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11:49 Uhr - 21.06.2016

«In Japan ist vielleicht nur Helikoptergeld möglich»

Stuart Winchester, Portfoliomanager bei Allianz Global Investors, glaubt an eine weitere Lockerung der japanischen Geldpolitik – erst Aktienkauf, dann Helikoptergeld.

Herr Winchester, hat die Wirtschaftspolitik des japanischen Premierministers Shinzo Abe, Abenomics, komplett versagt?
Von den drei Pfeilern von Abenomics – lockere Geldpolitik, fiskalischer Stimulus und Strukturreformen – hat nur die Geldpolitik angeschlagen. Die Abwertung des Yens war der Eckpfeiler. Dadurch sind etwa die Gewinne der Exportindustrie gestiegen. Aber die Strukturreformen hätten eigentlich das Herz der Wirtschaftsstrategie sein sollen. Nun ist Deflation, also sinkende Preise, wieder eine Gefahr. Und gleichzeitig stagnieren die Löhne.

Es gibt also nicht genug Strukturreformen?
Mittelfristig ist es am wichtigsten, Frauen in die Erwerbsbevölkerung zu integrieren. Nach den ersten Ankündigungen von Reformen war ich ziemlich optimistisch. Aber es gab keine grossen Veränderungen. Über die letzten zwei Jahre wurde ich vom Reformfortschritt enttäuscht. Die Gesellschaft scheint noch nicht bereit für Veränderungen. Der Mangel an Reformen ist ein Grund, warum sich das Gewicht von Japan in meinem Fonds über die letzten zwei Jahre halbiert hat.

Was wäre ein Beispiel für eine misslungene Reform?
Bis 2020 sollten Frauen 30% der Führungspositionen in Japan stellen. Das ist unmöglich. Heute sind nur 3% aller Verwaltungsräte weiblich. Ein anderes Beispiel ist die Einwanderung. Wenn die Zahl der Kinder nicht steigt, hat Japan langfristig nur die Alternative, mehr Arbeiter aus dem Ausland dauerhaft ins Land zu lassen. Heutzutage bekommen sie nur eine kurzfristige Arbeitserlaubnis. Wegen des Reformmangels läuft Japan die Zeit davon, die demografischen Probleme anzugehen. Meine Erwartungen an die Reformfähigkeit wurden erschüttert, als nicht einmal Casinolizenzen eingeführt wurden, um das Wachstum anzukurbeln. Das wurde im Unterhaus jahrelang diskutiert.

Sie haben mehrere Jahre in Japan gelebt. Was halten Sie vom Argument, dass Japaner ihre Lebensweise durch Immigration nicht gefährden wollen?
Die jüngere Generation ist weniger zufrieden mit der jetzigen Situation. Als Gesellschaft muss man sich weiterentwickeln, man muss sich an neue Gegebenheiten anpassen. Es geht darum, die Dinge zum Besseren zu gestalten. Ein Problem für die Entwicklung in Japan besteht darin, dass die Senioren einen grossen Teil der Bevölkerung ausmachen. Und sie sehen keinen Grund, einen Wandel anzustreben.

Funktioniert die Geldpolitik noch?
Die Bank of Japan hat eine Grenze erreicht, was sie mit ihren jetzigen Instrumenten ausrichten kann. Die Yenabwertung sollte die Preise, die Gewinne und die Löhne erhöhen. Und höhere Löhne sollten den Konsum ankurbeln, wie höhere Cashflows mehr Investitionen auslösen sollten. Das ist nicht geschehen. Es gibt nicht genug Zutrauen zur wirtschaftlichen Situation. Leute sparen, statt zu konsumieren. Daher ist die Nachfrage zu schwach. Der volle Zyklus, der von der Strategie Shinzo Abes angestrebt wurde, aus höherem Konsum und höheren Investitionen, ist nicht zustande gekommen.

Sollte die Notenbank ihre Anleihenkäufe, QE, trotzdem ausweiten?
Es gibt so gut wie keine Staatsanleihen mehr zu kaufen. Und die Zinsen können nicht viel tiefer sinken. Die japanische Notenbank handelt momentan richtig und wartet, nachdem die Regierung die Mehrwertsteuererhöhung verschoben hat, erst einmal ab, welchen Effekt die Negativzinsen zeigen werden. Aber da die Deflation zurückkommt, wird die Bank of Japan wohl unter Druck stehen, mehr zu tun. Im nächsten Schritt könnte sie mehr Aktien kaufen. Auch Helikoptergeld ist eine Möglichkeit.

Aber Notenbankgouverneur Haruhiko Kuroda hat das ausgeschlossen.
Am Ende könnte es das einzige geldpolitische Instrument sein, das noch zur Verfügung steht. Die japanische Regierung könnte eine ewige Anleihe ausgeben, die von der BoJ gekauft wird – und nie verkauft wird. So würden Staatsausgaben faktisch durch Gelddrucken finanziert werden. Die Regierung könnte dann zur Konsumsteigerung an die Bürger Einkaufsgutscheine ausgeben, die innerhalb eines Jahres benutzt werden müssen. Japan hatte schon einmal gute Erfahrungen mit Helikoptergeld gesammelt. Nach der Weltwirtschaftskrise wurde so ab 1930 die Arbeitslosigkeit gesenkt und die Industrieproduktion angeschoben. Aber natürlich gibt es grosse Risiken mit dem Einsatz solch eines Instruments.

Könnte eine noch lockerere Geldpolitik positiv für japanische Aktien sein?
Ja, ich erwarte eine neue Ankündigung von Massnahmen der japanischen Notenbank im September. Dies könnte dem Nikkei einen neuen Schub geben. Und wenn die Zinsen tief blieben, sollten Unternehmen mit einem hohen freien Cashflow und einer hohen Dividendenrendite beliebt bleiben. So könnten ausgewählte Unternehmen im Finanzdienstleistungssektor durch die lockerere Geldpolitik Rückenwind bekommen. Aber dieses Szenario für die japanische Wirtschaft ist nicht, was ich anfangs erwartet hatte.

Was war denn Ihr Szenario?
Am Anfang von Abenomics war ich optimistisch für die Folgen. Das hätte höheres Wachstum, höhere Inflation und mehr Nachfrage nach Produkten bedeutet. Und wenn sich die Wirtschaft besserte, würde sich auch der Yen aufwerten. In meinem utopischen Szenario wäre das 2017 geschehen. Als Folge hätte die Bank of Japan dann ihre Geldpolitik gestrafft. Nun wertet sich der Yen zwar auf, aber aus den falschen Gründen – die Deflation konnte nicht aufgehalten werden. Gleichzeitig hat die lockere Geldpolitik die Finanzmärkte verzerrt. Niedrige Zinsen machen es schwierig, Risiken richtig zu bewerten. Das führt zu vielen ungewollten Nebenwirkungen. Insgesamt ist die jetzige Geldpolitik nicht gut für die wirtschaftliche Entwicklung.

Vergangenes Jahr wurden in Japan Verbesserungen der Corporate Governance, der Unternehmensführung, gelobt. Unternehmen sollten sich mehr an den Interessen der Anleger orientieren. Geschieht das?
Ja, es verändert sich etwas. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres war das Volumen der Aktienrückkäufe durch Unternehmen so hoch wie im gesamten vergangenen Jahr. Ein anderes Zeichen einer positiven Entwicklung sehe ich darin, dass mehrere Verwaltungsräte wegen Interessenkonflikten zurückgetreten sind. Aktien von Gesellschaften, die ihre Corporate Governance anpassen, werden davon profitieren. Aber nicht alle Unternehmen scheinen diesen Wandel zu unterstützen.

Was für Titel suchen Sie für Ihren Fonds?
Ich mag Unternehmen, die über viele Jahre stabil wachsen, aber auch Turnaround-Kandidaten, die es leid sind, von der Konkurrenz abgehängt zu werden, und drakonische Massnahmen ergreifen. In Japan ist Hitachi ein Beispiel für solch einen Turnaround. Attraktiv ist auch eine Technologie, die eine grosse Anzahl möglicher Anwendungen bereithält. Selbst wenn die konkreten Anwendungen noch nicht sichtbar sind. Ein Beispiel dafür ist Koh Young Technology, ein koreanisches Unternehmen, in das ich investiert bin. Es ist ein Weltmarktführer in Prüfmaschinen mit 3D-Optik. Eine unerwartete Anwendung der Technologie hat sich in der Krebschirurgie ergeben. Chirurgen können während der Operation bestimmen, ob noch Krebszellen verblieben sind, die entnommen werden müssen.

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