Zurück zur Übersicht
16:23 Uhr - 23.12.2014

«Meide die Schlange»

Die Anlagephilosophie von James Grant, Chef des Investment-Bulletins «Grant’s Interest Rate Observer».

Mein bester Investmenttipp ist, niemals etwas zu kaufen, für das man in einer Schlange anstehen muss. Diese Lektion lernte ich gleich zu Beginn meiner Karriere in der Finanzwelt, als sich die wilde Inflation Ende der Siebzigerjahre ihrem Höhepunkt näherte und Gold (Gold 1178.4 0.37%) gegenüber dem Dollar täglich an Wert gewann. Das Edelmetall war damals hochpopulär, zumal es in den USA erst ab 1975 legal war, Gold zu erwerben. Wie viele andere Leute stellte ich mich also in die Reihe am Schalter und kaufte ein paar Krugerrands für rund 700 $ pro Unze. Doch bald darauf kollabierte der Goldpreis, und es kostete mich 25 Jahre, bis mein Investment profitabel war.

Umgekehrt erscheinen die besten Investments oft so hoffnungslos, dass man sich kaum dazu durchringen kann. Sie sind so unbeliebt, dass man sich fast schon schämt, darüber zu sprechen. In diese Kategorie fällt derzeit jede Art von Engagements in Russland. Der Rubel erleidet einen Crash, Russlands Präsident Wladimir Putin hat sich international weit ins Abseits manövriert, und die Bewertung russischer Aktien ist auf ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 3 bis 4 zusammengebrochen. Vor diesem Hintergrund getraue ich mich fast nicht zuzugeben, dass ich in Russland investiert bin.

Das treffendste Bonmot zur Kunst des Anlegens stammt von meinem Freund Joe Robillard: «Erfolgreiches Investieren bedeutet, dass alle mit dir einverstanden sind – und zwar später.» Ebenfalls sehr inspirierend ist dieses Zitat des Value-Investors Benjamin Graham: «Information ist nur ein Faktor, um den angemessenen Preis einer Aktie zu ermitteln. Ebenso wichtig ist der zweite Faktor, nämlich ein gesundes Urteilsvermögen.» Graham meinte damit, dass der Markt den Preis zwar auf Basis von Informationen ermittelt. Je nachdem, ob Euphorie herrscht, grosses spekulatives Interesse besteht oder die Stimmung im Keller ist, kann die Interpretation derselben Daten jedoch weit variieren.

Eine grosse Diskrepanz lässt sich derzeit in der Bewertung von Krediten aus dem Energiesektor beobachten. Die Anleihen des US-Ölförderkonzerns Halcon etwa rentieren 18%, was grosse Skepsis unter Investoren signalisiert. Die Rendite ist hoch, obwohl sich Halcon bis 2016 gegen den sinkenden Ölpreis komfortabel abgesichert hat. Anders ist die Situation von Petrobras. Der staatlich kontrollierte Champion Brasiliens ist der am höchsten verschuldete Energiekonzern der Welt und steht im Fokus diverser Ermittlungen. Auch hat er den Geschäftsabschluss zum dritten Quartal bisher nicht publiziert. Trotzdem handelt keine Anleihe von Petrobras zu einer Rendite von über 8,25%. An den globalen Bondmärkten könnte Petrobras deshalb bald für erhöhte Aufmerksamkeit sorgen und sich zu einer der grössten Stories von 2015 entwickeln.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.