Die ersten Umfragen unter Chefeinkäufern nach dem Brexit-Votum signalisieren einen Einbruch der britischen Konjunktur. Am übrigen Europa geht das bis jetzt spurlos vorbei.
Der britischen Wirtschaft hat die Unsicherheit nach dem Brexit-Schock arg zugesetzt. Das zeigen die Hochrechnungen zu den Umfragen unter Chefeinkäufern von Unternehmen aus der Industrie und dem Dienstleistungssektor. Die daraus abgeleiteten Flash-Einkaufsmanagerindizes (PMI) sind im Juli abgestürzt.
Der Index für den Servicesektor in Grossbritannien notiert mit 47,7 Zählern auf dem niedrigsten Niveau seit der Finanzkrise 2009. Der PMI der verarbeitenden Industrie ist von 52,1 auf 49,1 gefallen und liegt wieder unterhalb der kritischen Grenze von 50, die Wachstum und Kontraktion trennt (vgl. Textbox unten).
Einkaufsmanagerindex (PMI) und BIP-Wachstum Grossbritannien
«Das ganze Ausmass der Auswirkungen dieser Unsicherheit werden wir erst in den nächsten Monaten sehen», kommentiert Chris Williamson, Chefökonom des Datendienstleisters Markit, der die PMI erstellt. Angesichts des grassierenden Pessimismus im Dienstleistungssektor müssten die Politiker rasch eine Lösung finden, um Schlimmeres zu verhindern.
Deutschland boomt weiter
Auf dem europäischen Festland zeigt sich die Wirtschaft von den Unsicherheiten um den Brexit und die Zukunft der EU unbeeindruckt. Der vorläufige Industrie-Einkaufsmanagerindex (Flash PMI) der Eurozone ist nur marginal von 53,9 auf 53,6 gefallen. Der Frühindikator liegt damit immer noch komfortabel in der Wachstumszone. Der Index für die Dienstleistungsunternehmen blieb praktisch unverändert auf 52,7. Daraus resultiert ein leichter Rückgang des Composite Index über beide Sektoren von 53,1 auf 52,9. Gemäss Markit deutet das auf eine Wirtschaftswachstumsrate von 1,5% hin.
Getragen wird die robuste Konjunktur von Deutschland. Dort ist die Wirtschaft auf Hochtouren in das dritte Quartal gestartet. Der Composite PMI ist gemäss erster Schätzung von 54,4 im Juni auf 55,3 im Juli gestiegen, ein Siebenmonatehoch. Der PMI für das verarbeitenden Gewerbe liegt mit 53,7 ebenfalls deutlich in der Wachstumszone.
«Die deutsche Wirtschaft setzt ihren Wachstumstrend zu Beginn des zweiten Halbjahres fort», kommentiert Markit-Ökonom Oliver Kolodseike.
Frankreichs Industrie bleibt das Sorgenkind
In Frankreich deutet ebenfalls nichts auf eine markante Stimmungsverschlechterung in der Wirtschaft hin – trotz Brexit und trotz der Verlängerung des Ausnahmezustands nach dem Anschlag in Nizza. Der vorläufige Composite PMI ist im Juli leicht auf 50 gestiegen und signalisiert damit eine stagnierende Wirtschaft.
In der Industrie geht es indes weiterhin kontinuierlich abwärts. Der Flash PMI für das verarbeitende Gewerbe ist zwar von 48,3 im Juni auf 48,6 gestiegen, liegt aber zum fünften Mal in Folge in der Kontraktionszone.
Japans Wirtschaft ächzt unter stärkerem Yen
Auch für Japans Industrie erstellt Markit in Zusammenarbeit mit dem Medienunternehmen Nikkei einen Flash PMI. Er ist im Juli mit 49 etwas besser ausgefallen als im Vormonat (48,1). Im Mai war der Einkaufsmanagerindex auf den tiefsten Stand seit 2012 gesunken.
Damit liegt das japanische Industriebarometer fünf Monate in Folge unter 50 und zeigt eine Verschlechterung der Geschäftsbedingungen an.
Der Brexit ist in Japan weniger ein Thema. Probleme bereitet den Unternehmen eher der wieder erstarkende japanische Yen. Laut Markit hat die ausländische Nachfrage im Juli so deutlich nachgelassen wie seit über drei Jahren nicht mehr.
PMI und Flash PMIDer Einkaufsmanagerindex (Purchasing Managers Index, PMI) misst die Aktivität in der Privatwirtschaft. Dazu werden die Chefeinkäufer der Unternehmen zu Themen wie Produktion, Auftragsbestand und Arbeitsplätzen befragt. Ein Wert von 50 bedeutet keine Veränderung zum Vormonat. Werte darüber stehen für eine Verbesserung der Geschäftsbedingungen und signalisieren Wachstum. Werte darunter gehen mit einer rückläufigen Produktion einher. Es gibt separate Indizes für die verarbeitende Industrie und für den Dienstleistungssektor sowie einen Gesamtindex (Composite PMI).
Die PMI werden jeweils am ersten Arbeitstag im Folgemonat publiziert. Mittlerweile werden die standardisierten Umfragen in allen Industrieländern und den meisten Schwellenländern durchgeführt. Für die Eurozone insgesamt – sowie separat für Frankreich und Deutschland – wie auch für Grossbritannien, die USA und für Japans Industrie werden rund eine Woche vor Publikationstermin Hochrechnungen veröffentlicht. Diese Schätzungen werden Flash PMI genannt und basieren auf etwa 85% der Umfrageergebnisse. Sie sind ein akkurates Mass für die finalen PMI. Der Flash PMI der USA ist ein vorläufiger Schätzwert für den PMI des Datenanbieters Markit. Dieser Frühindikator findet jedoch weniger Beachtung als der viel ältere PMI des Institute for Supply Management (ISM), für den es keinen Flash gibt.
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