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06:58 Uhr - 02.02.2017

«Die Firmen sind heute eindeutig besser als früher»

Dominique Biedermann und Vincent Kaufmann, das Leitungsgespann von Ethos, über die Corporate-Governance-Politik des grössten hiesigen Stimmrechtsberaters.

Herr Biedermann, Herr Kaufmann, die GV-Saison steht bevor. Wer aber den Firmen den Marsch bläst, ist nicht Ethos, sondern BlackRock, der weltgrösste Asset-Manager. Ihr CEO Larry Fink droht, dass BlackRock Verwaltungsräte abwählen oder Vergütungspakete ablehnen könnte.
Biedermann: BlackRock stimmt seit längerem an Generalversammlungen ab. Die Frage ist, mit welcher Transparenz. Die Richtlinien für die Beurteilung der einzelnen Traktanden müssten offengelegt werden. Und nach der Generalversammlung sollte kommuniziert werden, wer was gestimmt hat. Für Ethos ist das eine Selbstverständlichkeit, aber nicht für alle Stimmrechtsberater. Wichtige Asset-Manager sollten ebenfalls transparent sein.

Zu den PersonenDominique Biedermann (59) wurde 2015 Präsident des Verwaltungsrats von Ethos Services sowie des Stiftungsrats. Davor war er ihr Direktor. Der Romand spricht perfekt Deutsch, promovierte an der Universität Genf in Wirtschaftswissenschaften und arbeitete 1991 bis 1998 für die Beamten- und Lehrerpensionskasse des Kantons Genf, zuletzt als Direktor. Im Rahmen dieser Pensionskassentätigkeit wurde die Ethos Stiftung gegründet. Biedermann ist Mitglied der Verwaltung des Migros-Genossenschafts-Bundes. Er unterrichtet Corporate Governance und nachhaltiges Investieren. Die Universität Freiburg verlieh ihm 2013 den Titel eines Doktor honoris causa. Biedermann ist verheiratet; seine Ehefrau Yola, ebenfalls Ökonomin, ist auch für Ethos tätig.

Vincent Kaufmann (37) ist seit bald zwei Jahren Direktor der Ethos Stiftung und der Gesellschaft Ethos Services. Zur Gruppe stiess er 2004 als Corporate-Governance-Analyst. Kaufmann schloss sein Studium an der Universität Genf mit einem Master in Betriebswirtschaft ab. Ausserdem ist er eidg. dipl. Experte in Rechnungslegung und Controlling. Kaufmann ist in La Chaux-de-Fonds aufgewachsen und lebt heute mit seiner Familie in Genf. Er liebt Radfahren, Joggen und die Berge.
Die passiv investierenden Anlagefonds sind die neuen aktiven Investoren. Was heisst das für die Corporate Governance?
Biedermann: Grundsätzlich ist das ein grosses Plus. Früher wurde Ethos bei Meinungsverschiedenheiten mit dem Verwaltungsrat gelegentlich der Dialog verweigert und stattdessen geblafft: «Verkauft doch eure Aktien, wenn es euch nicht passt.» Passiv investierende Anleger können ihre Titel nicht verkaufen. Sie können und müssen hingegen über Corporate Governance Einfluss nehmen. Die Unternehmen haben ihre Einstellung geändert. Heute kommen keine solche unangemessenen Sprüche mehr.

Sind die Schweizer Pensionskassen sich dieser speziellen Konstellation bewusst?
Biedermann: Viele Schweizer Pensionskassen verwalten indexierte Aktienvermögen. Die Bedeutung des Dialogs mit den Unternehmen wird klar erkannt. Ein indexnah investiertes Schweizer Aktienportfolio besteht zum Beispiel zu fast 20% aus Nestlé (NESN 72.15 -0.21%). Deshalb ist der Dialog mit Nestlé sehr wichtig für uns.

Die Prinzipien der Best Practice werden, das haben Sie letztes Jahr gesagt, von mehr und mehr Aktivisten eingefordert, denen es nur um die kurzfristige Gewinnmaximierung gehe.
Kaufmann: Die Ziele dieser Investoren sind ganz verschieden von unseren. Dass wir der Corporate Governance so viel Gewicht geben, ist eine Folge unserer langfristigen Optik.

Mehr zum Thema» In Stil und Inhalt gibt es grosse Unterschiede: Auch Stimmrechtsberater rationalisieren. Firmen werden vermehrt nach Standardrezepten analysiert.
Vergütungen und Dividenden im Fokus: Was die Aktionäre 2017 an den Generalversammlungen besonders interessieren dürfte.
Vielleicht wird die Corporate Governance gelegentlich missbraucht, und Ethos zieht den Karren für die Falschen?
Kaufmann: Es kann vorkommen, dass man uns einzuspannen versucht. Beispielsweise wollte der US-Hedge-Fund Elliott im Namen guter Governance den Verwaltungsrat von Actelion (ATLN 258.5 0.58%) auswechseln, um einen baldigen Verkauf der Gesellschaft zu ermöglichen. Aber es war zu früh für einen Verkauf, der Kurs lag damals bei 70 Fr. Wir entschieden, den bestehenden Verwaltungsrat zu stützen, damit er die wertschaffende Entwicklung der Firma weiterführen konnte.

Bei den grosskapitalisierten Schweizer Gesellschaften haben ausländische Aktionäre das Sagen. Sie lassen sich von den angelsächsischen Stimmrechtsberatern ISS und Glass Lewis beraten. Hört eine UBS (UBSG 15.91 -0.38%) Ihnen zu?
Biedermann: Ja, Ethos wird von grossen und kleinen Gesellschaften gleichermassen respektiert.

Wie gross ist der Einfluss von Ethos an einer typischen Generalversammlung?
Biedermann: Ethos berät Pensionsksassen mit Anlagevolumen in Schweizer Aktien von 40 Mrd. Fr. Das sind 3% der Marktkapitalisierung. Bei Unternehmen mit zerstreutem Aktionariat sind im Durchschnitt zwei Drittel des Kapitals an einer GV vertreten, was heisst, dass wir 4,5 bis 5% bewegen.

Marktführerin unter den Stimmrechtsberatern ist ISS. Sie bewegt 20%. In welchen Fällen stimmt Ethos gleich, in welchen Fällen anders als ISS?
Biedermann: Um das zu beurteilen, müsste ISS zuerst sagen, wie und weshalb sie jeweils abgestimmt hat.

Mit Credit Suisse (CSGN 15.18 1.27%) legt sich Ethos immer wieder an. Vor einem Jahr haben Sie gefordert, CS-Präsident Urs Rohner solle 2017 zurücktreten. Werden Sie Ihre Forderung wiederholen?
Kaufmann: Das steht noch nicht fest.

Worauf kommt es an?
Kaufmann: Wir werden sehen, was sich bei Credit Suisse tut. Ein Verwaltungsratspräsident trägt in der Schweiz strategische Verantwortung, und für strategische Fehler ist der VRP mitverantwortlich. Eine Strategieänderung muss nicht nur auf Geschäftsleitungsstufe, sondern auch auf Stufe Verwaltungsrat umgesetzt werden. Wir brauchen Informationen in Bezug auf die Nachfolgeplanung für Urs Rohner. Auch in Bezug auf den geplanten Börsengang der Schweizer Bank gibt es Fragen. Der Aktionär der Credit Suisse Schweiz erwartet einen unabhängigeren Verwaltungsrat.

Auf welche Errungenschaften der letzten zwanzig Jahre ist Ethos besonders stolz?
Biedermann: Wichtige Verbesserungen sind die generell höhere Transparenz im Verwaltungsrat, die Transparenz in Lohnfragen, die qualitativ besseren Vergütungssysteme. Nicht vergessen sollte man, dass es die Kumulierung VR-Präsident und CEO fast nicht mehr gibt. 2002 stimmten auf Antrag von Ethos an der Generalversammlung der Credit Suisse 19% gegen das Doppelmandat von Lukas Mühlemann, einen Monat später gab er es auf. Rolf Hüppi bei Zurich war ein ähnlicher Fall. Bei Nestlé wurde 2005 ein von Ethos beantragtes Verbot der Ämterkumulierung von 36% der Stimmen unterstützt. Die hohe Zustimmungsrate bei Nestlé hat unser Profil geschärft.

Sind UBS, Credit Suisse, Novartis (NOVN 72.55 0.14%) etc. heute die besseren Firmen als vor zwanzig Jahren?
Biedermann: Die Gesellschaften sind heute eindeutig besser als früher. Die Transparenz hat sich verbessert. 1997 wollten uns manche Gesellschaften nicht einmal den Jahrgang der Verwaltungsräte verraten. Und vergessen Sie nicht: Marcel Ospel verdiente einmal 25 Mio. Fr., Brady Dougan kam auf über 70 Mio. Fr., und Daniel Vasella erhielt 44 Mio. Fr. Weil Ethos im Herbst 2008 entsprechende Anträge stellte, führten UBS, CS, ABB (ABBN 23.48 0.21%) und Nestlé freiwillig die Konsultativabstimmung über den Vergütungsbericht ein. Exzesse gibt es heute weniger.

Die Ausreisser sind dank der Transparenz seltener geworden, aber die Löhne an der Unternehmensspitze steigen noch immer Jahr für Jahr.
Kaufmann: Die Vergütungssysteme enthalten viel mehr Performancekriterien als früher, und sie sind langfristig orientiert. Die Manager erhalten nicht mehr automatisch den Zielbonus. Und wenn ein Manager seinen Zielbonus während zwei Jahren nicht erreicht, kommt es meist zu einem Führungswechsel.

Ethos ist die Pionierin in Vergütungsfragen. Zwanzig Jahre Ethos plus die Umsetzung der Minder-Initiative, und trotzdem verdienen die meisten Manager auch dann viel, wenn die Performance nicht stimmt. Wann werden wir «Pay for Performance» haben?
Kaufmann: Einen klar nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen Lohn und Leistung sehen wir noch zu selten. In manchen Unternehmen ist die variable Lohnkomponente zu stabil. Wir müssen wachsam bleiben. Die Entwicklung ist nicht gradlinig. Es gibt auch Rückschritte. Beispielsweise publiziert Nestlé nur noch den Steuerwert des Aktienbeteiligungsprogramms.

An der Machtstellung der Manager hat sich trotz Ethos nicht sehr viel geändert.
Biedermann: Doch, weil der Verwaltungsrat in seinen Entscheiden viel transparenter sein muss, steigt auch der Druck auf die Geschäftsleitung. Es müssen saubere Konzepte gemacht werden, was einsame und irrationale Entscheide unwahrscheinlicher macht.

Wie ist es zu verstehen, dass Ethos die Kernforderung der Aktionärsdemokratie, «One Share, One Vote», aufgegeben hat? Sind Sie nach zwanzig Jahren zahm geworden – oder klüger?
Kaufmann: Das Prinzip bleibt die Gleichbehandlung der Aktionäre, aber nicht stur. Andere – ausländische – Stimmrechtsberater beurteilen die Einhaltung der Regeln nach dem Buchstaben. Wir vertreten schweizerische Pensionskassen und befürworten schweizerische Lösungsansätze. Uns geht es auch um die Erhaltung der Arbeitsplätze in der Schweiz. Wir wollen, dass das Unternehmen noch da ist in zwanzig Jahren. Das ist der Unterschied zu anderen Stimmrechtsberatern. Beispielsweise haben wir bei Komax (KOMN 258 -0.58%) die Vinkulierung unterstützt, weil es nach dem Verkauf der Solarsparte zu früh war für eine Öffnung des Aktionariats. Nach einer Übergangsphase hat Komax dann von sich aus die Vinkulierung deutlich gelockert.

Heimatschutz ist ein heikles Konzept. Was ist Ihre grundsätzliche Haltung zu Stimmrechtsaktien, Vinkulierung und Opting-out?
Biedermann: Ethos hat für die Revision des Aktienrechts und zuhanden der Selbstregulierungsorganisation Vorschläge gemacht. Stimmrechtsaktien gehören abgeschafft, es sollte nur Namenaktien geben. Die Vinkulierung kann unserer Meinung nach beibehalten werden, aber es bräuchte eine regelmässige Bestätigung durch die Generalversammlung. Das Opting-out muss unserer Meinung nach von der Generalversammlung präzise nur für einen bestimmten Aktionär bewilligt werden.

Was würde das für Sika (SIK 5200 0.29%) heissen?
Kaufmann: Im Fall von Sika beispielsweise würde die Möglichkeit des Opting-out für Transaktionen nur innerhalb der Familie bestehen. Die Generalversammlung sollte entscheiden, ob das Opting-out auch für den Käufer Saint-Gobain (SGO 46.195 1.53%) angewendet wird. Die Entscheidung sollte von der Mehrheit des Nominalwerts des Kapitals getroffen werden.

Von den 200 kotierten Firmen in der Schweiz haben 100 eine Spezialregelung. 50 haben ein Opting-out. Woher wissen Sie, dass Sie mit Ihrer Forderung in die richtige Richtung gehen?
Biedermann: Die ausländischen Investoren haben überhaupt kein Verständnis für den Fall Sika. Das schadet dem Schweizer Aktienmarkt.

Die Ausländer wollen aber nicht die Unabhängigkeit von Sika, sondern einen guten Preis beim Verkauf. Der US-Markt kennt keine Angebotspflicht, dafür aber verschiedene Aktienklassen und sogar Non-Voting Shares. Manches, was zu Sika gesagt wird, ist heuchlerisch.
Biedermann: Die Vorgänge um den versuchten Verkauf von Sika sind unakzeptabel. Das haben ja auch die Gerichte festgestellt. Die Grundsätze der guten Corporate Governance haben nicht wir erfunden. Sie basieren auf den internationalen Best-Practice-Erfahrungen.

Der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance ist die Schweizer Antwort auf die internationale Entwicklung. Er stammt von der Wirtschaft und gibt den Unternehmen Empfehlungen für die Ausgestaltung der Corporate Governance. Ethos ist in der Trägerschaft. Was soll aus dem Swiss Code werden?
Biedermann: Die Selbstregulierung funktioniert leider schlecht. Es kommt von den Firmen wenig freiwillig. Ethos musste immer mit Anträgen den Druck erhöhen. Am Ende aber brauchte es sogar die Minder-Initiative, um dem Aktionär in Lohnfragen mehr Mitsprache zu verschaffen. Der Code sollte schneller und konsequenter die neuen Entwicklungen aufnehmen.

Die Unabhängigkeit des Verwaltungsrats ist ein grosses Thema geworden. Damit ist in erster Linie die Unabhängigkeit von der Konzernleitung gemeint und nicht die Unabhängigkeit vom Aktionär. Eigentümer aus dem Board zu verbannen, ist die Perversion des Corporate-Governance-Gedankens?
Kaufmann: Die grossen Eigentümer können ohne weiteres im Board vertreten sein, aber die Mehrheit im Verwaltungsrat muss unabhängig bleiben. Das reduziert die Risiken für den Minderheitsaktionär. Im Fall Sika spielt der mehrheitlich unabhängige VR eine entscheidende Rolle.

Wo sehen Sie weitere Baustellen?
Kaufmann: Es gibt noch in vielen Unternehmen Corporate-Governance-Risiken. Deshalb ist der Ethos Swiss Corporate Governance Index wichtig, den Ethos in Zusammenarbeit mit der Schweizer Börse lanciert. Gesellschaften mit schlechterer CG sind im Index untergewichtet.

Und auf Gesetzesstufe?
Biedermann: Gewisse Aktionärsgrundrechte gehören ins Gesetz. So sollte zum Beispiel die Hürde, um einen Aktionärsantrag zu stellen, reduziert werden. Und es sollte obligatorisch sein, einen Nachhaltigkeitsbericht zu publizieren.

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