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11:45 Uhr - 24.02.2022

Warum Sanktionen gegen Russland auch Europa treffen

Die verhängten Strafmassnahmen haben Rückkopplungseffekte. Die EU und die Schweiz sind unterschiedlich stark exponiert.

Die viel besprochene Einigkeit der europäischen Staaten hat erst einmal gehalten. Einstimmig hat die EU Sanktionen gegen Russland beschlossen als Reaktion auf den Einmarsch in die Ostukraine.

Die Strafmassnahmen sind allerdings eher vorsichtig gewählt. Hunderte von Personen – u.a. 351 Mitglieder der Duma und der Verteidigungsminister –, die staatliche Entwicklungsbank VEB sowie zwei weitere Banken wurden auf eine schwarze Liste gesetzt.

Es gilt ein Einreiseverbot, die in der EU geparkten Vermögen werden eingefroren, und es dürfen keine Geschäfte mehr mit sanktionierten Personen und Organisationen eingegangen werden. Russische Staatsanleihen dürfen nicht mehr gehandelt werden. Branchenweite Import- oder Exportstopps, beispielsweise für Halbleiter, mit denen gedroht wurde, befinden sich erst einmal nicht unter den Strafmassnahmen.

Mehrere Regierungsvertreter kündigten am Donnerstag an, dass  die Sanktionen verschärft werden müssen.

Milde Sanktionen

Der Bundesrat muss nun entscheiden, ob die Schweiz sich der EU anschliesst. Im Jahr 2014 hatte die Schweiz das getan, damals hatte die EU gegen Russland nach der Annexion der Krim Sanktionen verhängt. Nun hat der Bundesrat Massnahmen beschlossen, um die Umgehung der Strafmassnahmen zu vermeiden.

Deutschlands Kanzler Olaf Scholz hat am Dienstag die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 gestoppt. Er erfüllt damit vor allem die Erwartung der USA. Aber das geschah nicht im Rahmen einer EU-Antwort, sondern die Regierung hat unilateral den Zertifizierungsprozess für das Grossprojekt ausgesetzt, mit dem mehr russisches Gas nach Deutschland importiert werden soll. Berlin lässt sich die Entscheidungshoheit über die Zukunft der Pipeline offen.

De facto ändert sich nichts. Die Freigabe von Nord Stream 2 war wegen der laufenden Zertifizierung bereits seit Monaten blockiert. «Deutschland hat eine Pipeline geschlossen, die gar nicht offen war», bringt es Paul Donovan von UBS auf den Punkt.

Weiterhin ist nicht klar, ob Russland als Antwort auf die Strafmassnahmen des Westens seine Rohstoffexporte drosseln wird. Am niederländischen Terminmarkt ist der Gaspreis seit Montagnachmittag um 47% auf 106 € gestiegen.

Die Reaktion an den Finanzmärkten spiegle die Furcht vor künftigen Aktionen und nicht so sehr die Bewertung der nun in Kraft getretenen Sanktionen, kommentiert Donovan.

Stagflationsgefahr steigt in Europa

Sanktionen sind stets ein zweischneidiges Schwert. Sie treffen das Zielland, sie können aber auch daheim wirtschaftliche Kosten verursachen. Ein Jahr nach den Strafmassnahmen von 2014 kippte Russland in eine Wirtschaftskrise, und der Rubel stürzte ab. Die westlichen Exporte nach dem Riesenreich brachen daraufhin ein. Beispielsweise nahmen die Schweizer Warenausfuhren nach Russland um rund 1 Mrd. Fr. ab.

Europa ist abhängig von russischem Gas, wenn auch je nach Land unterschiedlich stark. Italien, Österreich und Deutschland sind besonders betroffen. Bis zu 19% ihres Energiekonsums decken sie mit Gas aus Russland ab. Die Schweiz liegt mit einem Anteil von 7% im europäischen Mittelfeld.

Ökonomen fürchten, dass die Notierungen noch höher steigen und damit die Konjunktur abwürgen – auch in der Schweiz. Der Gasanteil am Primärenergiebedarf sei hierzulande zwar moderat, weil Gas keine Rolle bei der Stromerzeugung spiele, dennoch heizten rund 20% der Schweizer Privathaushalte mit Gas, erläutert Alexander Koch, Konjunkturexperte von Raiffeisen Schweiz.

In einem Kommentar schreibt er: «Die Schweizer Gasversorgungsunternehmen müssen mit der schrittweisen Anpassung ihrer Lieferverträge den Kostenschub weitergeben. Darüber hinaus werden viele energieintensive Unternehmen stark betroffen sein, da die Industrie ihren Energiebedarf zu über 25% mit Gas deckt.»

Eine Stagflationsphase in der EU ist möglich geworden. Die deutsche Commerzbank spricht von einem Damoklesschwert, das über den Konjunkturaussichten hänge. Würde Russland bei einer weiteren Eskalation der Krise den Gashahn zudrehen, würde das den wirtschaftlichen Aufschwung zumindest zeitweise unterbrechen.

Verletzbar auch über Gas hinaus

Russland ist der fünftgrösste Handelspartner der EU. Von den Exporten ins Nicht-EU-Ausland werden 5% nach Russland verkauft. Die EU-Ausfuhren nach Russland sind breiter diversifiziert als die Importe. Maschinen, Fahrzeuge und Fahrzeugteile stellen mit 44% das Gros der Exporte. Chemiewaren machen 21% aus, landwirtschaftliche Erzeugnisse rund 9%. Europas Wirtschaft ist also in verschiedenen Bereich anfällig, falls die Nachfrage aus Russland einbricht.

Hinzu kommen Dienstleistungsexporte der EU (Tourismus, Finanzen etc.) im Wert von 19 Mrd. €, wobei die EU doppelt so viele Dienstleistungen nach Russland exportiert, als sie von dort importiert.

Angel Talavera, Ökonom des britischen Wirtschaftsforschungsinstituts Oxford Economics, relativiert das Risiko allerdings: Die einzelnen EU-Länder seien deutlich weniger exponiert. «Rechnet man auch die Exporte von einem EU-Staat in die restliche EU mit ein, macht der russische Exportanteil im Warenhandel im Durchschnitt nur knapp 2% aus», sagt er.

Schweiz ist gewappnet

Claude Maurer, Chefökonom Schweiz der Credit Suisse, sieht die Schweiz im Vorteil gegenüber der EU. In Bezug auf die Inflation, bei den Zinsaussichten und beim Wirtschaftswachstum sei sie äusserst vorteilhaft positioniert. Sollte die deutsche Konjunktur im Zuge der Ukrainekrise an Fahrt verlieren, bekäme das auch die Schweiz zu spüren. Demnach dürfte sich der Franken bei einer weiteren Eskalation in der Ukraine weiter aufwerten.

Aber Maurer sieht momentan eher eine grössere Schwungkraft der Schweizer Konjunktur statt eine kleinere – allein schon wegen der früher als erwartet gekommenen Öffnung nach der Pandemie. Und die Nationalbank würde eine übermässige Aufwertung bekämpfen.

Für eine Anpassung der Wachstumsprognose sei es noch zu früh, sagt Alexis Körber vom Institut Bak Economics. Auch er blickt wie Koch vor allem auf allfällige Kaufkraftverluste, falls die Energiepreise in der Schweiz länger als erwartet hoch bleiben.

Gesamtwirtschaftlich spielt Russland für die Schweiz nur eine Nebenrolle. Im Warenexport steht es auf Rang neunzehn. Mit einem Anteil von 1,1% ist der Handelspartner etwa von gleicher Bedeutung wie Südkorea oder Polen. 2021 verkauften Schweizer Unternehmen Güter im Wert von 3,2 Mrd. Fr. nach Russland.

Und russische Direktinvestitionen in der Schweiz sind seit drei Jahren auf dem Rückzug. Der Kapitalbestand erreichte 2016 sein bisheriges Hoch mit knapp 28 Mrd. Fr. Das entsprach damals 2% aller ausländischen Direktinvestitionen in der Schweiz. Im Coronajahr 2020, dem letzten Jahr, für das die Nationalbank Zahlen ausweist, ist der Anteil auf 1,3% geschrumpft (16 Mrd. Fr.). Russland steht unter den europäischen Investoren damit an sechster Stelle.

«Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die Bedeutung Russlands als Wirtschafts- und Handelspartner gering», sagt Maurer. Das gelte natürlich nicht für einige Unternehmen in der Schweiz, die engere Beziehungen pflegen würden.

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