Der Automobilzulieferer befindet sich in einem Tief. Die Erholung braucht Zeit, auch weil der Markt nicht hilft. Doch der Kurs enthält viel Pessimismus.
Aktien sollte man kaufen, wenn das Kurs-Gewinn-Verhältnis hoch ist, heisst es mitunter von alten Börsenhasen. Natürlich gilt das nicht pauschal, es gibt Voraussetzungen. Das hohe KGV sollte nicht von einem gestiegenen Kurs herrühren, sondern von einer – absehbar endlichen – Ertragsschwäche. Zudem sollte der Kurs nicht schon die ganze Gewinnerholung vorwegnehmen.
Autoneum (AUTN 119.3 0.42%) ist so gesehen ein Kandidat. Das KGV des Automobilzulieferers ist hoch. Das für 2019 beträgt 25 anhand der FuW-Schätzung für den Gewinn je Aktie und 20 über den höheren Analystenkonsens von Bloomberg gerechnet. Beides liegt deutlich über dem, was Autoneum in der Vergangenheit auf Basis der Gewinnerwartung für das jeweils laufende Jahr erreichte (vgl. Grafik 1, rote Kurve).
Aktien sind 60% gefallen
Das hohe KGV des Marktführers für Lärm- und Hitzeschutzsysteme entspringt auch keinem Kursanstieg: Seine Aktien notieren 60% unter ihrem Hoch. Der Grund liegt vielmehr in der Ertragsflaute. Von ihr ist zumindest der selbst verursachte Teil – die erheblichen operativen Probleme in zwei US-Werken – absehbar endlich. Wegen der Schwierigkeiten in den USA musste das Unternehmen sein Margenziel im vergangenen Jahr dreimal senken. Am Ende blieben 5% (vgl. Grafik 2). Die wichtige Business Group North America schrieb Verlust.
Um ihre Ertragskraft zurückzubringen, wurde ein umfangreiches Turnaround-Programm gestartet. Bis Remedur geschaffen ist, braucht es aber Zeit, wie CEO Martin Hirzel an der Jahreskonferenz im März klarmachte. Zum Stand der Dinge will sich Autoneum mit Verweis auf die Ad-hoc-Publizität, die chancengleiche Versorgung der Marktteilnehmer mit potenziell kursrelevanter Information, nicht äussern. Ein Update soll es mit den Halbjahreszahlen am 25. Juli geben.
So bleibt es bei der Aussage vom März, wonach erst die Lieferfähigkeit gesichert werden muss, ehe an Effizienz zu denken ist. Autoneum sollte das schaffen, zumal Werke in Europa und China mit denselben Anlagen reibungslos funktionieren.
Laut Hirzel wird 2019 ein Aufräumjahr; das erste Semester werde wohl rot. 2020 sollte eine substanzielle Besserung eintreten, doch erst 2021 sei mit einem wieder gesunden Profitabilitätsniveau zu rechnen. Das laufende Jahr markiert demnach ein Ertragstief. Danach sollte es mit der Marge wie mit dem Gewinn je Aktie wieder aufwärtsgehen. Diese Einschätzung spiegelt sich auch im KGV auf 12- und auf 24-Monate-Sicht: Je weiter der berücksichtigte Erwartungszeitraum in die Zukunft reicht, desto niedriger wird die Kennzahl (vgl. Grafik 1).
Wie viel Gewinnerholung der Kurs bereits vorwegnimmt, ist schwieriger zu sagen. Einen Anhaltspunkt gibt das Kurs-Umsatz-Verhältnis. Das KUV kann gute Zusatzinformationen liefern, wenn sich die Ertragslage abseits der Norm bewegt. Es gibt an, wie viel Wert Investoren 1 Fr. Umsatz beimessen; ein ertragsschwacher Umsatzfranken zum Beispiel wird niedriger bewertet als ein ertragsstarker.
Umsatz ist günstig bewertet
Das KUV von Autoneum hat sich binnen Jahresfrist bei wenig verändertem Umsatz halbiert. Wäre ein Grossteil der Gewinnerholung im Kurs eingepreist, würden Anleger dem Umsatz – alles andere gleich – mehr Wert beimessen und wäre die Kennzahl höher. Nur ist alles andere nicht gleich oder wie CEO Martin Hirzel im März sagte: «Der Markt hilft uns nicht.» Dessen Einfluss auf die Ertragsschwäche lässt sich nur bedingt durch ein Massnahmenpaket aus der Welt schaffen, und gering ist er kaum.
Im ersten Quartal lag der Automobilabsatz gemäss dem Datendienstleister LMC Automotive in allen Regionen klar unter Vorjahr, weltweit 6,7%. China, viele Jahre lang der Nachfragemotor, verzeichnete im April den zehnten monatlichen Rückgang in Folge; dortige Werke von Autoneum leiden deshalb unter einer zu niedrigen Auslastung. Gewinnwarnungen und Sparprogramme sind im Automobilsektor derzeit an der Tagesordnung. Hierzulande kassierte jüngst der Sektorzulieferer Feintool (FTON 65.3 -0.15%) seinen Jahresausblick.
Markt soll sich erholen
Wohl gehen Prognosen von einem besseren zweiten Halbjahr aus; für die nächsten Jahre erwartet der Datendienstleister IHS Markit zudem eine steigende Tendenz der globalen Autoproduktion, im Schnitt der nächsten fünf Jahre um 2,3%. Sicher ist das aber nicht und im historischen Vergleich zudem recht wenig. Autoneum wächst gemeinhin zwar rascher als der Markt und sollte sich dank innovativer Produkte, auch für Elektrofahrzeuge, weiterhin besser entwickeln als dieser. Doch auch die Winterthurer dürften ein verhalteneres Tempo anschlagen.
Weniger Wachstum wird an der Börse mit einem Bewertungsabschlag geahndet – einem Gewinnfranken wird vergleichsweise weniger Wert beigemessen. Dasselbe gilt für erhöhte Unsicherheit und für lädiertes Vertrauen (wie das in Autoneum nach den drei Warnungen vom Vorjahr). Um auf ein gegebenes Kursniveau der vergangenen Jahre zurückzukehren, braucht Autoneum unter diesen Bedingungen eine vergleichsweise höhere Ertragskraft. Kurse um 200 Fr. sind deshalb kaum absehbar, deutlich höhere als heute liegen angesichts der absehbar endlichen Ertragsschwäche und des niedrigen KUV in einem mittelguten Szenario aber drin.
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