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10:04 Uhr - 24.10.2014

«Zu hohe Anforderung an Eigenkapital von Banken»

Stephen Cecchetti, ehemaliger BIZ-Chefökonom, warnt im Interview mit der FuW vor allzu viel Eigenkapital: Die Kreditvergabe würde von den regulierten Finanzinstituten abwandern.

Eigenkapital ist für Banken nicht kostenlos. Müssen sie zu viel Kapital aufnehmen, leidet die Kreditvergabe darunter, erklärt Stephen Cecchetti.  Er ist Professor an der Brandeis International Business School in Boston sowie ehemaliger Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und spricht am 4. November an einer in Basel stattfindenden Konferenz der CFA Society Switzerland über Derivate. Seine Aussage ist umstritten, so fordert der Ökonom Martin Hellwig eine viel höhere Eigenkapitalquote (lesen Sie hier mehr).

Herr Cecchetti, die Robustheit von Banken ist ein Streitthema. Brauchen sie mehr Eigenkapital?
Martin Hellwig und Anat Admati fordern eine Eigenkapitalquote von 20 bis 30% der ungewichteten Aktiva. Zur PersonStephen Cecchetti amtierte von 2008 bis 2013 als ökonomischer Berater und Chef der Währungs- und Wirtschaftsabteilung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel. Nach seinem Aufenthalt in der Schweiz ging er zurück zur Brandeis International School in Boston, um als Professor zu unterrichten. Zuvor war er Forschungsdirektor der Distriktnotenbank New York Fed. Sein Doktoratsstudium hatte er an der Universität Berkeley absolviert. Cecchetti schreibt auf seinem Blog www.moneyandbanking.com über Finanzmärkte und ihre Regulierung.Auf die gemäss dem Risiko gewichteten Aktiva entspricht dies einer Quote von um die 100%. Das würde zwar die Finanzinstitute robuster machen. Aber es würde die Kosten für das Bankgeschäft dramatisch erhöhen – und die Kreditvergabe drastisch einschränken.

Also würden weniger Kredite vergeben, wenn mehr Eigenkapital verlangt wird?
Ein grosser Anteil der Kreditvergabe würde von den regulierten Banken abwandern – und dadurch mehr Risiko schaffen. Vielleicht wollen Admati und Hellwig ein eingeschränktes Bankgeschäft, Narrow Banking. Das haben sie aber nicht gesagt. Und Narrow Banking würde die Kreditvergabe ganz aus dem Bankensystem drängen.

Admati und Hellwig erklären, dass höhere Anforderungen an das Eigenkapital die Kosten der Kreditvergabe nicht erhöhen.
Die beiden sind die einzigen Leute, die glauben, dass Eigenkapital für Banken keine Kosten verursacht. Es gibt viele Gründe, warum Fremdkapital für Banken günstiger ist. Ausserdem: Wenn die beiden richtigliegen, warum haben Banken nicht freiwillig viel mehr Eigenkapital eingesetzt – wenn es kostenlos sein soll?

Ist das Finanzsystem denn nun so weit abgesichert, dass sich die Bankenkrise nicht wiederholen könnte?
Wir brauchen sicherlich Kapitalanforderungen, die höher sind als im Moment. Wir benötigen auch gut gestaltete Stresstests. Dann braucht es Mechanismen, um die Stresstests glaubwürdig zu machen: etwa durch Simulationen auf dem Portfolio einer Bank, genannt Hypothetical Portfolio Exercises. Das sichert ab, dass die internen Modelle einer Bank richtig funktionieren. In Europa gibt es grosse Unterschiede zwischen den Ländern, manche sind viel strenger gegenüber ihren Banken als andere. Die EZB wird beim Bankenstresstest in der Eurozone wohl Eigenkapital nach der alten Definition unter Basel II anerkennen, also inklusive hybrider Instrumente, Goodwill und latenter Steueransprüche. Die Frage ist, wie viel echtes Kapital die Finanzinstitute halten.

Die EZB steht unter politischem Druck, dass Banken nicht durch den Stresstest fallen.
Die Frage lautet nicht, ob Banken durchfallen, sondern ob Regierungen dann gezwungen wären, Finanzinstitute mit mehr Kapital auszustatten – wie in Grossbritannien und den USA während der Finanzkrise. Die Regierungen müssen Kapital bereitstellen – und sie wissen das auch. Das Problem mit dem Stresstest in der Eurozone liegt darin, dass es keine gemeinsame staatliche Auffangeinrichtung gibt.

Was bringt eine gemeinsame Bankenregulierung in der Eurozone, wenn eine gemeinsame Auffangeinrichtung fehlt?
Bei einer gemeinsamen Währung braucht es auch ein gemeinsames Finanzsystem. Und das heisst: gemeinsame Regulierung, Aufsicht, Abwicklung und Einlagensicherung. Bei der Abwicklung und der Einlagensicherung braucht es einen gemeinsamen Fonds, der durch eine staatliche Garantie gedeckt wird. In einem gemeinsamen Bankensystem müssen sich Menschen in Madrid oder Nikosia bei ihren Bankeinlagen genauso sicher fühlen wie Menschen in Frankfurt. Für eine solche Bankenunion braucht es eine gemeinsame staatliche Absicherung. Das ist der Schritt, der noch nicht gegangen wurde.

Haben Sie das Gefühl, die Regulierung in Europa gehe in die richtige Richtung?
Meiner Ansicht nach ist verstanden worden, dass es eine Art von Union mit gemeinsamen Mechanismen – wie ich sie genannt habe – braucht.

An einer Konferenz in Basel werden Sie über das zentrale Clearing von ausserbörslich gehandelten Derivaten reden. Warum ist das Thema so wichtig?
Es gab zwei grosse Ausfälle von Teilnehmern auf dem Derivatmarkt, mit ganz unterschiedlichen Konsequenzen: die Versicherung AIG in der Finanzkrise 2008 und den Hedge Fund Amaranth Advisors im Jahr 2006. Der Ausfall von AIG hatte katastrophale Auswirkungen, während der von Amaranth die Märkte kaum bewegte.

Weshalb war AIG schlimmer als Amaranth?
AIG hatte rund 400 Mio. $ an Kreditversicherungen auf Hypothekenpapiere geschrieben, sogenannte CDS oder Credit Default Swaps. Amaranth hatte enorme Positionen in Erdgas-Futures an der Chicagoer Börse. Der Unterschied ist, dass im Fall von AIG die Derivate bilateral – also nur zwischen zwei Parteien – abgeschlossen wurden. Dagegen wurden bei Amaranth die Kontrakte über die Börse als zentrale Clearingstelle abgewickelt. Damit musste Amaranth für die Kontrakte eine Margin hinterlegen, also eine Art Depotzahlung leisten, während AIG dies nicht tun musste. Auch wurden die Derivatpositionen von Amaranth überwacht, im Gegensatz zu denjenigen von AIG.

Wäre damals eine Börse oder zentrale Gegenpartei vorgeschrieben gewesen, hätte dann der Staat AIG nicht retten müssen?
Vermutlich nicht. Das Problem war das Derivatbuch. AIG hatte nicht das Geld, um die Verpflichtungen zu erfüllen. Das wäre mit einer Central Counterparty respektive CCP nicht geschehen. Wäre AIG gezwungen gewesen, ihre Derivate über eine CCP abzuwickeln, hätte sie auch eine Margin hinterlegen müssen. Je grösser die Derivatpositionen durch das höhere Ausfallrisiko wurden, desto höher wäre die Margin ausgefallen. Am Ende hätte die zentrale Gegenpartei das Risiko nicht mehr zugelassen. Das zentrale Clearing überwacht also auch die Risikokonzentration. Das zweite Resultat einer CCP ist multilaterales Netting, auch Trade Compression genannt. Ausstehende Positionen mit verschiedenen Gegenparteien gleichen sich dabei zumindest teilweise aus.

Wie können sich Positionen ausgleichen?
Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem Kreis von drei Leuten. Sie verkaufen einen Derivatkontrakt an die Person rechts von Ihnen, und Sie kaufen genau den gleichen Kontrakt von der Person links von Ihnen. Statt einen Kontrakt aufzulösen, wird in der Praxis oft ein aufhebender Kontrakt eingegangen. Geschieht dies in einem Kreis von drei Leuten, ist jeder perfekt abgesichert, denn per saldo sind die Positionen glattgestellt. Geht aber eine Person in diesem Kreis pleite, stehen die anderen ohne die Absicherung da: Die Person, die ausgefallen ist, erfüllt ihre Verpflichtungen nicht mehr. Solche Kreise werden von einer zentralen Gegenpartei automatisch gefunden. Sie beendet alle Kontrakte, bevor sich die Pleite auswirkt.

Und solche sich per saldo aufhebende Kontrakte sind häufig?
Ja. Das geschieht etwa, weil es günstiger ist. Der Anreiz für den Händler ist, die aufzuhebenden Kontrakte einzugehen, statt Gebühren zu bezahlen, um den Kontrakt aufzulösen. Bei Zinsswaps konnte die Trade Compression die Bruttosumme der ausstehenden Derivate um 95% reduzieren. Häufiger ist eine Reduktion um 90%. Durch die Kompression verschwinden also neun von zehn Kontrakten. Wenn eine Insolvenz geschieht, gibt es dadurch deutlich weniger Risiko im System. Das bisherige systemische Risiko muss also nicht bestehen.

Warum hat die Finanzindustrie das zentrale Clearing nicht selbst eingeführt?
Die Vorteile existieren nicht für die einzelnen Marktteilnehmer. Nur das System insgesamt wird sicherer. Es ist eine klassische Externalität. Der Einzelne schafft gesellschaftliche Risiken, ohne die Kosten des Risikos zu übernehmen.

Gibt es Widerstand gegen die Einführung des zentralen Clearings?
Es gibt noch offene Fragen, etwa dass es eine Menge von CCP geben wird, die im Privatbesitz sind und nach Gewinn streben. Sie werden ihr eigenes Risikomanagement haben und damit unterschiedliche Anforderungen an die Sicherheiten stellen, die für die Margin hinterlegt werden müssen. Eine schlechte Sache wäre zum Beispiel, dass es zwei oder drei CCP in London gäbe, die sich gegenseitig Konkurrenz machen. Es entstünde ein Wettlauf nach unten, immer schlechtere Sicherheiten als Margin zu akzeptieren. Dieses Problem kann durch die Regulierer gelöst werden. Eine weitere Angst ist, dass die CCP sehr gross werden und sich das Risiko dort konzentriert. Es ist aber gewollt, dass eine zentrale Gegenpartei das Risiko sammelt. Meiner Meinung nach müssten die CCP die Form von öffentlichen Versorgern haben, wie eine Elektrizitätsgesellschaft. Man kann sie nicht allein wirtschaften lassen.

Es besteht die Sorge, dass beim zentralen Clearing die Sicherheiten knapp werden, falls alle Kontrakte besichert sein müssen.
Das ist lächerlich. Einerseits gibt es Studien, die zeigen, dass es genügend Wertpapiere gibt, die als Sicherheiten verwendet werden können. Andererseits gibt es durch die Kompression weniger Bedarf an Sicherheiten. Zudem müssen heute in der bilateralen Abwicklung so gut wie alle Gegenparteien auf beiden Seiten eines Vertrags Sicherheiten hinterlegen.

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