegfried (SFZN 442.2 0.91%) und vielleicht auch Dottikon profitieren.
Welche Unternehmen meiden Sie?
Wir werden wahrscheinlich langsamer aus dieser Krise herauskommen als zu Beginn gedacht. Millionen von Jobs sind verschwunden, in den USA bewegt sich die Arbeitslosenquote um 15%. Der Konsum wird sich nur langsam erholen. Das trifft in erster Linie die Detailhändler. Auch die Absatzzahlen der Autohersteller werden nicht plötzlich sprunghaft auf das Vorkrisenniveau zurückschnellen. Ein Grossteil der Bevölkerung wird zudem eher skeptisch gegenüber Reise- und Freizeitformen sein, wo man in grosser Zahl lange nah beieinander ist. Die ganze Luftfahrt-, Reise-, Tourismus- und Veranstaltungsindustrie wird länger brauchen, um sich zu erholen.
Welche Schweizer Unternehmen sind betroffen?
Zu nennen ist hier die Messebetreiberin MCH Group (MCHN 12.8 -0.39%), die bereits vor der Krise Probleme hatte. Auch der Duty-Free-Händler Dufry (DUFN 26.89 6.79%) wird noch länger mit halb leeren Flughäfen zu kämpfen haben.
Nach dem Tiefst des Marktes im März hat eine Rally eingesetzt. Wie nachhaltig ist sie?
Ich glaube, der Markt unterschätzt die Möglichkeit einer zweiten Infektionswelle und eines neuerlichen Lockdown. Die Gewinnerwartungen für dieses Jahr sind zwar global stark zurückgekommen. Ich glaube allerdings, dass die längerfristigen Prognosen immer noch nicht realistisch sind und wir eine Korrektur nach unten sehen könnten, wenn die Zweitquartalszahlen uns die Schwere der wirtschaftlichen Verwerfungen erst so richtig vor Augen führen.
Wie werden wir nach der Krise dastehen?
Die staatliche und die private Verschuldung werden höher sein. Die Bilanzen, vor allem die der Konsumenten, werden geschwächt sein. Alles spricht für eine langsamere Erholung, als wir zu Beginn angenommen hatten. Im Moment herrscht aber immer noch viel Optimismus im Markt, und ich hoffe inständig, dass es kein falscher Optimismus ist. Die Möglichkeit besteht jedoch, dass wir weitere Marktkorrekturen sehen werden.
Viele Konjunkturforscher erwarten, dass die Wirtschaft 2021 stark zulegen wird.
Das ist sicher im Bereich des Möglichen. Wir werden aus der Krise mit einer intakten Infrastruktur herauskommen. Viele Unternehmen müssen nur den Schalter umlegen, und die Maschinen laufen wieder. Die Frage ist, wie schnell die Konsumenten wieder auf ihr Vorkrisenniveau kommen. Zudem sehe ich ein Problem in den Interventionen von Regierungen und Zentralbanken, die jetzt auch bereits zuvor notleidende Unternehmen stützen.
Was ist daran falsch?
Mit den umfassenden Hilfsmassnahmen werden auch Unternehmen gerettet, die unter normalen Umständen bankrottgegangen wären. Oder nehmen Sie die Finanzindustrie, wo zum einen die Regeln zur Kapitalausstattung temporär gelockert werden und damit auch Akteure gestützt werden, die längst nicht mehr nachhaltig profitabel sind. Auf der anderen Seite wurde allen quasi untersagt, eine Dividende auszuschütten, wodurch die Starken ihre Stärke nicht ausspielen können. Das ist im Endeffekt auch eine verpasste Chance zur Konsolidierung.
Sie sind skeptisch gegenüber Finanzaktien?
Wir haben keine wirklich schwachen oder bedenklichen Fälle unter den kotierten Banken, Versicherungen oder Finanzdienstleistern in der Schweiz. Die Grossbanken haben von der regen Kundenaktivität im ersten Quartal sogar profitiert. Dass das im zweiten Quartal so weitergeht, ist allerdings zu bezweifeln. Grundsätzlich macht die zunehmende Regulierung den Bankensektor für uns eher unattraktiv. Wir ziehen die Versicherungsgesellschaften klar den Banken vor.
Worauf kommt es in den kommenden Monaten an?
Entscheidend wird sein, wie erfolgreich der Ausstieg aus dem Lockdown vorangeht. Eine zweite Infektionswelle wie in Singapur wäre ein herber Rückschlag.
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