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11:28 Uhr - 28.04.2015

«Relativ betrachtet sind Europas Aktien günstig»

Andreas Zöllinger, Manager des European Equity Income Fund von BlackRock, äussert sich im Interview mit FuW über das Kurspotenzial von europäischen Dividendentiteln und verrät, welche Schweizer Aktien ihm besonders zusagen.

Herr Zöllinger, wie stufen Sie das Potenzial am europäischen Aktienmarkt ein?
2015 wird unseres Erachtens deutlich besser als 2014. Erstmals seit vielen Jahren werden in Europa mehr Gewinnerwartungen auf- als abgestuft. Zudem trägt der niedrige Ölpreis dazu bei, den Konsum anzukurbeln. Und die quantitative Lockerung durch die Europäische Zentralbank begünstigt die Kreditvergabe – Kredite, die von Unternehmen und Privaten tatsächlich auch nachgefragt werden.

Welche positiven Argumente können sonst noch genannt werden?
Das Makroumfeld hat sich in Europa ganz grundsätzlich verbessert. Die Unternehmensgewinne dürften dieses Jahr rund 10% steigen – abhängig von der Währungsentwicklung kann es durchaus auch mehr sein. Vorteilhaft wirkt sich zudem die Positionierung der Investoren aus: Im zweiten und dritten Quartal 2014 ist viel Kapital aus Europa abgeflossen. Im November hat sich dieser Trend umgekehrt.

Ist denn das Bewertungsniveau nach den starken Kursavancen der letzten Monate nicht schon ausgesprochen hoch?
Es kommt auf die Perspektive an. Man kann die Bewertungen absolut oder relativ betrachten. Zurzeit notiert das Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2016 ungefähr zwischen 14 und 14,5. Das liegt leicht über dem zehnjährigen Mittel von 13,5. Auch die Dividendenrendite deutet mit rund 3,3% darauf hin, dass der Markt ein bisschen höher als der langjährige Durchschnitt bewertet ist. Er befindet sich aber nicht auf einem Niveau, wo wir sagen würden: Das ist jetzt teuer.

Und relativ gesehen?
Relativ betrachtet sind Aktien grundsätzlich und europäische Titel im Speziellen günstig – etwa wenn man die Renditedifferenz zu Staatsanleihen betrachtet. Deshalb fühlen wir uns in dieser Assetklasse wohl, selbst wenn in einigen Bereichen die Erwartungen bereits hoch sind.

Wie schätzen Sie das Risiko des «Grexit» – also des Ausscheidens Griechenlands aus der Eurozone – sowie seine Folgen ein?
Wir gehen davon aus, dass in den Verhandlungen eine Lösung gefunden werden kann. Auf der einen Seite versucht Europa, Griechenland in der Währungsunion zu halten. Auf der anderen Seite sprechen sich weiterhin 80% der griechischen Bevölkerung für den Verbleib aus. Und selbst wenn es, was wir nicht glauben, zum «Grexit» kommen sollte, wäre Europa deutlich besser für den Austritt gerüstet. Das Schreckgespenst wirkt also nicht mehr ganz so bedrohlich wie 2011.

Im European Equity Income Fund ist Grossbritannien übergewichtet. Ist hier das Investitionsprofil angesichts des starken Pfunds und der politischen Unsicherheit nicht unattraktiv?
Wir sehen mehrere Variablen, die in unterschiedliche Richtungen wirken. So hat sich die britische Wirtschaft sehr stark entwickelt, was gleichzeitig ein grösseres Risiko einer Zinserhöhung nach sich zieht. Die Stärke des Pfunds überrascht mich dennoch ein bisschen – vor allem angesichts der politischen Unsicherheit vor den kommenden Unterhauswahlen.

Wie gehen Sie mit dieser Unsicherheit um?
Wir haben bereits über die vergangenen zwei Quartale unser Portfolio durchkämmt. Wir wollen in keinem Unternehmen investiert sein, das von einem Regierungswechsel negativ tangiert werden würde. Bei Versorgern und Banken haben wir uns deshalb zurückgehalten. Sollten wir am Markt nach den Wahlen eine stark negative Kursreaktion sehen, würden wir die Chance für selektive Zukäufe nutzen.

Ein dominantes Thema am Aktienmarkt ist der Beginn des US-Zinserhöhungszyklus. Wann wird die Notenbank Fed erstmals an der Zinsschraube zu drehen beginnen?
Das ist eine Frage, die wir schon seit Jahren diskutieren. Zurzeit geht der Markt davon aus, dass die erste US-Zinserhöhung im September stattfindet. Das Fed fürchtet sich allerdings davor, einen Fehler zu begehen und die Zinsen zu früh anzuheben. Angesichts der Dollarstärke, sinkender Inflationserwartung und der wirtschaftlichen Schwäche im ersten Quartal wäre ich nicht überrascht, wenn der erste Zinsschritt zu einem späteren Zeitpunkt gemacht würde.

Welche globalen Folgen wird die erste US-Zinserhöhung nach sich ziehen?
Der Markt hat mittlerweile längst verdaut, dass die Zinsen in den USA steigen werden. Die wichtigere Frage ist deshalb, wie es anschliessend weitergeht. Handelt es sich um eine einmalige Aktion, nach der die Zinsen längere Zeit stabil bleiben? Oder beginnt damit der Zyklus einer stufenweisen Erhöhung? Unserer Meinung nach dürfte eher Ersteres zutreffen.

Welche Wirkung dürfte der unterschiedliche Fahrplan der Notenbanken auf das Währungsgefüge ausüben?
Nach den jüngsten Währungsbewegungen dürfte es vorerst zu einer Stabilisierung kommen. Wir sind allerdings überzeugt, dass sich auf die kommenden zwölf  bis 24 Monate die Dollarstärke sowie die Euroschwäche fortsetzen werden.

Kommen wir auf einzelne Sektoren zu sprechen. Wie beurteilen Sie aus Dividendensicht das Potenzial von Finanztiteln?
In Europa machen Banken rund 15% des gesamten Dividendenpools aus. Das sind Ausschüttungen, auf die wir Zugriff haben wollen. Lange war uns der Sektor aber zu volatil und zu risikoreich. Das hat sich über die vergangenen Monate geändert. Angesichts der sich aufhellenden makroökonomischen Rahmenbedingungen und mehr Klarheit bezüglich Regulierung und Kapitalvorschriften beginnen wir langsam, Positionen aufzubauen.

Ihre grösste Position im Fund ist Royal Dutch Shell (RDSB 2102.5 0.24%). Was halten Sie grundsätzlich vom Energiesektor? Viele Branchenvertreter scheinen ihre Ausschüttungen zurzeit aus der Substanz zu bedienen.
Auf Dividendenkürzungen sind wir allergisch. Wir stossen jede Aktie umgehend ab, sobald wir hierfür nur die kleinsten Anzeichen erkennen. Deshalb haben wir gegen Ende des vergangenen Jahres einige unserer Positionen im Energiesektor verkauft – wie beispielsweise Eni (ENI 17.525 0.72%). Wir halten nur noch einen einzigen Energietitel im Portfolio, und das ist Royal Dutch Shell.

Was unterscheidet denn Royal Dutch Shell von den Wettbewerbern?
Das Unternehmen hat noch nie in seiner Geschichte die Dividende gekürzt. Das ist schon mal ein guter Ausgangspunkt. Vor allem aber halten wir verglichen mit anderen Ölmultis die Bewertung für attraktiv.

Welche Ölpreisentwicklung legen Sie Ihren Einschätzungen zugrunde?
Der Ölpreis könnte in den nächsten zwölf Monaten wieder auf 70 bis 75 $ pro Fass steigen. Dort dürfte es dann zu einer starken Angebotsausweitung kommen, die weitere Avancen über dieses Niveau hinaus verhindert. In vielen Energietiteln sind diese 70 bis 75 $ allerdings schon eingepreist. Einzig Royal Dutch Shell ist genügend günstig bewertet, dass man hier das Risiko eines neuerlichen Ölpreisfalls auf 50 $ pro Fass eingehen kann.

Welche Einzeltitel würden Sie empfehlen?
Wir halten etwa die Valoren von Roche (ROG 275 -1.36%) im Portfolio – ein tolles Unternehmen, das über sehr gute Wachstumstreiber verfügt. Natürlich handelt es sich um eine Aktie, die im Markt sehr beliebt ist. Mit einer Dividendenrendite von über 3% und niedriger Volatilität bleibt sie aber attraktiv. Dasselbe gilt für Novartis (NOVN 99.2 -1.2%). Das sind zwei Aktien, die wir für einen sehr langen Zeitraum im Portfolio führen wollen.

Können Sie weitere Titel nennen?
Der finnische Versicherungskonzern Sampo, zu 90% im Bereich Nichtleben tätig, zählt zu den Qualitätsunternehmen überhaupt. Er verfügt über ein Management mit sehr starkem Leistungsausweis. Ausserdem liegt die Dividendenrendite wieder über 5%. Letztes Jahr wurde die Ausschüttung 15% erhöht. Das kann sich dieses Jahr gut und gern wiederholen. Zudem ist die Bilanz sehr solide. Sampo gehört zu den Unternehmen, wo wir Rückschläge jeweils für Zukäufe nutzen.

Und sonst?
In unserem Fund halten wir auch Atlantia, einen Konzern, der auf italienischen Autobahnen Mautstellen betreibt. Die Aktien weisen eine Dividendenrendite von 3 bis 3,5% auf. Es ist der klassische Fall eines soliden Unternehmens, das über stabilen Cashflow verfügt – von Investoren aber zu Unrecht mit anderen Titeln der Europeripherie in einen Topf geworfen wird.

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