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07:17 Uhr - 23.09.2015

«US-Börse hat 20% Korrekturpotenzial»

Heinz-Werner Rapp, Vorstand und CIO des deutschen Vermögensverwalters Feri, erwartet weitere Turbulenzen an den Finanzmärkten, wie er im Interview mit der FuW erläutert.

Wer Heinz-Werner Rapp zuhört, den beschleicht ein mulmiges Gefühl. In nüchternem Ton erläutert der Anlagechef des unabhängigen deutschen Vermögensverwalters Feri das monetäre Endspiel, das in den nächsten Jahren ablaufen dürfte. Deshalb tendiert er dazu, die erwarteten Turbulenzen für Aktienkäufe zu nutzen – allerdings nicht, um damit viel Geld zu verdienen, sondern um im Krisenfall weniger zu verlieren als mit Anleihen und anderen Nominalwerten.

Zur PersonDr. Heinz-Werner Rapp ist Vorstand, Partner und CIO des unabhängigen deutschen Vermögensberaters und Asset-Managers Feri. Die in Bad Homburg beheimatete Gesellschaft ist bekannt für ihre Kapitalmarktanalysen, bietet aber auch Mandatslösungen und Beratungsdienste für institutionelle Kunden sowie vermögende Privatpersonen an. Der Baden-Württemberger Rapp befasst sich aktuell mit den neuen Risiken für Finanz- und Währungssysteme als Folge weltweit ausufernder Staatsverschuldung und zunehmend unsolider Notenbankpolitik. Er hat an der Universität Mannheim Wirtschafts- und Rechtswissenschaften studiert und 1994 dort über psychologisch geprägtes Anlegerverhalten doktoriert.Herr Rapp, wie interpretieren Sie die Turbulenzen der letzten Wochen?
Zum Jahresanfang profitierten vor allem die europäischen und die japanischen Börsen von der quantitativen Lockerung ihrer Notenbanken. Das war Teil unseres Jahresausblicks. Schon damals warnten wir aber vor dem Schwips und dem anschliessenden Kater, die diese Massnahmen zur Folge haben. Genau das ist passiert: Die Kurse sind den Fundamentaldaten vorausgeeilt, die Risiken wurden ausgeblendet, obwohl die Wirtschaft seit Jahren viel schwächer wächst als erwartet. In den letzten Wochen haben sich die Abwärtsrisiken für Konjunktur und Börsen deutlich erhöht.

Warum nimmt das Risiko zu?
Die Marktteilnehmer kommen allmählich zum Schluss, dass die Wirtschaft trotz massiver monetärer Stimulierung nicht wirklich anspringt. Folglich droht die grosse Ernüchterung: Die Börsen würden den Glauben an die Allmacht der Notenbanken verlieren, der sie bisher angetrieben hat.

Weshalb stockt das Wirtschaftswachstum?
Nach der Finanzkrise mussten Banken und Privathaushalte die im Boom aufgebauten Schulden reduzieren. Diese erzwungene Entschuldung führt zu langsamem Wachstum und deflationären Grundtendenzen, die die Wirtschaft immer wieder nach unten ziehen. Durch eine reflationäre Geldpolitik wird diesen Kräften entgegengewirkt. Die Liquiditätsflut hat bisher aber vor allem die Finanzmärkte beflügelt und nicht die Realwirtschaft. Das birgt Enttäuschungspotenzial.

Das heisst, niedrige Zinsen rechtfertigen nicht zwingend eine dauerhaft höhere Aktienbewertung?
Nein, denn die Zinsen sind ja nur deshalb niedrig, weil die Wirtschaft kaum vom Fleck kommt. Zwar können Unternehmen ihren Gewinn durch Finanzakrobatik schönen, doch wirklich nachhaltig sind die monetären Wachstumsimpulse nicht. Die Bewertungen sind wohl deshalb nicht übermässig hoch, weil den Märkten die fundamentalen Probleme durchaus bewusst sind.

Wobei es regionale und sektorale Unterschiede gibt.
Genau. Einige Segmente wie Rohstoffe oder Schwellenländer antizipieren die Schwäche bereits seit längerem. Die US-Börse zeigte sich bisher aber völlig unbeeindruckt und hat deshalb noch 10 bis 20% aufgestautes Korrekturpotenzial. Bislang ist der Einbruch ausgeblieben, weil Investoren glauben, die Notenbanken kriegen die Kurve. Dieser Glaube dürfte aber bald schon bröckeln, zumal ja auch die US-Notenbank zuletzt ihre Zinserhöhung ausgesetzt und ein sehr vorsichtiges Bild gezeichnet hat. Der S&P 500 wird deshalb wie eine dunkle Wolke über den weltweiten Börsen hängen.

Was war ein kritisches  Verkaufssignal?
Der Einbruch der chinesischen Börsen, die sich massiv von den Fundamentaldaten entkoppelt haben. So stieg der Shanghai Composite unentwegt, während der Li-Keqiang-Index, der die Wirtschaftsentwicklung mithilfe von Stromverbrauch, Transportvolumen und Bankkreditvergabe approximiert, auf den Stand von 2009 gesunken ist. Das Platzen der chinesischen Börsenblase war der erste kleine Riss in der Wahrnehmung der Investoren – vor allem als sie gemerkt haben, dass die chinesischen Behörden in Panik und blinden Aktionismus verfallen und trotzdem die Kontrolle verlieren.

Gab es weitere Alarmsignale?
Seit einem Jahr steigen in den USA die Risikoprämien auf hochverzinslichen Anleihen. Dieser Anstieg ist also nicht bloss ein Ausrutscher, sondern deutet auf zunehmende Probleme im Unternehmenssektor hin.

Wie deuten Sie die Abwertung des Yuans?
Sie hat der ganzen Welt bewusst gemacht, dass sich das Wachstum in China stark verlangsamt hat. Natürlich wirkt sie auch deflationär für den Rest der Welt.

Wie wirkt sich die Schwäche der Emerging Markets auf die Industrieländer aus?
Die starke Abwertung der Schwellenländerwährungen und die dortige Wachstumsschwäche werden auf den Importen lasten. Da der Anteil der aufstrebenden Volkswirtschaften am Welthandel fast 30% ausmacht, werden exportabhängige Industrieländer wie Deutschland und die Schweiz die Auswirkungen zu spüren bekommen. Und die Abkühlung der Importdynamik hat gerade erst begonnen, was bereits erste Abwärtsrevisionen bei den Umsatz- und Gewinnschätzungen exportorientierter Unternehmen wie BMW und Swatch auslöst.

Bisher haben die Börsen freudig auf schwache Konjunkturdaten reagiert, weil so die Geldpolitik expansiv bleibt.
Dieses schöne Gedankengebäude ändert sich insofern, als die US-Notenbank in absehbarer Zeit wohl doch noch an der Zinsschraube drehen wird. Zudem kommt die von den Schwellenländern ausgehende Verlangsamung allmählich in den Industrieländern an. Weil die Flughöhe der Gesamtwirtschaft extrem gering ist, wird jeder kleine Einschlag zur Gefahr. Nur ist die von den Schwellenländern ausgehende Verlangsamung kein kleiner Einschlag, sondern ein aufziehendes Unwetter, das in den Gewinn- und Wachstumsprognosen noch nicht enthalten ist.

Sind Schwellenländeraktien nach den Verlusten der letzten Jahre nicht attraktiv?
Wir glauben, dass den Schwellenländerbörsen der finale Ausverkauf noch bevorsteht, weil die Kapitulation bisher ausgeblieben ist – aus den Emerging Markets ist noch nicht viel Geld abgezogen worden. Krisen enden aber immer mit einer Kapitulation, weil sich Investoren in Scharen von ihren Anlagen trennen – koste es, was es wolle. Erst dann lohnt sich antizyklisches Verhalten, denn das letzte Stück des Ausverkaufs ist meist das teuerste. Das würden wir auf jeden Fall noch abwarten.

Wie reagieren die Notenbanken, wenn die Märkte realisieren, dass sie ihre Potenz verlieren?
Sie haben wohl keine andere Wahl, als noch stärker einzugreifen, auch wenn sie wissen, dass mehr vom Falschen nicht das Richtige ist. Doch was ist die Alternative? Nichtstun ist es nicht – das will die Politik nicht und auch nicht die Bevölkerung. Deflation ist wegen des hohen Schuldenstands keine Option, aus den Schulden herauswachsen auch nicht. Deshalb bleibt nur der Weg über staatlich verordnete Inflation.

Wie soll das gehen?
In diesem Fall hilft nur noch eine Art «All in» – wie beim Pokerspiel. Eine Möglichkeit ist Overt Monetary Financing – die Notenbank kauft zeitlich unbeschränkt und dauerhaft Staatsschulden auf. Sie nimmt die Schulden also aus dem System und lädt sie auf die eigene Bilanz, wo sie später möglicherweise abgeschrieben werden. Japan hat den ersten Schritt schon gemacht. Dort liegen bereits rund 40% der Staatsschuld bei der Zentralbank. Auch in den USA hält die Notenbank knapp 30% der ausstehenden Staatsanleihen. Die EZB steht noch am Anfang, ist aber auch bereits auf den Zug aufgesprungen. In den nächsten Jahren könnte dieses Thema salonfähig werden, untermalt von wissenschaftlicher Begleitmusik von Ökonomen wie Paul Krugman und Kenneth Rogoff.

Mit welchen Konsequenzen für die Inflation?
Was passiert, wenn die Notenbank die Staatsschulden aufkauft und streicht, hängt stark von der Perzeption ab. Wenn der Markt nur an eine technische Buchung bei der Notenbank glaubt oder in seiner Wahrnehmung eingeschläfert wird, reagiert die Teuerung womöglich nicht, auch wenn ich das nicht glaube. Alternative Währungen wie Gold dürften sich aufwerten – allerdings nur, wenn Notenbanken und Regierungen nicht dafür sorgen, dass Gold nicht steigen kann.

Sie ziehen Sachwerte wie Aktien und Gold den Nominalwerten vor, obwohl die Inflation nicht zwingend anzieht?
Wo hat man mehr Substanz und Wahrhaftigkeit? Wie werthaltig sind Forderungen, die nur auf Papier stehen, wie Währungen, Staatsanleihen und dergleichen? Mit Sachwerten fahren Sie besser, wenn die Inflation tatsächlich steigt, aber auch, wenn das Währungssystem Risse bekommt und später bei vollem Bewusstsein von Politik und Notenbanken an die Wand gefahren wird.

Welche Aktien eignen sich für ein solches Endspiel?
Solide und liquide Aktien mit viel Substanz – nicht um das Kapital zu vermehren, sondern um weniger schlecht dazustehen als mit Nominalwerten. Aktien, Immobilien und Gold können zwar auch 30% korrigieren. Doch mit Staatsanleihen und anderen rein nominalen Werten sind weitaus grössere Verluste möglich. Mit Aktien sind Sie an der realen Wertschöpfung eines Unternehmens beteiligt. Dies steht im Gegensatz zu einem Papier, das nur von leeren Versprechungen gedeckt wird, die jederzeit zurückgezogen werden können.

Das heisst, Sie bauen während der erwarteten Turbulenzen der nächsten Monate die Aktienquote wieder auf?
In der Tendenz: ja. Über die lange Frist haben Sie mit Aktien und Gold trotz heftiger Korrekturen Kriege, Inflation und Deflation überstanden – mit Staatsanleihen hingegen nicht.

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