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16:20 Uhr - 15.09.2015

«Abseitsstehen ist gerade jetzt das Falsche»

«Jetzt kaufen», sagt Maurice Picard, Geschäftsführer und Partner des Finanzdienstleisters Picard Angst, im Interview mit der FuW.

Herr Picard, die Anlagemärkte haben turbulente Zeiten hinter und womöglich auch noch vor sich. Was bedeutet das für strukturierte Produkte, wie nehmen Sie als Berater und Spezialist für Derivate den Markt wahr?
Grundsätzlich stellen wir eine positive Entwicklung fest. Vor allem im ersten Halbjahr ist der Markt für strukturierte Produkte gewachsen, wenn auch von einem tiefen Niveau aus. Dazu beigetragen hat die Aufhebung des Euromindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank am 15. Januar. Das brachte Bewegung in die Märkte und bot die Möglichkeit, sich in der Korrektur neu zu engagieren, auch aufseiten der Derivate. Jetzt, im zweiten Halbjahr, herrscht eine erhöhte Unsicherheit vor – Stichwort US-Zinspolitik, China und globale Wachstumsschwäche. Und Verunsicherung heisst, die Anleger bleiben mehrheitlich an der Seitenlinie.

Zur PersonMaurice Picard ist seit über 26 Jahren im Aktien- und im Derivatgeschäft tätig. 2003 gründete er mit Ronald P. Angst die Picard-Angst-Gruppe in Pfäffikon/SZ. Der unabhängige Anbieter von strukturierten Produkten und Asset-Management-Dienstleistungen mit Fokus auf Rohstoffe für institutionelle Kunden zählt 45 Mitarbeiter, davon fünf in Dubai. Die verwalteten Vermögen des Unternehmens belaufen sich auf 3,5 Mrd. Fr. Vor dem Jahr 2003 war Maurice Picard bei Vontobel für den Aufbau des Bereichs strukturierte Produkte verantwortlich.Höhere Volatilität bedeutet höhere Prämieneinnahmen auf Optionen, die den strukturierten Produkten innewohnen. Das bedeutet wiederum bessere Konditionen für Kunden. Die Freude müsste gross sein.
Volatilität ist tatsächlich für die meisten strukturierten Produkte ein Vorteil. Was aber ins Gewicht fällt, ist das prozyklische Verhalten vieler Anleger. Je höher der Coupon eines Zertifikats, desto höher ist auch das Risiko, und das schreckt manche Investoren ab, obschon man, gerade bei den beliebten Barrier Reverse Convertibles, mit einem etwas tieferen Coupon den Risikopuffer ausweiten kann. Abseitsstehen ist im Grunde gerade das Falsche.

Dieser Beitrag ist Teil der am 12. September 2015 publizierten Beilage der «Finanz und Wirtschaft» über strukturierte Produkte. Die gesamte Sonderbeilage finden Sie hier.Ein hoher Coupon schreckt ab? Zieht er nicht Leute an, die angesichts der attraktiven Verzinsung das Risiko unterschätzen?
Eine hohe Volatilität heisst eben auch heftige Marktbewegungen, und davor schrecken viele Investoren zurück. Aber es stimmt, gerade wenn die Schwankungsrisiken hoch sind, spielen strukturierte Produkte ihre Vorteile aus. Wir empfehlen denn auch, in solchen Situationen, wie wir sie an den Märkten gegenwärtig erleben, aktiv zu sein, etwa bei den erwähnten Barrier Reverse Convertibles.

Verhalten sich Privatanleger gleich wie institutionelle Investoren?
Unter den institutionellen Kunden versuchen wir den Ansatz zu verinnerlichen, unabhängig von der Marktsituation periodisch die Lage zu überprüfen und je nach Entwicklung dem Portfolio geeignete Zertifikate beizumischen, um es so zu optimieren. Das funktioniert unter den Institutionellen gut.  Die privaten Anleger lassen sich durch das aktuelle Geschehen tendenziell stärker leiten.

Geht die Marktbelebung in diesem Jahr eher auf die professionelle Kundschaft zurück?
Ich würde es so zusammenfassen: Im ersten Halbjahr waren beide, private und institutionelle, sehr aktiv. Im aktuellen Marktumfeld überwiegen die Anfragen von institutionellen Kunden.

Welche Produkte oder Produktkategorien sind vor allem gefragt?
Es ist interessant: Rund 70% des Volumens, sowohl unter den privaten wie auch unter den institutionellen Investoren, finden in einfachen, verständlichen Produkten statt. Barrier Reverse Convertibles sind nach wie vor die Top-Sellers.

Mit welchen Basiswerten?
Weiterhin mehrheitlich mit Aktien. Aktienprodukte sind nach wie vor mit Abstand am beliebtesten. In jüngster Vergangenheit erhalten wir von unseren Kunden vermehrt Anfragen für Rohstoffprodukte.

Aufgrund der heftigen Kurskorrekturen in diesem Jahr wurden bei manchen Zertifikaten die Barrieren durchbrochen. Wie wirkt sich das auf das Anlegervertrauen aus, stellen Sie Frustration fest?
Bei der Barrierediskussion muss man differenzieren: Dies betrifft nur vereinzelte Sektoren, die von grossen Korrekturen getroffen worden sind, wie zum Beispiel  Emerging Markets und Minenaktien. Unter den Blue Chips und den gängigen Aktienindizes wurden nur wenige Barrieren berührt, und Produkte auf diese Basiswerte laufen weiterhin gut.

Das Vertrauen in Struki ist seit der Finanzkrise noch nicht wieder voll hergestellt. Früher war der Anteil in den Portfolios viel höher. Was braucht es, um die Reputation weiter zu verbessern?
Strukturierte Produkte werden noch immer unter ihrem Wert geschlagen. Es handelt sich um eine innovative und flexible Anlagelösung, mit einer Industrie dahinter, die dafür sorgt, dass faire Preise gebildet werden. Etwas anderes lässt der intensive Wettbewerb unter den Anbietern gar nicht zu. Aber in den Köpfen der Anleger hält sich weiterhin hartnäckig die Vorstellung, strukturierte Produkte seien eher teuer.

Gerade institutionelle Anleger können verschiedene Strukturen selbst herstellen, günstiger, im Eigenbau.
Die Realität ist anders, auf den Eigenbau entfällt nur ein sehr geringer Teil des Geschäfts. Die Nachfrage nach gesamtheitlichen Anlagelösungen ist nach wie vor gross.

Gemäss SNB-Statistik hat sich der Struki-Anteil an den Gesamtvermögen der Banken nach längerer Stagnation im ersten Halbjahr etwas erhöht, auf rund 4%: ein Strohfeuer oder eine Trendwende?
Auch ein Anteil von 4% ist immer noch sehr bescheiden. Das Spektrum bei unseren Kunden ist sehr weit. Einige Investoren haben über 20%, andere wiederum fast null. Ziel ist es, den Struki-Anteil an den Gesamtvermögen der Banken in der SNB-Statistik auf 5 bis 7% anzuheben. Vor der Finanzkrise, im Jahr 2007, war der Anteil fast doppelt so hoch wie heute. Die Industrie ist unvermindert gefordert, sich für die Verwendung von strukturierten Produkten einzusetzen.

Mit welchen Massnahmen und Argumenten, was schlagen Sie vor?
Der Branchenverband hat beim Swiss Finance Institute eine unabhängige Studie in Auftrag gegeben, in der unter anderem der Verlauf der Produkte über mehrere Jahre untersucht wurde. Es wurde nachgewiesen, dass 80% der Zertifikate durchschnittlich zwischen 5 und 15% Rendite erwirtschaftet haben. Dieses Resultat kann man nicht genug unterstreichen.

Die Jahre, von denen Sie sprechen, waren mehrheitlich  Schönwetterjahre. Was, glauben Sie, wären die Werte über einen ganzen Börsenzyklus?
Schwierig zu sagen, ich würde schätzen, zwischen 3 und 10%. Auch das wäre noch immer ein erheblicher Mehrwert.

Der Branche ist zugutezuhalten, dass sie viel zur Verständlichkeit der Produkte unternommen hat und noch immer tut. Für keine anderen Finanzprodukte gibt es so viel Informations- und Anschauungsmaterial. Woran fehlt es noch?
Der Branchenverband setzt die Informationskampagne verstärkt und auf verschiedenen Gleisen fort. Das ist löblich. Wichtig ist, dass die Verständlichkeit, die Transparenz der Produkte, die Regulierungen und die Renditechancen dem Anleger Punkt für Punkt dargelegt werden. Das ist nicht nur Aufgabe des Verbands, sondern jedes einzelnen Finanzberaters. Es geht darum, sachlich und verständlich aufzuzeigen, dass strukturierte Produkte als Alternative und Ergänzung im Portfolio eine gute und nachhaltige Lösung sind.

Sie haben es selbst gesagt: Strukturierten Produkten hängt der Ruf an, teuer zu sein. Zu Unrecht? Ein Tracker-Zertifikat beispielsweise kostet mehr als ein ETF.
Exchange Traded Products werden allgemein als günstig und strukturierte Produkte eher als teuer angesehen. Ich halte das für eine zu oberflächliche, wenn nicht sogar falsche Ansicht. Selbstverständlich kosten gewisse Kategorien mehr als ein ETF, aber sie bieten auch mehr Möglichkeiten. Ein Zertifikat kann zum Beispiel selbst in Seitwärtsmärkten eine positive Performance erzielen. Es profitiert von einer hohen Volatilität, was für den ETF eher nicht gilt. Generell zeichnen sich strukturierte Produkte durch ihre Mehrdimensionalität aus und werden von verschiedenen Parametern beeinflusst, wohingegen ETF eher eindimensionale Eigenschaften aufweisen. Wobei ich ETF keineswegs schlecht machen will, sie haben genauso eine Daseinsberechtigung wie Derivate. Mit geht es um die Fakten, um eine Versachlichung der Diskussion, in der noch immer Vorurteile herumgeistern.

Wie weit ist die Branche daran selbst schuld? Die Kostentransparenz und die Frage, welches die beste Kostenkennzahl für den Kunden sein soll, sind seit Jahren umstritten.
Strukturierte Produkte sind ein Zahlungsversprechen, während ein Fonds ein Leistungsversprechen abgibt. Das Zertifikat ist bis zur Fälligkeit vielen Variablen ausgesetzt, sodass es sehr schwierig ist, im Vornherein eine klare Aussage zu den Kosten zu machen. Aber das soll keine Ausrede sein. Anbieter müssen das Vertrauen der Kunden gewinnen, und der Kunde will wissen, was ein Produkt ungefähr kostet.

Welche Kennzahl eignet sich aus Ihrer Sicht dafür am besten: die Gesamtkostenzahl Ter des Branchenverbands SVSP oder der Issuer Estimated Value, IEV, wie er in Deutschland publiziert wird?
Im Fondssektor hat sich die Ter durchgesetzt. Es wird sich zeigen, ob das auch bei Zertifikaten der Fall sein wird. Für ein Urteil ist es noch zu früh, die Gesamtkostenzahl Ter hat im Vergleich sicherlich ihre Berechtigung. Man wird die Resonanz abwarten müssen.

Von der Kostenfrage abgesehen: Wie lässt sich die Reputation der strukturierten Produkte verbessern?
In der ganzen Diskussion kommt für mich die Beratung immer noch zu kurz. Welches Produkt passt für welches Ziel wie zum Kunden? Was muss der Kunde unternehmen, um in der Gesamtheit seiner Finanz- und Portfolioplanung die beste Lösung, die richtigen Produkte zu wählen? Das sind die Kernfragen. Zuoberst steht die Beratung.

Wie kann der Investor, ja selbst der Berater, Risiko und Chancen eines Produkts in der riesigen Fülle von Zertifikaten beurteilen, die zudem je nach Bank die unterschiedlichsten Namen tragen? Wäre eine neue, vereinfachte Swiss Derivative Map hilfreich?
Die Einführung der Swiss Derivative Map war sicherlich ein grosser Wurf, und sie war zweifellos eine grosse Hilfe. Mittlerweile stellt sich aber die Frage, ob sie nicht zu viele Auszahlungsprofile umfasst und so den Überblick über das Produktangebot erschwert. Auch die Risikokennzahlen sind begrüssenswert. Nur besteht wie allgemein bei Risikobarometern das Problem, dass darin stets die Vergangenheit zum Ausdruck kommt, weil man selbstverständlich nur das Vergangene analysieren kann. Der Kunde aber möchte verbindlich wissen, was sein Risiko und was seine Chancen sind. Da helfen zum einen die elektronischen Plattformen und Tools von Anbietern, Verband und Wissenschaft, die es erlauben, Simulationen durchzuführen. Zum anderen entwickeln wir gerade eigene Risikokennzahlen.

Woran orientieren sich diese?
Wir bewegen uns mit unseren Daten nahe am deutschen Vorbild. Der Kunde will eine einfache, nachvollziehbare Zahl. Je mehr Parameter ins Risikomass einfliessen, desto mehr leidet die Verständlichkeit. Wir messen die Risikofähigkeit des Kunden und untersuchen, ob dieses oder jenes Produkt in sein Profil passt.

Barrier Reverse Convertibles stehen weiter hoch im Kurs. Wozu raten Sie beim Kauf: hohen Coupon und hohe Barriere wählen, oder umgekehrt?
Im jetzigen Umfeld mit erhöhter Unsicherheit an den Märkten empfehlen wir tiefe Barrieren, weil wir überzeugt sind, dass die Volatilität anhält und das Zinsniveau niedrig bleibt. Entsprechend bietet auch ein BRC mit niedrigerem Coupon noch immer eine attraktive Realverzinsung und trägt mit der tiefen Barriere dem Marktrisiko Rechnung.

Wo würden Sie den Risikopuffer ansetzen?
Zwischen 30 und 50%, also eine 70er- respektive eine 50er-Barriere wählen.

Und als Basiswert: Einzeltitel oder Indizes?
Die herkömmlichen grosskapitalisierten Aktien sind als Basiswert weiterhin sehr beliebt. Grundsätzlich können im aktuellen Umfeld sowohl Einzeltitel als auch Indizes als Basiswert Sinn machen.

Sind die vernachlässigten Rohstoffe oder auch Schwellenländer eine Versuchung wert?
Warum nicht? Wird würden einen Kauf in Betracht ziehen, vorausgesetzt, die Position ist im Depot tiefer gewichtet als im Normalfall: mit einem Barrier Reverse Convertible mit oder ohne Lock-in. Lock-in-Produkte sind allgemein eine attraktive Variante. Wenn zum bestimmten Zeitpunkt das Produkt «einklickt», wird aus dem BRC ein Kapitalschutzprodukt mit Schutz nach unten und gleichwohl Potenzial nach oben. Reine Kapitalschutzzertifikate sind bei diesen niedrigen Zinsen zu teuer.

Was drängt sich aus Währungssicht auf ?
Wir haben für Kunden einzelne Währungskörbe zusammengestellt gegen den Franken, weil sie davon ausgehen, dass sich der Franken abschwächen wird. Negativzinsen machen die Währung aktuell unattraktiv, zudem haben sich viele Fremdwährungen aufgrund von strukturellen Problemen in den jeweiligen Wirtschaftsräumen sehr negativ entwickelt und eröffnen damit die Möglichkeit einer Erholung gegenüber dem Franken.

Was man auch immer wieder hört: Seit der Einführung der Pfandbesicherung Cosi oder der Referenzschuldnerkonstruktion mangle es dem Struki-Geschäft an Innovation. Was ist Ihre Meinung dazu?
Es wäre falsch, der Industrie vorzuwerfen, sie sei nicht innovativ. Die Entwicklung verläuft nicht in Richtung einer neuen Produktgattung, sondern es werden neue Varianten innerhalb der einzelnen Profile geschaffen. Ein kleiner Zusatz wie etwa der erwähnte Lock-in kann für den Anleger einen grossen Nutzen bewirken. Wir haben in letzter Zeit oft Reverse Convertibles mit einem tiefen Ausübungspreis lanciert. Das ist nicht neu, aber, wie wir meinen, attraktiv. Der Anleger kauft den Basiswert tiefer und erhält dafür – bei etwas niedrigerem Coupon, aber geringerem Risiko – die Chance eingeräumt, vom Anstieg des Basiswerts zu profitieren.

In welchem Licht sehen Sie die Zukunft der Derivatbranche und des Finanzplatzes Schweiz?
Ich bin zuversichtlich gestimmt. Nachdem der Finanzsektor die Anpassungen an die weltweit verschärften Regulierungen vollzogen haben wird, werden die Stärken der Schweiz wieder vermehrt zum Tragen kommen: Die hohe Fachkenntnis, die politische Stabilität, der enge Kundenkontakt – das sind alles Bestandteile einer optimalen Beratung. In der Schweiz weiss man sehr genau, wie man Geld verwaltet.

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