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07:05 Uhr - 11.05.2015

In den Schwellenländern fehlt der Schwung

Für hiesige Unternehmen ist es harziger geworden, in den Emerging Markets Wachstum zu generieren. Es gibt indessen auch Reaktionsmöglichkeiten.

Die Dynamik in den Schwellenländern (Emerging Markets, EmMa) hat in den ersten Monaten des laufenden Jahres weiter nachgelassen. Das bleibt für Schweizer Unternehmen mit einem hohen EmMa-Exposure nicht ohne Folgen. Es sei für sie «deutlich harziger geworden, in Schwellenländern Wachstum zu generieren», sagt Lorenz Reinhard, Leiter Schweizer Aktien bei Pictet. Hiesige Unternehmen erzielen gemäss einer Studie von Morgan Stanley (MS 37.89 0.93%) im Durchschnitt rund einen Drittel ihres Umsatzes in Emerging Markets. Sie gehören damit in Europa zu den Gesellschaften mit einem der höchsten EmMa-Exposure.

zoom«Das Wachstum in den Schwellenländern hat sich im ersten Quartal weiter abgeschwächt», konstatiert Beat Schumacher, Ökonom bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Von der Abschwächung seien speziell die Rohstoffexporteure unter den Emerging Markets betroffen, vor allem in Lateinamerika. «Brasilien ist gar in eine Rezession gerutscht», sagt Schumacher. Die Investitionen seien geschrumpft und der Privatkonsum schwäche sich ab.

Russland, ein europäischer Rohstoffexporteur, durchläuft dieses Jahr gemäss Schumacher ebenfalls eine Rezession, auch aufgrund der westlichen Sanktionen gegen das Land. Auch dort würden Investitionen und Privatkonsum sinken. Die Rohstoffexporteure leiden unter der schwächelnden Nachfrage und den niedrigen Preisen. Weil er weniger einnimmt, beginnt auch der Staat zu sparen, was die Wachstumsdynamik ebenfalls hemmt.

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Indien noch am besten

Die Rohstoffimporteure unter den Emerging Markets, darunter viele asiatische Länder, halten sich dagegen gemäss Schumacher besser. «Ihre Wirtschaft profitiert von den aktuell günstigen Rohstoffpreisen», erklärt der ZKB-Ökonom. Aktiencheck von Schweizer TitelBranche Konsum und Luxus:
Nestlé, Swatch Group und Richemont

Branche Industrie:
ABB, Holcim und Schindler
Vor allem für Indien sind viele Schweizer Unternehmen – etwa der Aufzughersteller Schindler (SCHN 157 0.96%) – weiterhin optimistisch. Das Land sei noch «das Intakteste unter den grossen Emerging Markets», sagt Pictet-Mann Reinhard.

Wie geht es weiter in den Schwellenländern? ZKB-Ökonom Schumacher sieht einen Silberstreif am Horizont. Angesichts der spürbaren Wachstumsabschwächung auch in China habe die dortige Regierung begonnen, die Wirtschaft wieder deutlich zu stimulieren. In anderen Emerging Markets seinen Leitzinssenkungen durchgeführt oder angekündigt worden. Diese Massnahmen würden kurzfristig zu einer Stabilisierung des Wachstums führen.

«Insgesamt gehen wir davon aus, dass es in den Schwellenländern in der zweiten Hälfte 2015 zu einer marginalen Erholung kommt», prognostiziert Schumacher. Dazu würden auch die Industrieländer beitragen. In den USA und in der Eurozone sei mehr Wachstum zu beobachten. Das erlaube es den Schwellenländern, ihre Exporte dorthin wieder zu steigern.

Trotzdem: «Schweizer Unternehmen spüren, dass in den Schwellenländern im Vergleich zur Situation vor drei, vier Jahren der Schwung fehlt», sagt Pictet-Mann Reinhard. Konzerne, die damals als Gewinner der Globalisierung und der stürmischen Entwicklung Asiens und insbesondere Chinas gefeiert worden seien, hätten heute Mühe an der Börse.

Reinhard glaubt, dass es für Schweizer Unternehmen in den Emerging Markets «noch längere Zeit schwierig» bleibt. Von den Schwellenländern werde «in nächster Zeit kein grosser Impuls» ausgehen.

Partner können helfen

Wie reagieren hiesige Konzerne auf die  Wachstumsverlangsamung in den Emerging Markets? Sie machen – wie etwa der Nahrungsmittelmulti Nestlé (NESN 72.55 1.68%) – ihr Produktportfolio schwellenländertauglich, registriert Reinhard. So würden Unternehmen etwa von High-End-Produkten auf Waren im Middle- oder Low-End-Bereich ausweichen, um sich einen grösseren Markt zu erschliessen.

Zu beobachten seien auch Kooperationen mit lokalen Partnern oder Akquisitionen von lokalen Unternehmen, um einen besseren Zugang zu einem Schwellenland zu haben. So hat sich etwa der Automations- und Elektrotechnikkonzern ABB (ABBN 20.39 3.35%) im vergangenen Jahr den chinesischen Batteriehersteller BYD als Partner geangelt.

Konsum- und Luxusgüter schwächerEin ehemaliger Nestlé-Manager, der vor kurzem aus China zurückgekehrt ist, erklärt: «Die Antikorruptionskampagne der chinesischen Regierung belastet immer noch Konzerne wie Nestlé, Swatch oder Richemont, auch wenn sie nicht direkt in die Korruption involviert sind. Sie haben davon profitiert. Es wird noch eine Weile dauern, bis sich die Unternehmen davon erholen.» Nicht nur teure, auch preiswertere Uhren oder Fresspäckchen seien damals den Regierungsmitgliedern geschenkt worden.

Kein Wunder wies Richemont in der Region Asia Pacific im ersten Halbjahr 14/15 kein Wachstum aus. 2011 betrug die Steigerung des Luxuskonzerns in dieser Region noch 60%. Die Swatch Group hat den Umsatzanteil in Greater China vergangenes Jahr von 38,6 auf 37,2% verringert. Nick Hayeck, CEO der Swatch Group, ist aber für die Zukunft in China optimistisch. Er sieht derzeit für seine Gruppe als einzige ein klares Wachstum in Festlandchina, wie er der NZZ erklärte. Günstigere Marken seien von Vorteil. In Hongkong laufe es aber nicht so gut, gibt er zu, und begründet dies mit der Preissenkung bei Konkurrenten, welche Händler und Kunden verunsichere.

Auch Nestlé ist unter Druck: Die Region Asien, Ozeanien und Subsahara-Afrika verzeichnete in den ersten drei Monaten einen Umsatzrückgang von 2,3%. Dabei ist China ein Sorgenkind. Nestlé renoviert dort das Portfolio und verbessert Markenkommunikation und Distribution. «Die Massnahmen zur Verbesserung der Leistung in China werden Zeit brauchen. Erste positive Resultate dürften im ersten Halbjahr sichtbar sein», heisst es. GH
Industrie hält sich erstaunlich gutABB spürt nichts von einer nachlassenden Dynamik in den Emerging Markets, wo der Automations- und Elektrotechnikkonzern rund die Hälfte seines Umsatzes erzielt. «Wir haben im ersten Quartal in den grössten Schwellenländern einen soliden Trend gesehen», sagt ein Sprecher. In Brasilien seien die Aufträge 30% gestiegen, in China 6%. In Indien sei ein leichter Rückgang zu verzeichnen gewesen, wobei in Betracht gezogen werden müsse, dass der Vergleich gegenüber einem sehr guten Vorjahresquartal mit mehreren Grossaufträgen schwierig war. Auch um die Marktbearbeitung zu erleichtern, ist ABB in den vergangenen Monaten Kooperationen in Schwellenländern eingegangen, so etwa mit dem chinesischen Batteriehersteller BYD.

Schindler ist in Bezug auf die Emerging Markets ein Spezialfall. Die Betriebsmargen des Aufzugs- und Fahrtreppenherstellers sind in den vergangenen zwei Jahren von 12,5 auf 10% geschrumpft – aber nicht wegen einer wirtschaftlichen Abschwächung in diesen Regionen, sondern im Gegenteil: weil Asien und namentlich China kräftig wachsen. Waren 1994 noch je ein Drittel der Aktivitäten auf Europa, Amerika und Asien verteilt, lautet das Ziel nun 60% Asien und je 20% Amerika/Europa. Schindler hat daher 2013 ein riesiges Investitionsprogramm in Asien lanciert. Besonders optimistisch ist der Konzern für ­Indien, wo der Umsatz mit 10% pro Jahr wächst. Für CEO Silvio Napoli ist Indien «das nächste China».

Die voraussichtlich fusionierenden Baustoffhersteller Holcim und Lafarge haben die Position in den Schwellenländern im Zug der Globalisierung vor 2008 beträchtlich ausgebaut. Danach folgten schwierige Jahre, weil die Branche in den USA und in Europa lahmte. LafargeHolcim wird 60% des Umsatzes in Emerging Markets erwirtschaften. In den kommenden zehn Jahren wird dort ein überdurchschnittliches Wachstum des Bauvolumens erwartet, besonders markant in Indien, Südostasien und Afrika – in Gebieten, in denen LafargeHolcim sehr präsent ist. MG/AS

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