Da der neutrale Zins tiefer liegt als bisher, ortet Anleihenspezialist Bill Gross keine Blasen an den Finanzmärkten. Auch bei Aktien nicht.
Das ist ein Novum. Der Anleihenkönig Bill Gross, der den weltweit grössten Obligationenfonds verwaltet, bricht eine Lanze für Aktien. Seit Jahrzehnten setzte der Gründer und Anlagechef von Pimco vorwiegend auf Anleihen. Die seit den Achtzigerjahren fallenden Zinsen haben ihn zu einem der erfolgreichsten Fondsmanager gemacht. Festverzinsliche führten ihn auch sicher durch die Finanzkrise. Trotz der jüngsten Verluste und Abflüsse verwaltet der Total-Return-Fonds immer noch ein Vermögen von 229 Mrd. $.
In seinem neuesten Anlageausblick erklärt Gross, wie er zum Schluss kommt, dass sowohl Anleihen als auch Aktien nicht überbewertet sind. Ausgangslage ist eine «grosse neue Idee», die die Finanzmärkte über Jahre bestimmen werde.
The New Neutral
Diese Idee trägt den Namen The New Neutral. Damit meint Gross, dass der kurzfristige reale Zins des Fed, bei dem die US-Wirtschaft die Zielvorgaben von 3% Wachstum und 2% Inflation erfüllt – der neutrale Zins also –, nicht mehr bei 2%, sondern deutlich tiefer liegt. Der reale neutrale Zins von 2%, wie er in der Taylor-Regel während Jahren angewandt wurde, ist zu hoch für eine Wirtschaft mit hoher Verschuldung.
Der reale neutrale Fed-Zins liegt laut Gross näher bei null als bei zwei. Eine Fed-Studie kommt auf –0,25%. Wird das Inflationsziel von 2% eingehalten, wäre das obere Ende des nominellen Leitzinses bei 1,75%.
Eine Veränderung des realen neutralen Zinses hat enorme Auswirkung auf die Vermögenspreise. Bei einem niedrigeren neutralen Zins müssen nicht nur Anleihen, sondern auch alle anderen Vermögenswerte neu bewertet werden.
Mit niedrigerem neutralem Zins sind Aktien mehr wert
Die Auswirkungen auf Aktien lassen sich am einfachsten mit dem Modell von Gordon illustrieren, bei dem die künftigen Dividenden abdiskontiert werden. Der Preis der Aktie wird durch die Dividende geteilt durch die Differenz aus dem realen Zins und dem künftigen Dividendenwachstum bestimmt.
Wenn der Zins sinkt und alle anderen Faktoren gleich bleiben, steigt der Wert der Aktie. Ein niedrigerer neutraler Zins hätte auch Folgen für das zyklisch adjustierte Kurs-Gewinn-Verhältnis (Shiller PE oder CAPE). Laut Gross werde sich die langfristige durchschnittliche Shiller PE für den amerikanischen Markt zwischen 20 und 22 einpendeln – und nicht mehr um die 17 wie bisher.
Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.