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07:29 Uhr - 30.09.2016

«Tiefzins führt zu grosser Fehlbewertung in Aktien»

Nick Mustoe, Anlagechef von Invesco Perpetual, erkennt in Europa – trotz allem – attraktive Anlagechancen und rät zur Übergewichtung gegenüber US-Aktien.

Herr Mustoe, alles hängt an der US-Geldpolitik. Wie geht’s weiter?
Die Notwendigkeit einer US-Leitzinserhöhung besteht. Allein der dortige Arbeitsmarkt legt eine gewisse Straffung nahe. Aber Fed-Chefin Janet Yellen war bisher vorsichtig, weil es in der übrigen Welt nicht gerade rosig aussieht. Internationale Probleme, etwa China im Sommer 2015, dann im Juni Brexit, sorgten für Unruhe.

Es liegt also an externen Faktoren, dass sich die US-Zinsnormalisierung verzögert?
Ja. In den USA hat sich das Umfeld für eine Leitzinserhöhung stetig verbessert. Aber Yellen blieb vorsichtig. Mittlerweile dürfte die Zeit reif sein.

Das würde zur Stabilisierung der Märkte beitragen, die unter tiefen Zinsen leiden?
Ja, wir müssen diese Marktstörungen loswerden. Sie haben dazu geführt, dass die Anleihenrenditekurven – sie bilden die jeweiligen Marktzinsen für die verschiedenen Laufzeiten ab – jetzt sehr flach und sehr weit unten verlaufen. Das ist eine Folge der grossen Kaufkraft der Zentralbanken und nicht fundamentaler Bewertungen.

Bewegt sich die Zinskurve nun nach oben?
Die Renditekurve sollte sich langsam verschieben, mit dem Fed als Vorreiter. Japan und Grossbritannien könnten dann nachziehen. Das dürfte den Marktfokus verschieben und Investoren dazu bringen, dort anzulegen, wo Rendite erwartet wird.

Dann stehen wir aber immer noch erst am Anfang der Zinsnormalisierung.
Das stimmt. Wenn das Fed den nächsten kleinen Schritt setzt, ist das noch weit entfernt von dem, was man gemeinhin als normales Zinsniveau beschreiben könnte.

Wird dieses normale Zinsniveau denn überhaupt wieder erreicht werden können?
Das wird so bald nicht der Fall sein. Aber die Mini-Zinsschritte sollten ihre Wirkung auf die Festzinsmärkte entfalten, und dann auch auf andere Anlageklassen.

Also (ALSN 85.45 0.18%) auch auf Aktien?
In der Anlageklasse Aktien tummelt sich eine Menge von Bond-Flüchtlingen, die ausserhalb von Anleihen Ertrag suchen. Die Tief- oder Negativzinsen bei Bonds  haben zu grossen Fehlbewertungen auch bei Aktien geführt. Investoren sind bereit, für Aktien einen hohen Preis zu bezahlen, solange die Rendite stimmt.

Wird sich das ändern, wenn die Zinsen nach oben in Bewegung kommen?
Die Einschätzungen zu Aktien- und Anleihenmärkten dürften sich dann neu formieren, näher an den Fundamentaldaten.

Eine generelle Neuausrichtung also?
Das könnte der Beginn eines allgemeinen Politikwechsels sein. Die Leute werden sagen, die Anleihenkäufe – quantitative Lockerung – und die negativen Zinsen helfen zwar den Aktienmärkten, aber sie haben nicht unbedingt die gewünschte Wirkung auf die Realwirtschaft. Also soll die Politik den Kurs ändern und Wachstum kreieren.

Hebt die quantitative Lockerung der Notenbanken nicht alle Boote?
Die Grundstimmung am Markt ist nicht gut. Alle paar Monate gibt es Verkaufswellen an den Aktienmärkten, weil die Leute sich Sorgen machen, dass die Wirtschaft nicht oder zu wenig wächst.

Gäbe es mehr Wachstum, würde die permanente Verunsicherung schwinden?
Verunsicherung hält die Märkte fragil, sie können jederzeit sehr schnell einbrechen. Ich erinnere ans Frühjahr, als die Angst vor einer weltweiten Rezession aufkam – ohne dass dies durch die realen Daten gerechtfertigt war. Die Märkte verhalten sich derzeit anders, als man dies angesichts der Fundamentaldaten annehmen sollte.

Das alles kann die US-Notenbank ändern?
Es ist wichtig, dass Bewegung in die US-Geldpolitik kommt. Wenn dort die Zinsen nach oben gehen, wird das ein bisschen mehr an Zuversicht und Vertrauen  bei den Anlegern schaffen. Dieses positive Gefühl dürfte dann auch auf andere Regionen übergreifen oder sie wenigstens beeinflussen.

Kündigt sich in der US-Wirtschaft aber nicht schon die nächste Rezession an?
Für die nächste Rezession ist es noch viel zu früh. Der Konjunkturzyklus in den USA, wie auch in den meisten anderen Volkswirtschaften, ist flacher als früher und mehr in die Länge gezogen. Es gibt nicht mehr das exzessive Wachstum, das bereits die Basis für den nächsten Abschwung legt. Der Aufschwung in den USA kann eine ganze Weile weitergehen.

Spiegelt sich diese Erwartung in den Gewinnprognosen der US-Unternehmen?
Die sind immer noch auf recht hohem Niveau. Kritisch anzumerken ist, dass US-Unternehmen sich mehr um Aktienrückkäufe kümmern, statt zu investieren.

Wie schätzen Sie Europa ein?
Europa bietet gute Anlagechancen in Aktien. Der Anlageertrag liegt deutlich unter dem früherer Zyklen oder dem der USA, und das spiegelt sich auch in den Bewertungen europäischer Aktien. Europa zeigt sich viel attraktiver als die USA, wo die Aktienkurse nun extrem hoch sind. Der S&P 500 erzielte unter den Aktienindizes der wichtigsten Märkte jahrelang die höchsten Zuwachsraten. Nun sind weitere Anlagechancen am US-Markt dünn gesät.

Gilt das nicht nur mit Blick auf die Aktienkurse, sondern auch auf die Bewertung?
Die Schlüsselfrage lautet: Was kriege ich für den Preis der Anlage, wie viel bekomme ich von meinem investierten Geld an Kursgewinn, Dividenden, Cashflow zurück? In Europa gibt es noch zahlreiche Unternehmen, die im Vergleich zu ihren US-Pendants sehr niedrig bewertet sind.

Nicht ganz zu Unrecht?
Letztlich ist alles eine Frage der Bewertung. Wenn Sie die Märkte über Jahre hinweg vergleichen, werden Sie feststellen, dass Europa derzeit gutes Aufwärtspotenzial bietet. Dafür braucht es gar keine dramatisch hohen Wachstumsraten. Der Appetit der Anleger wird sich sukzessive auf Europa verlagern.

Besteht im Nachgang zum Brexit eine Rezessionsgefahr für Grossbritannien?
Bisherige Daten lassen nicht darauf schliessen. Der Einzelhandelsumsatz ist in Ordnung, die Unternehmensergebnisse sehen ziemlich gut aus. Wir sehen kaum Unternehmen, die wegen des Brexit Gewinnwarnungen publizieren. Der Fahrzeugabsatz hat etwas eingebüsst, aber die übrige Wirtschaft Grossbritanniens gibt sich recht zuversichtlich.

Das Pfund musste gehörig Federn lassen.
Das Pfund hat die Hauptlast des Brexit-Votums getragen. Seine starke Abwertung kommt der britischen Exportwirtschaft sehr zupass. Alles in allem lief es bisher besser als befürchtet, aber es muss nicht unbedingt so positiv weitergehen.

Zurück zum Gesamtbild: Wie beurteilen Sie die verschiedenen Sektoren?
Basiskonsumgüter und andere sehr defensive Sektoren sind bisher sehr gut gelaufen; Unternehmen aus den zyklischen Bereichen, etwa Finanztitel, schnitten wesentlich schlechter ab. Deshalb haben wir hier grosse sektorale Unterschiede in der Performance und in der Bewertung.

Wie schlägt sich das in der Positionierung nieder?
Wir richten uns  nach der Stetigkeit der Ertragskraft und der Fähigkeit, ordentliche Dividenden zu generieren. Das hat sich ausgezahlt. Wir haben aber auch grosse Positionen in zyklischen Sektoren – in der Finanzindustrie und im Ölgeschäft, weil dort die Bewertungen sehr niedrig sind.

Finanzinstitute und Ölunternehmen – sind da die Risiken nicht allzu gross?
Die zyklischen Sektoren bieten langfristig einiges Potenzial. Vielleicht sollte man gegenüber Zyklikern auf lange Sicht auch nicht zu pessimistisch sein. Wir kaufen Zykliker nicht deshalb, weil wir einen Kursschub erwarten. Wir kaufen sie vor allem, weil sie sehr tief bewertet sind.

Angesichts von Tiefzinsen und Fehlbewertungen: Was ist Ihr Fazit für Aktienanleger?
Viele Aktien sind aus Renditegesichtspunkten immer noch attraktiv, auch wenn Kursrisiko durch Volatilität besteht. Eine Überlegung wäre, europäische Aktien über- und US-Titel unterzugewichten. Interessant sind Öl- und Finanzwerte, weniger attraktiv Basis- und sonstige Konsumgüter. Auch in Schwellenländern gibt es attraktive Aktien.

Sollten Anleger einen Plan B haben für den Fall, dass Donald Trump US-Präsident wird?
Sollte Trump gewählt werden, ist das nicht notwendigerweise schlecht für die Märkte. Er wird als Präsident die Staatsausgaben erhöhen. Das könnte für die Wirtschaft zumindest mittelfristig positiv sein. Natürlich entstehen auch Risiken für US-Assets auf lange Sicht. Andere politische Risiken sehe ich in den langfristigen Folgen des Brexit oder im Ausgang des Referendums zur Verfassungsreform in Italien. Es gibt einen Trend zu nationalistischer Abschottung. Die Mittelschicht in vielen Ländern, die ihren Wohlstand gefährdet sieht, ist unzufrieden. Gegen diese Grundstimmung haben die quantitativen Massnahmen der Notenbanken nicht viel ausgerichtet. Da ist die Politik gefordert.

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