Zurück zur Übersicht
14:58 Uhr - 08.09.2015

«Investieren wird zu einem Glücksspiel»

David Webb, Hongkonger Aktionärsaktivist, kritisiert das Regulierungswerk der Hongkonger Börse. Dennoch setzt er auf die Aktien der Sonderverwaltungsregion.

Herr Webb, warum führen die chinesischen Börsen ein über weite Strecken nicht nur vom Ausland, sondern auch von der lokalen Realwirtschaft losgelöstes Eigenleben?
Diese Börsen sind surreal. Festlandchinesen sind, anders als Anleger in Hongkong, in der Wahl ihrer Investitionen wegen der Kapitalverkehrskontrollen stark eingeschränkt. Die Feuermauer ist dafür verantwortlich, dass bis vor kurzem selbst massive Kurskorrekturen an den Börsen in Schanghai oder Shenzhen am Aktienmarkt des wirtschaftlich autonomen Hongkong kaum registriert worden sind. Das ist mit ein Grund dafür, dass die Aussenwelt den chinesischen Finanzmarkt und damit auch die sich bereits einige Zeit deutlich abkühlende Konjunktur Chinas zu lange ignoriert hat.

David Webb Bild: ZVGIst das für ausländische Investoren frei zugängliche Hongkong ein besseres Barometer für den Zustand der chinesischen Wirtschaft, als es die Festlandbörsen sind?
Ja, die Hongkonger Börse reflektiert die delikate konjunkturelle Lage Chinas treuer als die Festlandbörsen. In Hongkong kotierte Aktien von chinesischen Unternehmen bleiben auch nach dem Crash der Festlandmärkte meist deutlich niedriger bewertet als ihre in Schanghai oder Shenzhen gelisteten Pendants. Dabei sprechen wir von Abschlägen von bis zu 100%. Und das, obwohl seit Ende 2014 zumindest in begrenztem Masse Arbitragegeschäfte möglich sind.

Es fällt auf, dass besonders in Hongkong kotierte Aktien chinesischer Banken sehr niedrig bewertet sind.
Ja, Investoren in Hongkong zeigen chinesischen Bankaktien seit langem die kalte Schulter. Die Gründe dafür sind im Wesentlichen politischer Natur. Die Anleger gehen davon aus, dass die chinesische Regierung im Falle einer Bankenkrise bei der Rettung der Institute die Interessen der Minderheitsaktionäre ganz nach hinten stellen wird.

Was, wenn es nicht die Bewertungen sind, treibt die Kursentwicklung an den Festlandbörsen an?
Zuerst einmal muss festgehalten werden, dass dieser Markt von Privataktionären dominiert wird, deren Entscheide meist nicht von Unternehmensresultaten, sondern von Gerüchten oder politischen Erwartungen bestimmt werden. Investieren wird damit zu einem Glücksspiel. Das zeigt sich gerade daran, dass Anleger in Erwartung eines möglichen Kursanstiegs eine in Schanghai gehandelte Aktie weiterhin ihrem weit günstigeren Hongkonger Pendant vorziehen.

Sind die Risiken in den in Hongkong gehandelten Aktien realistischer eingepreist?
Das hängt ganz vom Unternehmen oder auch von der Industrie ab. Die publizierten Zahlen einer in Hongkong gelisteten chinesischen Fluggesellschaft spiegeln die Realität wohl ziemlich genau, denn sie führt, anders als eine Bank, kein intransparentes Kreditportfolio in ihrer Bilanz.

Sie sprechen hier staatlich kontrollierte Unternehmen an. Wie sieht es mit der Transparenz von Privatgesellschaften aus?
Hier gibt es sicherlich gute Beispiele, so etwa die Lenovo Group. Das Unternehmen zählt mit seinem Computer- und Smartphonegeschäft zu den weltweit grössten Industriekonzernen. Es kann auf internationaler Ebene längerfristig nur mit einem hohen Mass an Offenheit Erfolg haben. Solche global ausgerichteten Unternehmen mögen zwar den scharfen internationalen Wettbewerb spüren und damit auch unter Margenschwund leiden, doch sind sie weniger den Unwägbarkeiten Chinas ausgesetzt.

Wie steht es um kleinere chinesische Gesellschaften?
Viele davon sind eher zerbrechlich. Das gilt vor allem dann, wenn ehemalige staatliche Unternehmen von ihrem Management unter oft wenig durchsichtigen Umständen übernommen worden sind. Das trifft insbesondere dann zu, wenn  Forst- oder Rohstoffunternehmen im Zuge des Erwerbs von Lizenzen Schmiergelder bezahlt haben. Gerät der bestochene Beamte plötzlich ins Fadenkreuz staatlicher Ermittler, stehen automatisch auch die Lizenzen auf dem Spiel.

Ist es denn nicht besser, in die Aktien von Hongkonger Unternehmen zu investieren, die einen Grossteil ihres Geschäfts auf dem Festland machen?
Eher schon. Dennoch lauern trotz der allgemein besseren Corporate Governance wegen regulatorischer Schlupflöcher auch hier Risiken für Minderheitsaktionäre. Zwar muss theoretisch ein Drittel der Verwaltungsräte unabhängig sein. Doch sie sind nur so weit unabhängig, wie das der kontrollierende Eigentümer will, denn er kann auch gegen den Willen der Minderheitsaktionäre alle Verwaltungsräte bestimmen. Auch können neue Aktien herausgegeben werden – dies oft mit einem erheblichen Abschlag –, ohne dass den bereits existierenden Aktionären ein Kaufrecht eingeräumt werden muss.

Wie ist das möglich?
Das Kotierungsreglement wird nicht von einer unabhängigen Stelle, sondern von dem profitgetriebenen Börsenbetreiber bestimmt.

Die Regierung kontrolliert den Börsenbetreiber. Warum hält sie am Status quo fest?
Man darf nicht vergessen, dass der Hongkonger Regierungschef nicht direkt vom Volk, sondern von einem von den lokalen Tycoons dominierten Gremium gewählt wird. Dabei lägen qualitativ höherstehende Marktbedingungen letztlich im Interesse aller. Denn nur so lassen sich gute Unternehmen an den lokalen Markt binden, was automatisch auch mit allgemein niedrigeren Kapitalkosten verbunden ist. Mir persönlich geht es im Kampf für einen besseren Schutz der Aktionäre vor allem auch darum, Hongkongs Rolle als internationales Finanzzentrum langfristig gegenüber Konkurrenten wie Schanghai zu sichern. Das gilt vor allem dann, wenn Peking die Kapitalverkehrskontrollen aufhebt.

Letztes Jahr hat der chinesische Online-Händler Alibaba (BABA 63.91 -3.85%) die Kotierung an der New York Stock Exchange der Börse Hongkong vorgezogen. Hat das Hongkong geschadet?
Nein, denn das Unternehmen war nicht einmal bereit, sich den ohnehin niedrigen regulatorischen Anforderungen Hongkongs anzupassen. Alibaba machte ein speziell auf sich zugeschnittenes Regelwerk zur Bedingung. Hongkong sollte seinen Standard aber nicht senken, sondern anheben. Die Forderung nach einer absoluten Dominanz im Verwaltungsrat hat eine tiefe Unsicherheit des Managements offenbart. Die Aktionäre sollten die Möglichkeit haben, das Management im Falle schlechter Leistung abzuwählen.

Was sagt es über die USA, dass Alibaba jetzt in New York kotiert ist?
Die USA sind eine eher prozesssüchtige Gesellschaft. Das wird durch die Möglichkeit der Sammelklage noch gefördert. Diese Art der Klage, die Hongkong nicht kennt, mag sich zwar disziplinierend auf Unternehmen auswirken. Aber ich denke, das ist nicht die Lösung, denn es ist mit sehr hohen Kosten verbunden, für die am Ende die Aktionäre aufkommen müssen.

Hongkong durchläuft eine Phase erhöhter politischer Risiken. Ist das bereits in den Aktienpreisen enthalten?
Hongkong ist ein internationaler Markt, womit sich die Risiken auch relativ treu in den Kursen spiegeln. Die meisten der hier kotierten Unternehmen kommen vom Festland und haben so auch wenig mit den lokalen Bedingungen zu tun. Ein Beispiel ist China Mobile (CHL 56.91 -3.18%), die ihr gesamtes Geld auf dem Festland verdient.

Wie schätzen Sie die politischen Risiken in China ein?
Die Frage ist, wie lange die Regierung das autoritäre System angesichts der bereits freigesetzten marktwirtschaftlichen Kräfte aufrechterhalten kann. Jüngst hat sie ihre Kontrolle über die Unternehmen durch die marktstützenden Massnahmen sogar noch vergrössert. Eine effiziente Marktwirtschaft ist ohne Presse- und Meinungsfreiheit, mit deren Hilfe die Entscheidungsträger zur Rechenschaft gezogen werden können, allerdings nicht möglich.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass die dafür nötigen Reformen durchgeführt werden?
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die marktwirtschaftlichen Kräfte durchsetzen. Allerdings ist offen, ob das im Zuge eines gesellschaftlich geordneten oder eines politisch turbulenten Transformationsprozesses geschieht. Als Investor hoffe ich, dass China in dreissig Jahren eine Volkswirtschaft ist, die wirtschaftlich auf gleicher Höhe steht mit Europa.

Sie investieren exklusiv in an der Hongkonger Börse kotierte Aktien. Gehen Sie hier nicht ein Klumpenrisiko ein?
Nein, denn es herrscht eine sehr hohe Korrelation zwischen Hongkong und den globalen Märkten. Das zweifellos bestehende spezifische geografische Risiko wird durch meine guten Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten mehr als ausgeglichen. Durch die gezielte Wahl von Aktien gut geführter lokaler Unternehmen schlage ich die Performance des Gesamtmarktes.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.