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07:02 Uhr - 17.11.2014

Die populärsten Börsenirrtümer

Anleger lassen sich oft von Glaubensgrundsätzen leiten. «Finanz und Wirtschaft» hat die gängigsten Mantras einer Überprüfung unterzogen.

Anleger mögen einfache und griffige Formeln. Sie verbreiten sich rasch und bestärken Investoren in ihren Handlungen. Durch den sichtbaren Erfolg wird noch mehr Geld angezogen, was oft dazu führt, dass sich diese Erklärungsansätze zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung entwickeln. Nur erweisen sich die weit verbreiteten Dogmen im Rückblick oft als falsch und gefährlich.

«Finanz und Wirtschaft» hat die gegenwärtig populärsten Glaubensgrundsätze einer Überprüfung unterzogen. Allen potenziellen Irrglauben ist eines gemein: Solange die Investoren daran glauben, stellen sie kein Problem dar. Entwickeln sich die Märkte jedoch anders als erwartet, geraten sie schnell in Vergessenheit und werden durch neue Mantras ersetzt. Den Schaden trägt dann der Anleger.

Aktien sind günstig

Das Hohelied auf die günstige Bewertung treibt viele Investoren in Dividendentitel.  In der Tat wirkt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 15,6 auf Basis der für 2015 erwarteten Gewinne sowohl für den US-Leitindex S&P 500 als auch für den heimischen SMI (SMI 8915.31 -0.44%) nicht übermässig hoch.

Was bei dieser Betrachtung jedoch übersehen wird, sind die derzeit rekordhohen Gewinnmargen der Unternehmen. Daran ist an sich nichts Schlechtes, im Gegenteil: Die Unternehmen haben die Kosten seit der Krise stets im Griff behalten. Nur haben Margen die Angewohnheit, über den Konjunkturzyklus zu ihrem historischen Mittel zurückzukehren.

Aus diesem Grund haben schon die Value-Überväter Benjamin Graham und David Dodd auf die Bedeutung von geglätteten Gewinnen hingewiesen. Viele Jahrzehnte später wurde diese Idee von US-Wirtschaftsprofessor Robert Shiller übernommen. Der Nobelpreisträger setzt den heutigen Indexstand ins Verhältnis zu den durchschnittlichen Gewinnen der letzten zehn Jahre. So wird das KGV über den Konjunkturzyklus vergleichbar.

Mit 26,5 notiert das Shiller-KGV fast 60% über seinem langjährigen Mittel von 16,6 (vgl. Grafik 1, unten). Teurer als heute war der US-Markt nur 1929, 2000 und 2007.

Zwar existieren auch auf Basis des zyklisch adjustierten KGV durchaus günstige Märkte und Branchen – Beispiele sind die Aktienmärkte der europäischen Peripherie oder Energie-, Rohstoff- und Finanzwerte. Nur machen Anleger oft genau um diese Segmente einen grossen Bogen, weil sie nur die Probleme sehen, die in schwierigen Zeiten auf diesen Titeln lasten.

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«There is no alternative»

Es gebe keine Alternativen zu Aktien, wird mit Verweis auf die niedrigen respektive teilweise sogar negativen Zinsen auf Sparkonten oder bei Staats- und erstklassigen Unternehmensanleihen oft kolportiert. Im Vergleich dazu wirken Gewinnrenditen – das ist der Kehrwert des KGV – von über 5% durchaus attraktiv.

Die auch als Risikoprämie bekannte Differenz aus Gewinn- und Anleihenrendite ist allerdings in zweifacher Hinsicht problematisch. Weil sie auf dem KGV basiert, wird sie durch die hohen Unternehmensgewinnmargen verzerrt. Auf normalisierter Basis fallen die Gewinnrenditen einiges niedriger aus. Zudem handelt es sich um ein relatives Bewertungsmodell, das nicht zwingend günstige Aktienbewertungen, sondern auch eine massive Überbewertung am Anleihenmarkt anzeigen könnte.

Falls im Rest der Welt keine japanischen Verhältnisse eintreten – dort stieg die Risikoprämie bei niedrigen Zinsen immer höher, weil sich der Aktienmarkt stetig abwertete (vgl. Grafik 2, oben) –, sind Aktien im Vergleich zu Anleihen günstig und werden deshalb auf längere Frist tatsächlich besser abschneiden. Das gilt allerdings nur, wenn die Anleger über die ganze Zeit an ihren Positionen festhalten.

Und genau da liegt die Krux: Eine hohe Bewertung signalisiert nicht nur eine niedrige künftige Rendite, sondern auch ein erhöhtes Korrekturrisiko (vgl. Grafik 3, oben). Je höher die Bewertung war – also je geringer der erwartete Ertrag –, desto stärker knickten die Börsen in der Folge ein. Diese Einbrüche wurden zwar wettgemacht. Nur verkaufen Anleger meistens ausgerechnet im Höhepunkt der Krise und verpassen so die Erholung danach. Sie schneiden deshalb schlechter ab als von den Bewertungsindikatoren angezeigt.

Aktien sind und bleiben schwankungsanfälliger als Anleihen und Bargeld. Deshalb macht ein gewisser Cashbestand auch bei Nullzinsen Sinn. Nur wer liquide ist, kann in der Korrektur zugreifen und von den dann herrschenden attraktiven Risikoprämien profitieren.

Aktien und Rezession

Zwar weisen einzelne Experten auf die stattliche Aktienbewertung hin. Trotzdem empfehlen auch kritischere Stimmen oft, in Dividendentiteln investiert zu bleiben, solange sich keine Rezession abzeichnet. Auch in diesem Punkt haben die Spezialisten durchaus recht: Lang anhaltende Baissen traten nur in Phasen wirtschaftlicher Kontraktion auf (vgl. Grafik 4, unten).

Abgesehen davon, dass bis auf die Dauerpessimisten kaum je ein Experte eine Rezession vorausgesehen hat, werden diesbezüglich oft Ursache und Wirkung verwechselt. Zumindest die beiden letzten US-Wachstumseinbrüche wurden durch einen Unfall an den Finanzmärkten ausgelöst und nicht umgekehrt. Der Abkühlung von 2001 ging das Platzen der Technologieblase voraus, 2008/09 der Einbruch am Immobilienmarkt.

Das gleiche Bild präsentiert sich auf dem Alten Kontinent. Die Krise in den Peripherieländern war die Folge der steigenden Anleihenzinsen. Mögliche Ursachen eines Einbruchs an den globalen Finanzmärkten, gefolgt von der nächsten Rezession, könnten eine Abwärtsspirale bei hochverzinslichen Anleihen, Gewinnenttäuschungen der Unternehmen, eine unkontrollierte Abwertung des Yens oder erneute Spannungen an den europäischen Anleihenmärkten sein.

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Börse und Zinserhöhungen

Kürzere, aber durchaus heftige Korrekturen wurden oft durch eine restriktivere Geldpolitik ausgelöst. Das zeigt Grafik 4 ebenfalls. In den grauen Urzeiten der konventionellen Geldpolitik wurden die monetären Zügel durch das Drehen an der Zinsschraube angezogen. Deshalb folgern viele Experten, der nächste Einbruch drohe erst, wenn die wichtigsten Notenbanken die Leitzinsen anheben.

Nur fragt sich, ob im Zeitalter der unkonventionellen Geldpolitik die Vergangenheit noch als Vergleichsmassstab taugt oder ob bereits das Auslaufen der dritten Runde der quantitativen Lockerung durch die US-Notenbank Fed ein restriktiveres Umfeld einläutet. Die bisherigen Erfahrungen mit der neuartigen Geldpolitik sprechen für Letzteres, sind die Börsen doch nach Beendigung der ersten beiden Runden quantitativer Lockerung jeweils eingebrochen (vgl. Grafik 5, oben). Im Unterschied zu 2010 und 2011 springen gegenwärtig jedoch die Bank of Japan und wohl bald auch die Europäische Zentralbank in die Bresche. Liquidität ist demnach weiterhin reichlich vorhanden.

QE beflügelt riskante Anlagen

Trotzdem fragt sich, ob Liquidität allein die Finanzmärkte immer höher treiben kann. Während der ersten Runde der quantitativen Lockerung (Quantitative Easing, QE1) profitierten noch alle risikobehafteten Anlagen (vgl. Grafik 5, oben). Doch schon während QE2 zeigten sich erste Risse, als Schwellenländeraktien und Rohstoffe ihr Momentum einbüssten. Mit Beginn der Operation Twist war auch die Hausse beim Gold (Gold 1188.56 0.52%) vorbei, das von vielen Anlegern als Absicherung gegen inflationäre Konsequenzen der Liquiditätsflut gekauft wurde.

QE3 erfasste nur noch die Börsen der Industrieländer, wobei auch dort viele Aktien bereits in einen Bärenmarkt eingetreten sind. Sollten die Märkte zu stark korrigieren, wäre ein erneutes Eingreifen der Notenbanken so gut wie sicher. Dass künftige Liquiditätsspritzen den Weg an den Aktienmarkt finden, ist jedoch nicht in Stein gemeisselt: «Eines Tages wird das Geld vielleicht wieder in Rohstoffe oder Edelmetalle fliessen oder sich in den Konsumentenpreisen bemerkbar machen», meinte der Schweizer Börsenexperte Marc Faber im Interview.

Das Fed wird’s schon richten

Weil die Aktienmärkte bisher den Taten der Notenbanken gefolgt sind und diese jeweils sofort einschritten, sobald an den Börsen ein Problem auftrat, macht sich unter Anlegern der Glaube breit, die Zentralbanken hätten alles unter Kontrolle.

Dabei reicht bereits ein Blick in die jüngere Vergangenheit, um diese Vorstellung zu widerlegen. Offizielles Ziel von QE2 und 3 war es, die Anleihenrenditen am langen Ende der Zinskurve zu drücken. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden für Milliarden frisch gedruckter Dollar Festverzinsliche gekauft. Doch statt zu sinken, sind die Zinsen gestiegen (vgl. Grafik 6, oben), weil Anleger aus Anleihen in Aktien umgeschichtet haben.

Die höheren Kurse waren natürlich  im Sinne des Fed. Trotzdem zeigt sich, wie die Notenbanken zwar die Liquiditätszufuhr steuern können, nicht aber, wo das Geld hinfliesst. Die Zuflüsse in Aktien waren gewollt. Sollte Marc Faber aber recht behalten und die Liquidität eines Tages tatsächlich wieder in die Rohstoffmärkte gelangen oder sich in den Konsumentenpreisen bemerkbar machen, wird die Lage ungemütlich.

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