Der Bund hätte gegen Moskau einen starken Hebel, denn Russen horten Milliarden auf hiesigen Konten. Und 80% von Russlands Rohstoffen werden hier gehandelt.
Die Schweiz ist der beliebteste Offshore-Finanzplatz für reiche Russinnen und Russen. Weltweit. Gemäss Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich liegen aktuell rund 11 Mrd. $ von russischen Privatpersonen und Unternehmen auf Schweizer Bankkonten. Das sind 30% der erfassten russischen Guthaben auf Konten auf der ganzen Welt. Das heisst: Fast jeder dritte Dollar, den russische Bürger und Firmen ins Ausland bringen, gelangt in die Schweiz.
Es gibt jedoch noch weitere Zahlen, welche die Bedeutung des hiesigen Finanzplatzes für die russische Elite deutlich machen. So floss gemäss Erhebung der russischen Zentralbank 2020 rund 2,5 Mrd. $ neues Geld aus Russland in die Schweiz. 2021 wird dieser Wert vermutlich noch deutlich übertroffen werden. Allein im 3. Quartal wurden 1,8 Mrd. $ von Russland in die Schweiz transferiert – das ist mehr als doppelt so viel Geld, wie im selben Zeitraum aus Russland in die USA oder nach Grossbritannien floss.
Auch Direktinvestitionen aus Russland in die Schweiz sind gestiegen. In den letzten 10 Jahren haben sie sich auf aktuell rund 25 Mrd. $ verdreifacht.
Die meisten Oligarchen hätten ihr Vermögen ausserhalb der EU in Sicherheit gebracht, kommentierte eine Korrespondentin des ZDF gestern in den Abendnachrichten: «in die Schweiz oder andere Steueroasen».
Dass Banken in Zürich oder Genf für reiche Russen der weltweit beliebteste Ort sind, um ihre Vermögen zu deponieren, zeigt auch eine Umfrage von 2020 der Beratungsfirma Ernst & Young bei Finanzspezialisten, die für russische Multimillionäre arbeiten. 98% der Befragten gaben an, dass sie Schweizer Banken «bevorzugen».
Zwar seien russische Kunden «sehr teuer», wie eine Bankerin in Genf sagt, die sich speziell um diese Kundschaft kümmert und anonym bleiben will: Man müsse zahllose Kontrollen durchführen, bevor man Geld annehmen könne. Viele Banken in London hätten deshalb das Geschäft mit Russen aufgegeben. Schweizer Banken schreckt das aber offensichtlich nicht ab, denn die russischen Millionen versprechen auch enormen Umsatz. «Ein Russe, der auf den internationalen Märkten investiert, macht das heute hier von der Schweiz aus», stellt die Genfer Bankerin fest.
Ähnliche Aktionen sind auch in der aktuellen Krise zu erwarten. Doch die Schweiz ist längst nicht nur der beliebteste Geldtresor der Russen. Noch grösser ist ihre Präsenz im Rohstoffsektor.
Gemäss einem Bericht des Bundes erfolgen ungefähr 80% des russischen Rohstoffhandels über die Schweizer Finanzdienstleistungszentren Genf, Zug, Lugano und Zürich. Während sich der russische Gashandel in Zug festgesetzt hat, ist Genf das Zentrum der Ölgeschäfte. Und diese Geschäfte stehen jetzt im Fokus weltweiter Sanktionen.
Bereits auf Eis gelegt haben die Deutschen das wohl wichtigste Gas-Projekt der Russen mit Firmenzentrale in der Schweiz: die Pipeline «Nord Stream 2», die Gas aus Russland direkt durch die Ostsee nach Deutschland bringen soll – unter Umgehung der Ukraine. Die Pipeline gehört einer gleichnamigen Firma mit Sitz in Zug. Verwaltungsratspräsident ist der ehemalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder, Geschäftsführer der ehemalige Agent der ostdeutschen Stasi, Matthias Warnig. Der 66-jährige Warnig kennt Putin noch aus der DDR, als der heutige russische Präsident als Agent des KGB in Dresden arbeitete.
In Zug residiert auch die Firma Nord Stream, über die die Geschäfte der ersten Pipeline in der Ostsee laufen, durch die seit über 10 Jahren Gas aus Russland nach Deutschland gepumpt wird. Ebenfalls in Zug beheimatet sind Tochterfirmen des russischen Gasgiganten Gazprom (GAZ 4.82 +13.46%), über welche Marketing und Handel im Westen laufen.
Neben Nord Stream steht auch ein wichtiger Vertrauter Putins mit starken Wurzeln in der Schweiz neu auf einer europäischen Sanktionsliste. Am Dienstag sanktionierten die Briten Gennadi Timtschenko, der lange Zeit als der Ölhändler galt, der dem Kreml am nächsten steht. Laut den Briten habe er geholfen, die Ukraine zu «destabilisieren». Die USA sanktionierten Timtschenko bereits 2014, weil er die Okkupation der Krim durch Russland unterstützt habe.
Timtschenko ist ein Jugendfreund von Wladimir Putin, den er noch aus St. Petersburg kennt und mit dem er Eishockey spielte. Er hielt grosse Anteile am Genfer Rohstoffhändler Gunvor, musste diese aber 2014 wegen der ersten amerikanischen Sanktionen abgeben. Danach beendete er die meisten seiner Sponsoring-Aktivitäten in der Schweiz, etwa beim Eishockeyclub Genf-Servette.
Timtschenko senior hat die Schweiz mittlerweile verlassen, seine Frau und sein Sohn sollen noch hier leben, zumindest zeitweise. Ebenfalls noch in Genf angesiedelt ist Timtschenkos Stiftung Neva, die insbesondere das Musikfestival Verbier unterstützt.
Auch ein anderer Freund Putins, der ehemalige Eisenbahnminister Wladimir Jakunin, hat die Schweiz mit seinem Thinktank «Dialog der Zivilisationen» mittlerweile verlassen. Ein Sohn Jakunins hat aber immer noch Wohnsitz und Immobilien am Genfersee. Der Generationenwechsel war bisher eine relativ sichere Methode für russische Oligarchen, ihr Vermögen vor westlichen Sanktionen zu schützen. Das ist nun nicht mehr der Fall: Jetzt wollen die USA und die EU nicht nur gegen Putins Gehilfen selbst, sondern auch gegen deren Familien vorgehen.
Zu negativer Bekanntheit brachte es die Zuger Firma Rosukrenenergo, die zum Teil Gazprom und zum Teil dem russlandfreundlichen ukrainischen Oligarchen Dmitri Firtasch gehörte. Die Firma kaufte Gas billig in Zentralasien und verkaufte es teuer in der Ukraine. Das schadete der ukrainischen Wirtschaft massiv, brachte jedoch den Firmeneigentümern ein Vermögen ein. Firtasch wird von den USA der Bestechung beschuldigt und international gesucht. Er macht derzeit seine Geschäfte von Österreich aus. Seine Schweizer Rohstoffhandelsfirma hat der Oligarch mittlerweile aufgelöst.
Sanktionen der USA oder der EU gegen hiesige russischen Firmen und Personen können massive Auswirkungen haben, selbst wenn der Bund selber keine Sanktionen gegen sie in der Schweiz verhängt. Das zeigte der Fall der russischen Handelsfirma Rosneft (OJS1 3.69 -12.14%) Trading. Sie musste in Genf rund 50 Personen entlassen, als sie in den USA auf die Sanktionsliste kam wegen Geschäften in Venezuela.
Die russischen Oligarchen werden nun möglicherweise versuchen, ihr Geld vor Sanktionen zu schützen – sprich, es nach Russland zurückzuholen. Für diese Theorie sprechen zwei Beispiele aus dem Krisenjahr 2014. In beiden Fällen haben die Panama Papers später im Detail gezeigt, wie schnell das geht.
Kaum war Russland in die Krim einmarschiert, ermächtigte US-Präsident Barack Obama am 16. März 2014 sein Finanzministerium, einzelne Personen zu sanktionieren. Dieser Entscheid wurde jedoch erst am 20. März 2014 in Kraft gesetzt. Innerhalb dieser wenigen Tage schaffte es der Oligarch und Putin-Freund Boris Rotenberg, 120 Mio. $ von der Pictet in Genf zurück nach Moskau zu transferieren.
Am 18. März überwiesen die beiden Briefkastenfirmen Highland Ventures und Culloden Properties je 82 und 39 Mio. $ von ihren jeweiligen Konten bei der Bank Pictet auf Konten bei der Gazprombank in Moskau. In den Panama Papers ist klar nachzulesen, dass hinter diesen Firmen Rotenberg steckte.
Andere Transaktionen in der Schweiz betrafen womöglich Gelder von Putin selber. Die Panama Papers enthüllten, dass Sergei Roldugin, einer der engsten Familienfreunde und Taufpate von Putins Tochter, über Jahre millionenschwere Dollar-Konten bei der Gazprombank in Zürich hielt. Gemäss US-Finanzministerium steckt hinter diesen Geldern nicht der bescheidene Musiker Roldugin, sondern Putins persönlicher «Schatzmeister».
Während des Ukraine-Konflikts im Jahr 2014 eröffnete dieser Schatzmeister nun verschiedene Konten in Rubel, über die sogleich Millionengeschäfte abgewickelt wurden. Putins Schatzmeister floh aus dem Dollar.
Dieser Artikel stammt aus dem Tages-Anzeiger, weitere Artikel finden Sie unter www.tagesanzeiger.ch
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