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10:37 Uhr - 20.04.2016

Roubini: «Geldpolitik muss den Kollaps verhindern»

Nouriel Roubini, US-Starökonom und als «Dr. Doom» bekannt, sieht derzeit einzig die Zentralbanken als Schutzwall gegen eine weltweite Depression.

Ob sein Ruf als Untergangsprophet «Dr. Doom» wirklich zu ihm passe, wird Nouriel Roubini oft gefragt. «Ich bin Dr. Realist», lautet dann seine Antwort. Während der Börsenturbulenzen Anfang Jahr erklärte der Starökonom denn auch zur Überraschung des Publikums, es stehe keine Finanzkrise wie 2008 bevor und auch keine weltweite Rezession. «Es gibt zwar viele Risiken, aber auch ein gewisses Aufwärtspotenzial», sagte er vergangene Woche am FuW Fund Experts Forum in Rüschlikon. «Nötig ist eine vernünftige und realistische Einschätzung.»

Herr Roubini, wird die unkonventionelle Geldpolitik noch eskaliert?
Vermutlich schon. Wenn es hart auf hart kommt, lassen sich die Zinsen weit ins Negative senken. Wird der Negativzins verschärft, wollen die Banken ausweichen und dazu ihre bei der Zentralbank deponierten Überschussreserven in Bargeld wechseln. Das würde verboten. Die Banken dürften nur so viel Bargeld halten, wie sie für Transaktionen mit Kunden benötigen. Der Rest bliebe Überschussreserve zum Negativzins. Letztendlich könnte auch Bargeld besteuert werden. In solch einer Welt könnten wir uns wiederfinden.

Negativzinsen schaden den Banken und somit der Kreditvergabe und der Wirtschaft.
Nicht nur Negativzinsen schaden den Banken, sondern auch der Kauf von Staatsanleihen. Das Quantitative Easing drückt die langfristigen Zinsen nach unten und reduziert die Zinsmarge der Banken.

Ist das nicht kontraproduktiv?
Die Politik der Zentralbanken kann den Banken schaden, aber wenn die Massnahmen Deflation und eine Rezession verhindern, geht es den Banken dennoch besser als in einem heftigen Abschwung, in dem ihre Kunden in Konkurs gehen und Risiken sowie Verluste am Finanzmarkt zunehmen. Insgesamt profitieren die Banken von der unkonventionellen Geldpolitik.

Werden die Notenbanken auch ihre Anleihenkäufe ausweiten?
Die Geldmenge lässt sich erhöhen, indem die Zentralbanken neben Staats- und Unternehmensanleihen auch ausländische Vermögenswerte kaufen. Da gibt es keine Limite – auch wenn das zu einem Währungskrieg führen kann. Falls der Euro und der Yen zu stark werden, haben die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan keine andere Wahl. Japan kauft schon jetzt ausländische Assets durch die Hintertür, etwa mit dem staatlichen Pensionsfonds GPIF.

Ist die US-Wirtschaft denn robust genug für Zinserhöhungen der Notenbank Fed?
Mitte Februar betrug der Risikoaufschlag für hochverzinsliche Unternehmensanleihen 9 Prozentpunkte. Drei Monate mit so hohen Marktzinsen, und die USA geraten in eine Rezession. Das Fed ist sich dessen sehr wohl bewusst. Hohe Risikoprämien sind für jede Wirtschaftserholung tödlich. Sie sind schlimmer als fallende Aktien oder ein starker Dollar. Das Fed sollte mit Zinserhöhungen zuwarten.

Gehen die Notenbanken nicht zu weit?
Wenn Sie wie Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble Nein sagen zur Europäischen Zentralbank und Nein zu einem Fiskalstimulus, dann bedeutet dies für die Eurozone eine erneute Rezession, Deflation, Depression. Wer keine expansive Geldpolitik will, braucht massiven fiskalischen Stimulus. Andernfalls ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage kleiner als das Angebot, die Wirtschaft fällt in eine Depression. Doch die meisten Kritiker der Zentralbanken sind auch kritisch gegenüber höheren Staatsausgaben. Das ist ein Widerspruch.

Sind strukturelle Reformen nicht wichtiger?
In Europa gebe es strukturelle Probleme, wird gesagt. Das mag sein, aber die Wirtschaft wächst weit unter ihrem Potenzial, die Unterbeschäftigung ist enorm. Der Unterauslastung muss mit gesamtwirtschaftlicher Nachfrage begegnet werden, durch Geld- oder Fiskalpolitik. Sonst droht Depression. Das will nach den Erfahrungen der Dreissigerjahre niemand.

Die Regierungen tun also zu wenig.
Wir befinden uns in einer Welt, in der Politiker das Werkzeug der Fiskalpolitik nicht einsetzen wollen, selbst wenn sie Spielraum dafür hätten, und in der strukturelle Reformen nur langsam geschehen. Reformen benötigen Zeit, bis sie positiv auf das Wachstum wirken, kurzfristig können sie die Wirtschaft bremsen. Deshalb bleibt derzeit nur die Geldpolitik.

Die Europäische Zentralbank hat demnach den Bogen nicht überspannt?
Die Leute vergessen, dass die Alternative schlimmer ist. Bundesbankpräsident Jens Weidmann vertritt im EZB-Rat stets eine kritische Meinung. Doch selbst er sagte kürzlich, zwar sei er mit dem Umfang der geldpolitischen Massnahmen nicht einverstanden, aber die Richtung stimme: Eine expansive Geldpolitik und somit eine Kombination von Anleihenkäufen und Negativzinsen sei nötig.

Ist die EZB im Tiefzinsumfeld nicht allzu sehr auf ihr Inflationsziel von 2% fixiert?
Der Grund für die expansive Politik ist nicht nur, dass die EZB ihr Inflationsziel und damit ihr Mandat verfehlt. Die Geldpolitik muss den Kollaps der Wirtschaft verhindern. Weidmann sagte: Die Leute sind nicht nur Sparer, die unter tiefen Zinsen leiden, sondern auch Schuldner, die in Konkurs gehen können, und Arbeitnehmer, die unter Umständen ihre Stelle verlieren. Selbst Weidmann attestiert, dass negative Zinsen per saldo positiv sind.

Wie entwickelt sich die Weltwirtschaft?
Die Turbulenzen an den Finanzmärkten im Januar und Februar lasteten auf dem globalen Wachstum. Die US-Wirtschaft verlangsamte sich, ebenso China, die Schwellenländer und Rohstoffexporteure. Als Einzige expandierten paradoxerweise Europa und Japan. Sie schwächen sich seither jedoch ab. In den USA wird es nun ein bisschen besser. China ist zwar nicht in einer Abschwächung, sondern stabilisiert sich, aber von einem neuen Aufschwung bin ich nicht überzeugt.

Es sieht also nicht besonders gut aus.
Die Situation ist nicht so schlecht. Die Leute nennen sie das neue Mittelmass, die neue Normalität, die säkulare Stagnation – wir sagen die neue Anormalität. Wenigstens befinden wir uns nicht in einer Rezession oder einer Depression. Es ist womöglich das Beste, was wir für die Welt erwarten können in den nächsten paar Jahren.

Eine Gefahr für die Weltwirtschaft ist ein Wachstumseinbruch in China.
Die befürchtete harte Landung der chinesischen Wirtschaft oder gar Nullwachstum sind unwahrscheinlich. China hat in der Tat zu viel investiert, hat Überkapazitäten und zu hohe Schulden. Das Wachstum schwächt sich deutlich ab und beträgt nicht 6,7% wie offiziell rapportiert, sondern eher zwischen 5,5 und 6%. Das Potenzialwachstum in China für die nächsten fünf Jahre beträgt 5%. Die schlechte Nachricht ist, dass die Abschwächung holprig verläuft – die gute, dass es keine harte Landung gibt.

Wie schlimm ist die Verschuldung in China?
Sehr schlimm. Doch China hat die Möglichkeit, Schulden zu sozialisieren, deshalb ist ein Bank Run unwahrscheinlich. Von Zeit zu Zeit ereignet sich ein Schock, und die Märkte geraten in Panik. Aber die Wirtschaft und die Währung werden nicht kollabieren. Die Regierung hat genügend Instrumente, um dies einigermassen zu bewältigen – wenn auch auf turbulente und chaotische Weise.

Wie gross ist die Gefahr, dass China eine weltweite Rezession auslöst?
Eine globale Rezession oder Finanzkrise würde ausgelöst durch einen Wachstumseinbruch in China, der zu einem Kollaps der chinesischen Währung und des Aktienmarktes führt. Die Wahrscheinlichkeit dafür würde ich auf 20% beziffern. Das ist nicht mein Hauptszenario, sondern ein Extremrisiko, ein Tail Risk, über das man sich Gedanken machen muss. Allerdings will die Regierung das Wachstum auf 6,5% halten – das ist über dem Potenzial. Die einzige Möglichkeit, dies zu erreichen, sind mehr schlechte Investments, mehr Überkapazität und höhere Schulden. Das wird letztlich zu Problemen führen.

Welche Risiken für die Weltwirtschaft lauern in der Eurozone?
Griechenland war ein 200-Mrd.-€-Staatsschuldenproblem, es gab genug Geld von der EU, der EZB und dem IWF für ein Auffangnetz. Italien ist ein 2-Bio.-€-Staatsschuldenproblem. Falls Italien den Zugang zum Kapitalmarkt verliert, ist ein Bail-out nicht möglich. In einem positiven Szenario bleibt Premier Matteo Renzi an der Macht, die Wirtschaft läuft ordentlich, und die Schulden werden stabilisiert. In einem anderen Szenario verliert Renzi die Macht, und mit dem neuen Wahlgesetz übernimmt die Partei Cinque Stelle. Sie ist gegen den Euro; Italien könnte aus der Währungsunion austreten. Entweder ist also Renzi politisch und wirtschaftlich erfolgreich – und Europa und Deutschland haben Geduld mit ihm. Oder Italien könnte den Zugang zum Kapitalmarkt verlieren und die Eurozone verlassen.

Was bedeutet das für die Währungsunion?
Falls Italien geht, bedeutet dies das Ende der Eurozone. Was in den kommenden sechs Monaten in Italien geschieht, ist entscheidend dafür, ob die Eurozone überlebt oder dem Untergang geweiht ist.

Kann daneben die Schweizerische Nationalbank überhaupt unabhängig agieren?
Wenn andere Zentralbanken lockern, muss die SNB (SNBN 1060 0.95%) mehr lockern. Falls Grossbritannien aus der EU austritt, wird der Franken als sicherer Hafen gefragt sein. Für die SNB bedeutet eine weitere Lockerung eine Kombination aus mehr Interventionen am Devisenmarkt, noch tieferen Negativzinsen und kleineren vom Negativzins ausgenommenen Freibeträgen für die Banken. Die Spareinlagen muss man nicht besteuern, der Zins also nicht negativ sein. Man muss die Banken daran hindern, Überschussreserven in Bargeld zu wechseln, denn damit könnten sie dem Negativzins ausweichen.

Was sonst könnte die Schweiz tun?
Sie hat grossen Spielraum für fiskalische Expansion. Da wird nicht viel getan, unter anderem wegen der Schuldenbremse. Aber wenn die Massnahmen der SNB an ihre Grenzen stossen, mit dem Risiko einer massiven Überbewertung des Frankens und einer Rezession, dann müsste die Schweiz ihre Einstellung zur Fiskalpolitik möglicherweise überdenken.

Zwischen einer noch expansiveren Geldpolitik und Risiken für die Wirtschaft – was sollen Investoren tun?
Nach sieben Jahren Reflation, in denen die Zentralbanken die Vermögenspreise in die Höhe getrieben haben, gibt es keine offensichtlich günstige Anlageklasse mehr. Aktien sind hoch bewertet, mehr noch in den USA als in Europa und Japan – auch wenn ich dies nicht als Blase bezeichne. Ich würde wegen des Risikos von Marktkorrekturen empfehlen, mehr Bargeld zu halten als sonst üblich. Ich kaufe hingegen kein Gold (Gold 1249.52 -0.04%), denn sein Aufwärtspotenzial ist limitiert, ausser, es gibt globale Inflation oder eine weltweite Finanzkrise. Derzeit sind zehnjährige US-Staatsanleihen eine gute Anlage. Die Bewertung ist in Ordnung, und die Renditen könnten sogar noch fallen und damit die Kurse steigen – wenn auch nur, weil die Zentralbanken in Japan und Europa ihre Geldpolitik noch mehr lockern.

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