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08:37 Uhr - 31.12.2014

Schuldenüberhang wird die Finanzmärkte über Jahre prägen

Hauptgrund für die Finanzkrise von 2008 war ein exzessiver privater Schuldenaufbau in den Boomjahren. Dieses Problem ist nicht gelöst; der Abbau des Schuldenbergs wird noch Jahre beanspruchen.

Das Wort «hobha» soll in der alten aramäischen Sprache zwei Bedeutungen gehabt haben: Schuld und Sünde. Die Gleichsetzung des Begriffs der Schuld im Sinne einer Verpflichtung mit der moralisch behafteten Sünde verfolgt die Finanzwelt bis heute. Tatsächlich haben zahlreiche Volkswirtschaften im Verlauf der vergangenen drei Jahrzehnte eine Sünde begangen: Die privaten Haushalte und Unternehmen gaben sich dem grössten Schuldenexzess aller Zeiten hin. Während Jahren beflügelte dieser Effekt das Wirtschaftswachstum. Aber am Ende blieb es: ein Wachstum auf Pump.

Die Party endete 2008 mit der schwersten Rezession seit siebzig Jahren. Doch in den sechs Jahren seit dem Höhepunkt der Krise ist das Ausmass der Schulden nicht etwa gesunken, sondern weiter gestiegen. Nie in der Historie lastete ein höherer Schuldenberg auf der Weltwirtschaft als heute. Der Versuch, diesen Berg abzutragen, wird Jahre in Anspruch nehmen.

Die rauschende Party

Exemplarisch für den Schuldenaufbau seit den frühen Achtzigerjahren sind die USA. Der kumulierte Wert aller staatlichen und privaten Schulden stieg dort zwischen 1982 und 2007 von 150 auf 375% des Bruttoinlandprodukts. «Das Gefährliche an dieser Entwicklung war die steigende Verschuldung der privaten Haushalte und Unternehmen», sagt George Magnus, der langjährige Chefökonom der UBS (UBSN 16.45 -1.79%). In der Tat verzeichneten die US-Haushalte, Unternehmen und Finanzinstitute ab den Neunzigerjahren einen grösseren Anstieg in der Verschuldung als der Staat. Die US-Ökonomen Atif Mian und Amir Sufi argumentieren in ihrem Buch «House of Debt», die steigende Kreditaufnahme der Haushalte habe jahrelang die Tatsache kaschiert, dass die Einkommen der Mittelklasse stagnierten oder gar schrumpften.

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Eine nahezu identische Entwicklung wie die USA durchliefen Grossbritannien, Spanien und Irland. Japan zeigte das Muster bereits in den Achtzigern vor: Auch der Inselstaat durchlebte in den Boomjahren einen massiven privaten Schuldenaufbau, der in einer Finanzkrise mündete.

Doch so extrem die Finanzkrise von 2008/09 auch war, sie hat keine Trendumkehr in der Schuldendynamik erwirkt. In den vergangenen sechs Jahren ist der globale Schuldenberg weiter gewachsen. Eine internationale Gruppe hochrangiger Ökonomen stellt im 16. «Geneva Report on the World Economy» ernüchtert fest, dass in den Jahren nach der Finanzkrise kein Schuldenabbau (Deleveraging) stattgefunden hat. Das aggregierte Volumen der global ausstehenden Schulden sei sogar um 38 Prozentpunkte auf gut 212% des Welt-BIP gestiegen.

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China übernimmt

Die Erklärung dafür ist simpel: Zwar haben die Haushalte und Unternehmen in den vormaligen Boomstaaten etwas enthaltsamer gelebt, doch als Folge der Rezession und der zahlreichen Bankenrettungen ist die Verschuldung der Staaten gestiegen. In Industrieländern, die von der Krise vergleichsweise wenig betroffen waren, stieg die Verschuldung der Haushalte derweil weiter; etwa in Australien, Kanada, Norwegen und auch der Schweiz.

Die extremste Entwicklung fand nach 2008 jedoch in den Schwellenländern statt. Gemäss Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hat sich allein das in Dollar denominierte Kreditvolumen in Emerging Markets binnen fünf Jahren auf 4000 Mrd. $ verdoppelt. Spitzenreiter war China, wo das Schuldenvolumen (ohne Banken) um 72 Prozentpunkte auf über 220% des chinesischen BIP gestiegen ist.

Ein derart hoher Schuldenberg verlangsame das Wachstum der Weltwirtschaft und erhöhe die Anfälligkeit für Finanzkrisen, warnen Luigi Buttiglione, Philip Lane, Lucrezia Reichlin und Vincent Reinhart, die Verfasser des «Geneva Report».

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Vier hürdenreiche Wege

Wie kann dieser Berg abgetragen werden? Theoretisch sind nur vier Wege möglich, um das Verhältnis von Schulden zu BIP zu verringern: erstens, indem Schuldner einen Teil ihres Einkommens darauf verwenden, ihre Verpflichtung langsam abzuzahlen. Zweitens, indem Gläubiger Schulden erlassen oder restrukturieren. Drittens, indem das reale Wachstum angekurbelt wird, die Wirtschaft also aus den Schulden herauswächst. Viertens, indem über erhöhte Inflation und damit ein höheres nominales Wirtschaftswachstum Schulden weginflationiert werden.

Jeder dieser vier Wege ist jedoch mit zum Teil erheblichen Problemen behaftet. Wenn im ersten Weg, dem ordentlichen Deleveraging, alle Schuldner gleichzeitig versuchen, ihre Verpflichtungen abzustottern, sackt die aggregierte Nachfrage in der Gesamtwirtschaft zusammen, und das Land fällt in eine Bilanzrezession (mehr dazu hier). An dieser Krankheit leidet Japan seit über zwei Jahrzehnten. Der zweite Weg, Schuldenerlass oder Restrukturierung, ist für die Gläubiger schmerzhaft, denn sie müssen ihr Guthaben abschreiben. Das ist mit ein Grund, weshalb eine Schuldenrestrukturierung zur Behebung der Krise in den Peripherieländern der Eurozone mit einem Tabu belegt ist: Deutsche und nordeuropäische Banken und Versicherungen würden Verluste erleiden. «Das europäische Bankensystem ist viel zu schwach, um grosse Verluste zu absorbieren», warnt George Magnus, «in den Bilanzen der europäischen Banken klafft noch immer eine Kapitallücke von 300 bis 500 Mrd. €.»

Der dritte Weg, die Ankurbelung des realen Wachstums, ist zwar nicht schmerzhaft, doch Realwachstum lässt sich nicht herbeizaubern. Die Ökonomen Carmen und Vincent Reinhart sowie Kenneth Rogoff haben 26 Fälle von Schuldenüberhang in 22 Industrieländern im Zeitraum zwischen 1800 und 2010 untersucht. Sie stellten dabei fest, dass es nur in zwei Fällen gelang, dem Schuldenberg real zu entwachsen. In den meisten historischen Fällen, besonders nach dem Zweiten Weltkrieg, spielten erhöhte Inflationsraten eine entscheidende Rolle im Abbau von Schuldenüberhängen. Diese als finanzielle Repression bekannte Mechanik kommt im Effekt einem Vermögenstransfer von Sparern zu Schuldnern gleich.

Weil keiner der vier Wege einfach oder schmerzfrei ist, dürfte das wahrscheinlichste Szenario eine Kombination sein: der Versuch der Zentralbanken, erhöhte Inflationsraten zu provozieren und gleichzeitig das Realwachstum anzuwerfen, gekoppelt mit Episoden von Schuldenrestrukturierungen und Rückfällen in Bilanzrezessionen. Dieser Prozess wird nach aller historischen Erfahrung Jahrzehnte in Anspruch nehmen; das Finanzsystem wird derweil krisenanfällig bleiben. Die sorgenfreien Jahre des Kreditbooms von 1982 bis 2007 sind definitiv vorbei.

«Ist der Gläubiger zu stur, verlieren am Ende beide»George Magnus, der langjährige Chefökonom von UBS, sieht keinen schmerzfreien Ausweg aus dem globalen Schuldenüberhang. Eine Streichung oder Restrukturierung von Schulden werde unumgänglich sein erklärt er im Interview mit «Finanz und Wirtschaft».

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