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06:57 Uhr - 15.05.2015

Die zweite Verheissung von Bitcoin

Auch wenn sich die digitale Währung nicht durchsetzt, könnte die Finanzwelt von ihr profitieren. Denn die Technologie dahinter stellt einiges auf den Kopf.

Da horcht man auf, wenn sich der IT-Chef der UBS (UBSG 19.39 -1.62%), Oliver Bussmann, so begeistert zeigt. «Die Blockchain-Technologie hat das Potenzial, eine massive Vereinfachung von Bankprozessen und der Kostenstruktur auszulösen», sagte Bussmann an einer Veranstaltung Ende des vergangenen Jahres. Die Blockchain ist die unter der Digitalwährung Bitcoin stehende Netzwerk- und Softwarearchitektur. Anfang Woche ist bekannt geworden, dass der Börsenbetreiber Nasdaq OMX (NDAQ 51.45 1.38%) die Technologie einsetzen will, zuerst für den ausserbörslichen Handel.Wie eine Bitcoin-Transaktion abläuftSich Bitcoin nur als Währung vorzustellen, greift zu kurz. Das Interessante an den virtuellen Münzen ist die revolutionäre Methode, wie Transaktionen sicher abgewickelt werden können. Informieren Sie sich hier wie eine Transaktion abläuft.

Dabei ist es um Bitcoin selbst ruhig geworden. Die digitale Währung hat in der Öffentlichkeit viel von ihrer Reputation verloren – auch wenn sich die Lage stabilisiert hat (vgl. Textbox unten). Im Finanzsektor will man die Blockchain adaptieren, auch wenn man die Währung meidet. Die UBS hat erst im April angekündigt, speziell für diese Technologie ein Forschungslabor in London einzurichten.

Bitcoin hat gezeigt, dass eine Währung ohne zentrale Instanz funktionieren kann. Nun werden Projekte vorbereitet, wie die Blockchain als dezentral verteiltes Register alle möglichen Arten von Eigentumsrechten verwalten kann. «Im Moment entstehen erste Prototypen», erklärt Falk Kohlmann. Er ist Leiter des Think Tank E-Foresight von Swisscom (SCMN 551 1.01%). Im Finanzsektor ist laut Kohlmann der Zahlungsverkehr eines der attraktiven Anwendungsgebiete. «Darüber hinaus können Besitzrechte bei Aktien, Fonds oder Immobilien mit der Blockchain abgebildet und verwaltet werden», meint der Experte.

So betont die Bank of England in einem Bericht, dass schon heute die meisten Finanzanlagen wie Aktien und Obligationen nur im Computer existieren. «Es ist möglich, dass die derzeitige zentrale Infrastruktur des Finanzsystems durch ein verteiltes System schrittweise ersetzt wird», schreiben die Notenbanker.

Anwendungen kommen

Das Potenzial von Blockchain wird laut  Kohlmann bald erkannt werden: «Wir glauben, dass sich in nächster Zeit die ersten Anwendungsfälle als attraktive Alternativen zu bestehenden Einrichtungen erweisen werden.» Auch ausserhalb der Finanzindustrie könnte man sich die Idee der Transaktionskette zunutze machen.

«Mehrwert von Blockchain für einzelne Anwendungen prüfen»Der 21-jährige Vitalik Buterin will mit Ethereum die Blockchain-Technologie für viele Anwendung nutzbar machen. Auch wenn sie nicht gleich revolutionäre Veränderungen auslöst. Lesen Sie hier das Interview.Die Vision hinter Blockchain geht weit. So sollen intelligente Verträge, sogenannte Smart Contracts, ermöglicht werden, die Transaktionen ohne menschliche Einmischung abwickeln. Noch weiter geht die Idee von autonomen Organisationen, die Dienstleistungen bereitstellen oder Aufgaben wahrnehmen, ohne unter menschlicher Kontrolle zu stehen. Das hat auch einen philosophischen Reiz. Man ist nicht mehr auf die Ehrlichkeit von Menschen angewiesen, sondern kann auf eine transparente und verlässliche Logik vertrauen. Das Softwareprojekt Ethereum will eine Plattform nutzbar machen, in der Applikationen direkt in die Blockchain geschrieben werden können. So könnte in Zukunft ein Vertrag mit einer ausgefeilten Logik direkt und nicht manipulierbar festgeschrieben werden.

Denkbar ist eine autonome Versicherung, die ausgezahlt wird, wenn eine unabhängige Partei einen Schaden feststellt. Auch Treuhandkonten sind möglich, die mehrere digitale Unterschriften zur Auszahlung benötigen. Marktplätze oder Börsen sind denkbar, die eigenständig – ohne eigene Computer oder Verwaltung – arbeiten. Applikationen könnten auch selbständig den nötigen Computerspeicher handeln. So will man das Internet unabhängig von zentralen Dienstleistern wie Google (GOOGL 549.2 1.8%) oder Yahoo (YHOO 44.95 1.25%) organisieren. Der 21-jährige Ethereum-Gründer Vitalik Buterin glaubt, dass sich Blockchain in spezifischen Anwendungen durchsetzen wird und nicht durch eine grosse Umwälzung. «In vielen Fällen wäre die Anwendung von Blockchain sinnvoll, aber die einzelnen Anwendungen müssen nicht die Welt verändern», meint Buterin.

Daraus folgt, dass die Öffentlichkeit gar nicht so viel von der Revolution im Hintergrund mitbekommt. «Der Endkunde merkt erst einmal nichts, ausser, dass es günstiger ist», sagt Kohlmann.

Offene Fragen zur Haftung

Kritik kommt von Juristen, die auf offene Fragen bei den intelligenten Verträgen und den autonomen Organisationen hinweisen. Es müsse geklärt werden, wie freigesetzte Programme haftbar gemacht werden können, wenn sie an die Stelle von zentralen Einrichtungen treten. Als unbestritten gelten dagegen «reine» Transaktionssysteme – sie sind etwa die Bausteine der Infrastruktur von Banken.

Auch das transparente Konzept von Blockchain – eigentlich ein Pluspunkt – könnte Diskussionen auslösen. Zwar ist man als Nutzer anonym, doch man kann durch die digitale Unterschrift, den öffentlichen Schlüssel, die Transaktionen verfolgen. «Eine offene Frage ist, wie anonym etwa ein Grossunternehmen in der Blockchain sein kann», meint daher Falk Kohlmann. Würden viele Transaktionen mit dem gleichen Schlüssel signiert, zoomkönne das Unternehmen seine Identität kaum verheimlichen.

Blockchain könnte sich sehr schnell zum neuen Baustein in der Finanzinfrastruktur entwickeln. Ob sich aber all die hochtrabenden Pläne und Träume einiger Verfechter der Technologie realisieren lassen, wird sich noch erweisen müssen.

Nach dem Hype kommt die StabilitätKeine Neuigkeiten sind gute Neuigkeiten. Das scheint für Bitcoin in den letzten Monaten zuzutreffen. Denn davor musste die virtuelle Währung eine turbulente Zeit durchmachen, die viel Vertrauen gekostet hat.

Im Herbst 2013 begann eine Euphorie, in deren Zuge sich der Preis für Bitcoin innerhalb kurzer Zeit verzehnfachte. Der Siegeszug schien nicht aufzuhalten zu sein, die breite Öffentlichkeit zeigte sich interessiert an dem monetären Experiment – immer mehr Spekulanten kauften deswegen die Währung. Im Dezember 2013 wurde das Allzeithoch von 1150 $ je Bitcoin erreicht. Doch dann folgte der Absturz. Danach entwich stetig Luft aus der Bitcoin-Blase.

Der Hype um Bitcoin liess sich auch deswegen nicht mehr anfachen, da die Währung von einem Skandal nach dem anderen belastet wurde. Im Februar 2014 schloss die einst grösste Bitcoin-Börse Mt. Gox ihre Webseite. Von Kunden eingezahlte Guthaben mit einem Gegenwert von mehreren hundert Millionen Dollar waren verloren – wahrscheinlich war die Börse Opfer eines Hackerangriffs. Nach einer neuen Analyse waren schon Ende 2011 die dem Kunden angezeigten Guthaben durch das Bitcoin-Vermögen von Mt. Gox nicht mehr gedeckt.

Doch während die Digitalwährung aus dem Fokus der Spekulanten gefallen ist, gibt es mehr und mehr reale Einsatzmöglichkeiten für Bitcoin. Nach Schätzungen hat sich der Handel von Gütern und Dienstleistungen, der mit Bitcoin bezahlt wurde, vergangenes Jahr verdoppelt. Der US-Versandhändler Overstock.com akzeptiert Bitcoin als Bezahlung. Auch der Computerhändler Dell und das Online-Reisebüro Expedia bieten diese Bezahlmöglichkeit an. In Schwellenländern werden Bitcoin vermehrt genutzt, um sich gegen die Schwankungen der Landeswährung abzusichern.

Der Einsatz als Zahlsystem hat den Preis für Bitcoin stabilisiert. Der Kurs zum Dollar ist seit Anfang Jahr stabil über 200 $. Wer vor dem Hype Mitte 2013 in die Währung eingestiegen ist, hat damit sein Investment immerhin noch verdoppelt.

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