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10:42 Uhr - 01.07.2015

«Wir raten zum taktischen Übergewicht der Eurozone»

Mark Haefele, Global Chief Investment Officer von UBS Wealth Management, würde investiert bleiben und Kursrückschläge zu selektiven Käufen nutzen, wie er im Interview mit der FuW erläutert.

Herr Haefele, was war Ihr erster Gedanke, als Sie vom Abbruch der Verhandlungen zwischen Griechenland und den Kreditgebern erfuhren?
Mein erster Gedanke war mit der griechischen Bevölkerung, die schwierige Zeiten durchmacht. Mein zweiter schweifte nach Frankfurt zur Europäischen Zentralbank. Sie ist die entscheidende Institution und wird allfällige Marktverwerfungen entschieden abfangen. Bis jetzt hat sie ihren Part sehr gut gemeistert.

Faktisch ist Griechenland pleite – ein Worst Case. Gleichwohl hat der Euro gelassen reagiert – nicht nur zum Franken, zu dessen Abschwächung die Nationalbank interveniert hat, auch zum dem Dollar. Weshalb?
Ich betrachte die momentane Situation nicht als Worst-Case-Szenario. Wie gesagt, die EZB hat richtig reagiert und wird es  auch weiter tun. Sie ist ausserdem nicht die einzige Zentralbank, welche die Situation genau verfolgt. Es hat sicherlich auch geholfen, dass beispielsweise William Dudley, Präsident der New York Federal Reserve, Griechenland als «huge wild card» bezeichnete. Das nährte die Sichtweise, dass die US-Notenbank im Notfall die angestrebte erste Zinserhöhung im Herbst auch vertagen könnte. Die Futures-Märkte haben das in einer ersten ­Reaktion eingepreist, was den Dollar schwächte.

Wie viel Spielraum hat die SNB (SNBN 1239 2.14%) im Kampf gegen einen noch stärkeren Franken, wo ist das Limit?
Der Franken dürfte unter Aufwertungsdruck bleiben. Die SNB hat jedoch am Montag früh bereits interveniert und dürfte, bis das Referendum über die Bühne ist, weiterhin Interventionen vornehmen. Dabei wird sie unserer Meinung nach eine implizite Grenze bei einem Euro-Franken-Kurs zwischen 1,025 und 1,03 verfolgen.

Ist, wenn nicht jetzt, dann bei Ablehnung des Referendums in Griechenland eine grössere Fluchtbewegung in den Franken denkbar?
So lange Unsicherheit über den Ausgang des Referendums besteht, kann es zu Kapitalverschiebungen in die traditionelle Fluchtwährung Franken kommen. Weil die Banken des Landes geschlossen sind und Kapitalverkehrskontrollen bestehen, ist die Gefahr grösserer Transfers von Griechenland in den Franken natürlich eingedämmt. Ob grosse Transaktionen aus anderen Regionen in der Eurozone in den Franken getätigt werden, würde ich ebenfalls bezweifeln. Der Schweizer Franken ist bereits teuer bewertet, und auch die Negativzinsen auch eine gewisse abschreckende Wirkung.

Worauf stellt sich die UBS (UBSG 19.96 0.66%) beim griechischen Referendum und auf die unmittel­baren Marktbewegungen danach ein?
Wir im Chief Investment Office erwarten, dass die griechischen Wähler die Bedingungen der Gläubiger akzeptieren. Das ist unser Basisszenario. Danach rechnen wir mit einer Phase von Unsicherheit und Ungewissheit, denn die Frist für das zur Wahl stehende «Angebot» der Kreditgeber wird zum Zeitpunkt des Referendums bereits verstrichen sein. Diesen Ausgang erwartet auch die griechische Regierung, obwohl sie sich gegen das Angebot ausgesprochen hat. Ihre Glaubwürdigkeit wäre angekratzt. Falls die Griechen Nein sagen, ­würden die Banken ihre Tore nicht so rasch wieder öffnen, und das Land würde den Weg aus der Währungsunion in Angriff nehmen.

Nachgebende Kurse verleiten zum Kauf. Ein guter Zeitpunkt, jetzt Aktien zu kaufen?
Wir raten dazu, ruhig und gelassen zu bleiben. Die EZB, aber auch das Fed oder die chinesische Notenbank werden – und haben bereits – unterstützend eingegriffen. Zudem ist die globale Konjunktur in einer robusten Verfassung. Käme es zu einem Ausverkauf auf den europäischen Börsen, würden wir das als eine Kaufgelegenheit nutzen.

Was raten Sie Anlegern, die an Gewinnmitnahmen denken? Ist rette sich, wer kann, die falsche Reaktion?
Schiebt man den gegenwärtig politisch geprägten Nachrichtenfluss für einen Moment zur Seite, zeigt sich eine erholende Konjunktur in der Eurozone. Die Fundamentaldaten stimmen, denn die Kreditbedingungen für Unternehmen verbessern sich laufend, und die Unternehmen profitieren von günstigen Rahmenbedingungen. Es ist sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, den richtigen Zeitpunkt für den Verkauf und den späteren Rückkauf zu finden. Wir empfehlen unseren Kunden, Ruhe zu bewahren, investiert zu bleiben und Rückschläge zu selektiven Käufen zu nutzen.

Wo investieren: an günstiger bewerteten  Euroland-Börsen und wenn, eher in der Peripherie oder im Kernmarkt Deutschland?
Wir raten zur taktischen Übergewichtung von Aktien in der Eurozone, wo wir ein attraktives Umfeld für steigende Unternehmensgewinne vorfinden. Innerhalb der Währungsunion bevorzugen wir vor allem den Kernmarkt Deutschland. Seine zyklische Sektorzusammensetzung sowie die Beobachtung, dass die Konsensprognosen für deutsche Unternehmensgewinne seit Wochen heraufgestuft werden, finden wir im Zusammenhang mit verhältnismässig tiefen KGV besonders attraktiv.

Fundamental weniger im Griechenland-Schatten stehen die USA und Asien. Welche Chancen bieten sich da?
US-Aktien werden sich weiterhin gut entwickeln. Wir sehen jedoch aufgrund eines höheren Gewinnwachstums in der Eurozone taktisch attraktivere Möglichkeiten. Der stärkere Dollar und das grössere Gewicht von Energieunternehmen werden das Gewinnwachstum in den USA dieses Jahr schmälern.  In Asien sind wir über unseren taktischen 6-Monat-Zeithorizont neutral ausgerichtet. Japanische Aktien profitieren zwar momentan vom schwächeren Yen, doch wird wohl das Gewinnwachstum im nächsten Jahr zurückgehen, wenn der Lohndruck steigt. Auf relativer Basis finden wir Indien, die Philippinen und Taiwan interessant.

Sollen in Franken denkende Anleger überhaupt international diversifizieren, bietet die Schweiz mit ihren globalen Unternehmen nicht Möglichkeiten genug?
Ein globales diversifiziertes Depot bietet mehr Möglichkeiten als ein rein schweizerisches. Mit Einzelanlagen ist es möglich, gezielt in spezifische Technologien, aber auch in bestimmte Regionen zu investieren, die für Auslandsunternehmen nicht oder nur gering zugänglich sind.

Wie steht es mit dem Schutz nach unten?
Das ist ereignisspezifisch und kann auch gegen die Schweiz sprechen. Beispielsweise am 15. Januar, als die SNB die Eurountergrenze aufgab, brach der Schweizer Aktienmarkt in zwei Tagen 15% ein. Damals haben unsere global diversifizierten und gleichzeitig währungsgesicherten Aktienportfolios besser abgeschnitten.

Wie entscheiden Sie zwischen defensiv und zyklisch, zwischen Large und Small Caps?
Wir sind vermehrt in zyklischen Märkten investiert. Ausser auf zyklische deutsche Aktien haben wir ein Augenmerk auf mittlere und kleinkapitalisierte Unternehmen in Europa gelegt, die ein attraktives Rendite- und Gewinnwachstum aufweisen, weil sie tendenziell stärker in zyklischen Sektoren aktiv sind. Auch Fusionen und Übernahmen könnte förderlich sein, da Nebenwerte oft Übernahmeziele sind.

Wohin steuern die Zinsmärkte? Gibt es eine Bewegung zurück in Sicherheit?
Wir erwarten, dass die Volatilität erstklassiger Staatsanleihen in den nächsten sechs Monaten hoch bleiben wird und die Zinsen sowohl in der Eurozone als auch in den USA moderat steigen werden. In den USA steht im Herbst wahrscheinlich die erste Zinserhöhung an, was traditionell zu Kursausschlägen führt. In beiden Wirtschaftsräumen wird die Konjunktur weiter anziehen, was höhere Zinsen und eine steilere Zinskurve mit sich bringen wird.

Wie gross ist die Ansteckungsgefahr durch Griechenland für Peripherieanleihen?
Wir beurteilen europäische Peripherie­anleihen neutral. Sie können sich nicht vollständig von der Richtung griechischer Staatsanleihen abkoppeln, bewegen sich aber weniger stark. Spitzt sich die Lage in Griechenland zu, erwarten wir eine umfangreiche und gezielte Aktion der EZB. Zudem hat erst kürzlich der Europäische Gerichtshof die Zulässigkeit von Anleihenkäufen durch die EZB, gegebenenfalls auch in unbegrenzter Höhe, bestätigt. Das mindert die Ansteckungsgefahr.

Etwas weiter in die Zukunft geschaut, kommt es zum Grexit?
Wir rechnen damit, dass es zu einer Übereinkunft zwischen Griechenland und seinen Gläubigern kommen wird und dass das Land in der Eurozone verbleiben wird. Das ist unser Basisszenario. Wir geben dem Austritt Griechenlands aus der Währungsunion jedoch eine Wahrscheinlichkeit von 30 bis 40% und haben die Auswirkungen diskutiert und durchgespielt.

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