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16:24 Uhr - 19.11.2014

Das neue Jahr wird zum Nerventest für Anleger

Wo man hinschaut, die Gräben werden tiefer – konjunkturell, zinspolitisch, und natürlich im Depot. Für die Bank Julius Bär heisst das: Achtung vor Korrekturen. Aktienseitig sieht sie für das erste Halbjahr US-Titel, die Schweiz und Japan im Vorteil.

Unter das Thema «bipolare oder gespaltene Welt» stellt Bank Julius Bär (BAER 43 0%) ihren «Geldpolitische Massnahmen der EZB müssen bald fruchten»Christian Gattiker, Chefstratege und Leiter Research der Bank Julius Bär, erklärt im Videointerview, warum die Schweiz auch 2015 abhängig von der Geldpolitik in der Eurozone bleibt. Finanzmarktausblick 2015: Divergenzen bei Konjunktur, Geldpolitik, Reformwille, Kapitalströmen und entsprechend auch zwischen und innerhalb von Anlageklassen. Atypisch im Vergleich zu früheren Jahren sei, dass sich nicht mehr die aufstrebende und die entwickelte Welt gegenüberstehen, sondern beide Gruppen sich in Problemländer und in (bescheiden) wachsende Volkswirtschaften gliedern.

Unter den Schwellenländern kämpfen Schwergewichte wie Brasilien, Russland, Indonesien und Hongkong mit Problemen. Unter den etablierten Ökonomien ist es vor allem die Eurozone, die zu Sorgen Anlass gibt. Italien, und wenn man es genau nimmt auch Frankreich, stecken in der Rezession, und Deutschland kommt nur noch langsam vom Fleck. «In der Schweiz erwarten wir keine Delle, aber fernhalten von den Wachstumsschwierigkeiten im benachbarten Ausland kann sich das Land nicht», konstatiert Chefökonom Janwillem Acket.

In Zahlen sieht das folgendermassen aus: Für die Schweiz erwartet Bank Bär für 2015 ein Wirtschaftswachstum von 1,4%, nach 1,5% in diesem und 1,9% im vergangenen Jahr, sowie eine unveränderte Arbeitslosenquote von 3,2%. Die Euroländer würden 2015 durchschnittlich nur 0,8% wachsen, «weit unter dem Potenzialwachstum und entsprechend mit ungenügend ausgelastetem Arbeitsmarkt». Der Spielraum für Inflation bleibt vor diesem Hintergrund klein. Deflation sei nicht ausgeschlossen. Die Wahrscheinlichkeit dafür beziffert Acket mit rund 30% und damit nicht gering, aber auch nicht besorgniserregend. Die Europäische Zentralbank (EZB) werde weiterhin aus vollen Rohren schiessen und den Kreditmarkt fluten, weshalb sich der Euro zum Dollar weiter abschwächen werde und so ein gewisser inflationärer Gegendruck entstehe.

Was kann die EZB noch tun?

Kurslimite für den Euro?Der Chefökonom von Bank Julius Bär, Janwillem C. Acket, bezweifelt, dass der Euro längerfristig zum Dollar an Wert verlieren wird. Strengere Regeln hätten dazu geführt, dass die Banken in der Eurozone bereits genügend Zentralbankliquidität haben. So werde die EZB ihr Ziel der Bilanzausweitung um 1 Bio. € weder erreichen noch den Euro längerfristig schwächen können, zumal dieser fundamental unterbewertet sei. «Sobald die lockere Geldpolitik ab dem zweiten Quartal 2015 das Wachstum anzukurbeln beginnt, wird der Aufwertungsdruck auf den Euro zunehmen», glaubt Acket. Eine zu verteidigende Wechselkursschwelle (Höchstkurs) für den Euro wäre eine vernünftige Idee in der heutigen, verzwickten Lage, schlägt er vor. Kurzfristig ist eine solch radikale Massnahme unwahrscheinlich. Überlegenswert ist der Vorschlag aber allemal. Immerhin macht die Schweiz, die für den Euro einen Mindeskurs zum Franken definiert hat, damit gute Erfahrung. Zumindest als Gedankenspiel – weil die EZB keine quantitative Lockerung à la USA und Japan betreiben darf, also den Aufkauf von Staatsanleihen und damit die direkte Finanzierung der Staatshaushalte – bringt die Bank Bär eine weitere Variante ins Spiel: Warum sich nicht an der Schweizerischen Nationalbank (SNB (SNBN 1055 -0.38%)) orientieren und, umgekehrt wie die SNB, einen Höchstkurs für den Euro zum Dollar definieren? In der EZB-Bilanz würden sich zwar Euro anhäufen, aber die Wirtschaft erhielte dadurch womöglich Impulse.  Nachdem die Politik in Europa zwar fähig, aber nicht willens sei, strukturelle Reformen auf den Weg zu bringen, sei wenigstens die EZB willens, alles für ein dynamischeres Europa zu tun. Ob diese Fähigkeit reicht, ist eine andere Frage.

So bleibt der Welt, von Grossbritannien abgesehen, nur die Wachstumsmaschine USA übrig, mit einem prognostizierten Wachstum 2015 von 3,1% nach 2,2% in diesem Jahr. Dazu kommt China: Mit plus 7,3% nicht mehr der Überflieger früherer Jahre, aber noch immer mit deutlichem Vorsprung. «Insgesamt enttäuschend im sechsten Jahr der Erholung von der Finanzkrise», stellt Acket fest. Früher habe um diese Zeit nach Krisen ein globales Wachstum von 5% statt jetzt nur 3% vorgeherrscht.

Anlagenot treibt Aktien weiter hoch

Eine andere Analogie könnte dieses Mal jedoch zutreffen: dass sich die Anlagemärkte gleich wie vor zwanzig Jahren, in den Neunzigern, entwickeln. Darauf wies Chefstratege und Leiter Research, Christian Gattiker, hin, der den anlagepolitischen Ausblick präsentierte: Damals waren US-Aktien dem Rest der Welt davongeeilt, während Schwellenländer, Rohstoffe und Hedge Funds abgeschlagen hinterherhinkten. «US-Aktien sind teuer, aber nicht zu teuer», sagt Gattiker. Eine erste Leitzinserhöhung in den USA erwartet die Bank frühestens im vierten Quartal 2015. Niedrigstzinsen und Anlagenot seien deshalb auch im kommenden Jahr die Treiber an den Aktienmärkten, wenngleich die Korrekturen aufgrund der Divergenzen in der Weltwirtschaft und stets wieder aufkeimender Zinsängste schärfer würden. Anleger bräuchten stärkere Nerven als in diesem Jahr, das auch nicht störungsfrei ablief. Doch «Aktien sind noch immer attraktiv – historisch wie im Vergleich zu Anleihen», betont Gattiker.

Europa komme zurück auf den Radar, wenn sich die Konjunktur stabilisiere oder falls die EZB «all-in, das heisst aufs Ganze geht». Bis dahin werden US- und Schweizer Aktien sowie Japan favorisiert; die Schweiz aufgrund ihrer Aktienmarktstruktur mit starkem Gewicht von Pharma. Gesundheitsaktien gehören generell zu Gattikers Favoriten, «als Obligationenersatz und als Wachstumssegment». Weitere selektive Themen für das Depot sind Unternehmensreformen in China (Hinwendung zur Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft), Bildung sowie Autozulieferer mit Hinwendung zu Elektrofahrzeugen. Mit Skepsis beurteilt Gattiker rohstofflastige Schwellenländer und Gold (Gold 1191.4 0.78%), das unter dem schwindenden Bedarf an Sicherheit und der erwarteten langsamen Normalisierung der Geldpolitik leide.

«Geldpolitische Massnahmen der EZB müssen bald fruchten»Christian Gattiker, Chefstratege und Leiter Research der Bank Julius Bär, erklärt im Videointerview, warum die Schweiz auch 2015 abhängig von der Geldpolitik in der Eurozone bleibt.

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