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15:53 Uhr - 11.08.2015

«Italien steht mit dem Rücken zur Wand»

Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, befürchtet, dass die Konjunkturerholung im Euroraum vorübergehend ist, wie er im Interview mit FuW erklärt.

Zur PersonProfessor Dr. Clemens Fuest ist Präsident und wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Damit verbunden ist eine Professur für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Zudem ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats im Bundesministerium der Finanzen. Fuest studierte Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Bochum und Mannheim, promovierte 1994 an der Universität Köln und legte 2001 seine Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität in München ab.Der Wirtschaftsaufschwung in der Eurozone scheint robust: Trotz des Schuldenstreits mit Athen hält der Aufwärtstrend an. Clemens Fuest, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim, warnt die Euroländer davor, die günstige Konjunkturlage ungenutzt verstreichen zu lassen: Sie sollen die Chance nutzen und ihre Schulden abbauen, damit sie für die nächste Krise gewappnet sind.

Handlungsbedarf ortet der Ökonom, der 2016 die Nachfolge von Hans-Werner Sinn als Präsident des Ifo-Instituts in München antreten wird, insbesondere in Italien. Die Wirtschaftslage in Griechenland bezeichnet Fuest als «katastrophal»: Unter der Regierung von Premier Alexis Tsipras werde sich das Land kaum erholen können. Ein Hilfspaket könnte wohl nur temporär für Entspannung sorgen.

Herr Fuest, die Konjunktur im Euroraum gewinnt an Schwung. Wie nachhaltig ist diese Entwicklung?
Das ist nicht klar. Angetrieben wird der Aufschwung vom niedrigen Eurokurs, günstigen Energiepreisen und dem niedrigen Zinsniveau. Aber diese Faktoren können sich schnell verändern. Ein hohes Risiko bergen die Zinsen. Wenn sie merklich anziehen, werden gerade die hochverschuldeten Länder wieder in Schwierigkeiten geraten. Problemstaaten wie Spanien oder Portugal sind zwar ebenfalls vom Aufschwung erfasst worden, vor allem auch dank bereits durchgeführter Reformen. Aber in ihrer Budgetsituation sind sie noch nicht über den Berg. Die gute konjunkturelle Entwicklung muss daher genutzt werden, um die Schuldenstände zu vermindern. Ich befürchte, dass die konjunkturelle Erholung nur vorübergehend ist und die hohe Verschuldung nicht in erforderlichem Masse abgebaut werden kann.

Ist dieser Aufschwung denn unbedeutend?
Nein, im Gegenteil. Ich halte den Aufschwung für sehr wichtig, weil er den Menschen in Europa Hoffnung gibt. Und er bietet ja auch die Chance, die Schuldenquoten zu senken und Reformen sowie Sanierungen der Staatshaushalte  voranzutreiben. Aber es ist notwendig, dass diese Chance von der Politik genutzt wird. Jetzt ist der Moment, um dies wirkungsvoll zu tun. In einer Rezession wird es sehr schwierig. Die Wirtschaftsgeschichte lehrt: Alle sieben oder acht Jahre kracht es irgendwo auf dieser Welt. Die nächste Krise kommt also bestimmt. Wichtig ist, dass es bis dahin wieder Spielräume gibt, um sie bekämpfen zu können.

Wie läuft die Konjunktur in Griechenland?
Die griechische Wirtschaft hatte sich im Laufe des Jahres 2014 gefangen: Es gab ein bescheidenes Wachstum. Das hätte sich vermutlich fortgesetzt, wenn die Hellenen ihren Reformkurs weiterverfolgt hätten. Doch Tsipras hat den Kurs der Wirtschaftspolitik geändert und die zuvor eingeleitete Reformtätigkeit eingestellt. Die Folge: Seit Jahresbeginn hat sich ein Abschwung breitgemacht, der sich durch die Schliessung der Banken dramatisch verschärft hat. Die konjunkturelle Situation ist katastrophal und die Menschen leiden heftig darunter.

Halten Sie es grundsätzlich für möglich, dass sich Griechenland wirtschaftlich erholen kann?
Ja. Das ist nicht einfach, aber machbar. Mit einer anderen, einer reformorientierten Wirtschaftspolitik kann sich das Land durchaus erholen. Ob eine solche Politik allerdings mit dieser Regierung zu erreichen ist – da bin ich sehr skeptisch. Daher stellt sich die Frage des Grexit: Einen gut organisierten Ausstieg Griechenlands aus dem Euro, bei gleichzeitig flankierenden Hilfsmassnahmen durch Brüssel, sehe ich eher als Vorteil für das Land. Die Eurozone dürfte ein Ausscheiden Griechenlands vermutlich gut überleben.

Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Situation in Frankreich?
In Frankreich hat es mittlerweile einen gewissen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik gegeben – Reformen werden in Angriff genommen, wobei die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit eine erhebliche Rolle spielt. Das passiert aber, politisch gewollt, weitgehend unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle. Viel hängt jetzt davon ab, wie schnell die Reformen vorangetrieben werden.

Und in Italien?
Italien, immerhin drittgrösste Volkswirtschaft im Euroraum, macht mir mehr Sorgen als Frankreich. Italien hat gewaltige und fundamentale Probleme, nicht nur im Arbeitsmarkt, sondern auch im Justizsystem: So ist es beispielsweise sehr schwierig, vor Gericht vertragliche Ansprüche durchzusetzen. Arbeitnehmer sind derart geschützt, dass junge Leute kaum zum Zuge kommen. Reformen kommen nur sehr langsam voran. Das Land generiert seit fünfzehn Jahren kaum Wachstum. Die Verschuldung ist entsprechend hoch. Ich denke mit Schrecken an die nächste Rezession, denn Italien steht finanziell mit dem Rücken zur Wand und verfügt über wenig Manövriermasse.

Kaum jemand redet vom Abbau der Altschulden in der Eurozone.
Zunächst muss das Wachstum des Schuldenbergs gestoppt werden. Erst danach  kann man sich dem Problem der Altschulden zuwenden.

Der Euro hat sich trotz des Griechenlanddramas relativ gut geschlagen. Wo sehen Sie die Währung  mittelfristig?
Eine Wechselkursprognose werden Sie mir nicht entlocken. Ich denke aber, der Euro ist derzeit angemessen bewertet und selbst wenn er zum Dollar auf die Parität fallen sollte, wäre das kein Unglück.

Wird es den Euro auch in zehn Jahren noch geben?
Davon bin ich überzeugt. Aber vielleicht bei einer anderen Zusammensetzung der Eurozone.

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