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07:08 Uhr - 21.06.2016

Wachsende Angst in den USA vor einem Brexit

Politiker und Wirtschaftsvertreter warnen in den USA vor einem Brexit. Die US-Wirtschaft würde in Mitleidenschaft gezogen.

Wenige Tage vor der britischen Abstimmung über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union (EU) liegen in den USA die Nerven blank. Ökonomen warnen vor den Folgen für die heimische Exportwirtschaft, und zahlreiche Unternehmen haben bereits angekündigt, dass ein Brexit zu Massenentlassungen bei ihren britischen Tochtergesellschaften führen würde. Mit fieberhaftem Lobbyismus versuchen sowohl die Regierung als auch einflussreiche US-Investoren, auf das Referendum Einfluss zu nehmen.

Zwar stehen Spekulationen über einen möglichen Brexit erst seit wenigen Tagen in den Schlagzeilen der US-Medien. Über die möglichen Folgen zerbrechen sich aber führende Politiker, Konzernlenker und Ökonomen schon seit Monaten den Kopf. Schliesslich haben die USA mit einem Gesamtvolumen von 492 Mrd. $ mehr Direktinvestitionen in Grossbritannien getätigt als jede andere Nation. Warum Firmen gezwungen werden könnten, Ressourcen abzuziehen, erklärt Jamie Dimon, Vorstandschef bei JP Morgan Chase (JPM 62.37 0.14%), am Beispiel der Banken und Finanzdienstleister. «Wir können heute von London aus Kunden in der gesamten EU bedienen, mit Investment Banking, Wertpapierhandel, Technologie und Beratungsdiensten» sagt Dimon. «Das wäre nach einem Ausstieg alles vorbei», stellt der Banker fest und hat bereits angekündigt, dass der Branchengigant in Grossbritannien bis zu 4000 Stellen streichen würde, also ein gutes Viertel der Belegschaft, sollte der Brexit zur Realität werden.

Ebenso stark betroffen wäre das produzierende Gewerbe. So beschäftigt Caterpillar (CAT 76.43 0.66%), der US-Marktführer beim Schwermaschinenbau, in Grossbritannien 9000 Mitarbeiter in 16 Firmen, deren Produkte in der gesamten EU verkauft werden. Verlässt Grossbritannien die EU, dann könnte der Branchenprimus nach Darstellung von Vorstandschef Doug Oberhelman «gezwungen sein, unser gesamtes Geschäftsmodell für das Auslandsgeschäft zu überdenken.» Wie aus einer neuen JP-Morgan-Studie hervorgeht, erwirtschaften führende US-Konzerne wie EBay, Ford (F 12.72 1.11%), Xerox und zahlreiche Finanzdienstleistungsunternehmen und pharmazeutische Hersteller in Grossbritannien im Schnitt ein Drittel ihre Konzernumsatzes. Deren CEOs befürchten ebenso wie Dimon, dass es verheerende Folgen für das Geschäft in Europa hätte, wenn Grossbritannien nicht mehr als faktische «Eingangstür» zu den den übrigen Märkten der EU dienen kann.

Nicht zu unterschätzen wären nach Ansicht führender Ökonomen auch die gesamtwirtschaftlichen Folgen. Für die ohnehin angeschlagene amerikanische Exportwirtschaft könnte dies einen Schneeballeffekt zur Folge haben. So verkauften US-Unternehmen nach Angaben des Census Bureau des Handelsministeriums vergangenes Jahr in Grossbritannien 56 Mrd. $ an Waren. Ausfuhren in die EU betrugen aber mit 271 Mrd. $ fast das Fünffache und könnten nach Ansicht von Experten einbrechen, wenn London nicht mehr quasi als «Sprungbrett zu Europa» dienen würde. Dass die Eventualität einer EU ohne Grossbritannien auf die US-Wirtschaft durchschlagen würde, liess auch Notenbankchefin Janet Yellen durchblicken. Sie hat unmissverständlich klargemacht, dass das Risiko eines Brexit bei der Entscheidung der Fed, weitere Zinserhöhungen auf die lange Bank zu schieben, mit Blick auf mögliche Turbulenzen an den Finanzmärkten eine Rolle gespielt hat.

Zu den energischsten Befürwortern eine Verbleibs in der EU zählt ferner Präsident Barack Obama. Er warnte vor den handelspolitischen Folgen. Sollte nämlich das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP ohne Grossbritannien zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden, neigt er dazu, auf ein getrenntes, bilaterales Abkommen mit dem Vereinigten Königreich zu verzichten. Anzunehmen ist, dass im Falle eines Wahlsiegs auch seine frühere Aussenministerin Hillary Clinton von einem getrennten Vertrag Abstand nehmen würde. Beide stellen sich energisch hinter aufwendige Lobby Aktionen der US-Industrie, die bereits Millionen investiert hat, um auf die Stimmung in der britischen Öffentlichkeit einzuwirken und den Verbleib in der EU sicherzustellen.

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