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07:09 Uhr - 10.02.2016

«Wir stecken bereits tief im Bärenmarkt»

Fred Hickey, Verfasser des Investmentbulletins «The High-Tech Strategist», warnt vor weiteren Kursrückschlägen und sieht glänzende Chancen für Gold.

Zur PersonDer monatlich publizierte Newsletter von Fred Hickey gehört für viele US-Investoren zur Pflichtlektüre. Es ist ein reichhaltiger Fundus an Detailwissen, das weit über den IT-Sektor hinausgeht. In der Bostoner Technologieregion um die Route 128 aufgewachsen, erlernte Hickey sein Rüstzeug während eines Finance-Studiums an der University of Notre Dame und als Buchprüfer beim Telecomriesen GTE. 1987 begann er für Freunde über seine Investmentideen zu schreiben. Das lief so gut, dass er sich bald selbständig machte. Heute lebt der 59-Jährige in New Hampshire und Costa Rica.An den Finanzmärkten schüttelt es heftig. Fred Hickey überrascht das kaum. Der US-Investmentprofi hat korrekt vorausgesagt, dass die Börsen ohne permanente Finanzspritzen der US-Notenbank einbrechen werden. Besonders hart trifft es derzeit Aktien aus dem Tech-Index Nasdaq Composite, der zu Wochenbeginn auf den tiefsten Stand seit Juni 2014 gefallen ist. Als Contrarian mit langjähriger Erfahrung in der IT-Branche erkennt Hickey darin das klassische Muster eines Bärenmarktes, womit eine Korrektur von 20% oder mehr bezeichnet wird. Er warnt deshalb vor weiterem Druck auf die Aktienkurse und rät Investoren, sich mit Gold (Gold 1190.88 0.14%) und Goldminenwerten dagegen zu wappnen.

Herr Hickey, die Börsen werden erneut von Turbulenzen erschüttert. Wie gefährlich ist die Situation?
Wir befinden uns in einem Bärenmarkt. Oft wird dabei zunächst nur von einer «gesunden Korrektur» gesprochen. Ein Bärenmarkt ist jedoch ein Prozess, der stufenweise eskaliert und sich erst mit der Zeit richtig erkennen lässt. Es ist wie mit einem Boxkampf: In der Startrunde tänzeln die Investoren noch siegesgewiss im Ring, weil die Börse Jahr für Jahr gestiegen ist. Doch dann beginnen die Kurse zu sinken, und die Konjunkturlage trübt sich ein. Der Boxer steckt einen schweren Schlag nach dem anderen ein und verliert immer mehr an Kraft. Genau das spielt sich momentan am US-Aktienmarkt ab. Nachdem die Kurse 2015 erstmals seit sechs Jahren gesunken sind, geht es seit Januar bereits ziemlich ruppig zu und her.

Wie geht dieser Kampf weiter?
Nachdem die US-Notenbank das Stimulusprogramm QE3 im Herbst 2014 gestoppt hatte, floss immer mehr Geld aus Aktienfonds ab, und die Investoren drängten sich in eine immer kleinere Zahl von Aktien, die sie als unzerstörbar erachteten. Das ist das klassische Muster am Anfang eines Bärenmarktes. Meist sind es Tech-Aktien, die am Schluss dann aber noch stärker abstürzen als der Gesamtmarkt, weil sie sich zuvor so gut gehalten haben. In der Baisse von 1973 waren es zum Beispiel Titel wie Polaroid, Kodak oder IBM (IBM 124.07 -2.29%). Das gleiche Phänomen zeigte sich im Bärenmarkt von 1990 mit Valoren wie Microsoft (MSFT 49.28 -0.26%), Intel (INTC 28.81 -0.03%) oder Compaq. Beim Crash von 2000 waren es Sun Microsystems, Cisco Systems (CSCO 22.65 -1.22%) sowie EMC (EME 43.13 0.77%). 2007 standen Apple (AAPL 94.99 -0.02%), Google, Research in Motion und Amazon (AMZN 482.07 -1.24%) im Mittelpunkt.

Letztes Jahr strömte besonders viel Geld in Facebook (FB 99.54 -0.21%), Amazon, Netflix (NFLX 86.13 3.37%) und Google. Diese sogenannten FANG-Titel stehen jetzt zum Teil schwer unter Druck. Kommt also schon die Endrunde?
Amazon und Netflix hatten sich im vergangenen Jahr sogar verdoppelt und führen nun den Abwärtstrend im Markt an – genau wie zu erwarten war. Auch Biotech-Werte geraten unter die Räder, nachdem sie lächerlich hoch bewertet waren. Wann der K.-o.-Schlag kommt, weiss ich nicht. Klar ist damit aber, dass wir bereits tief im Bärenmarkt stecken.

Woher wissen Sie das? Es könnte sich ja auch nur um einen temporären Rückschlag handeln, wie wir ihn zum Beispiel Ende August erlebt hatten.
In jedem Bärenmarkt gibt es immer wieder vorübergehende Kursavancen. Bei der Baisse von 2008/09 etwa kam es zu sechs Rallys, in denen der Dow Jones (Dow Jones 16014.38 -0.08%) jeweils mehr als 1000 Punkte stieg. Manchmal dauerten diese Phasen sogar einen Monat. Was kurzfristig passiert, ist daher schwierig zu sagen. Je weiter der Bärenmarkt jedoch fortschreitet, desto brutaler wird es. Solche temporären Avancen dauern dann nur noch einen oder zwei Tage. Die Kurse werden daher immer tiefer fallen, bis die US-Notenbank mit einem neuen Stimulusprogramm interveniert.

Wann rechnen Sie mit diesem Eingriff?
Das Federal Reserve kann dieses Mal nicht so rasch handeln. Um die Zinsen zu erhöhen, hat es im Dezember hartnäckig behauptet, dass es mit der US-Wirtschaft aufwärtsgehe. Eine plötzliche Kehrtwende wäre das Eingeständnis eines Fehlers. Die Industrie befindet sich jedoch in einer Kontraktion, und der Kollaps der Rohstoffpreise hat sich dieses Jahr noch verstärkt. Auch am Markt für Ramschanleihen herrscht grosse Nervosität. Das alles sind typische Anzeichen für eine Rezession. Unter solchen Umständen würde das Fed die Zinsen normalerweise senken und nicht erhöhen.

Bringt es überhaupt noch etwas, wenn das Fed erneut zur Geldspritze greift?
Es wird zwar erneut zu Kursavancen kommen. Die ultralockere Geldpolitik ist jedoch hochgefährlich. Die meisten Probleme, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen, haben die Zentralbanken mitverursacht, indem sie die Preise von Aktien und anderen Vermögenswerten aufblähten. Solange es aufwärtsgeht, mag das grossartig erscheinen. Der Schmerz ist aber doppelt so gross, wenn der Trend kehrt. Die Stimulusmassnahmen sind nicht nachhaltig und verursachen massive Fehlinvestitionen.

Mit diesem Problem kämpft speziell die US-Energiebranche. Warum macht der Ölpreis den Märkten so grosse Angst?
Wallstreet will uns glauben machen, dass sich die Börsen beruhigen, wenn sich der Ölpreis stabilisiert. Der Ölcrash ist aber nicht das wahre Problem, sondern nur das Symptom einer Krankheit. Zinsen sind Preise – wenn die Zentralbanken sie manipulieren, dann gibt es keinen Anhaltspunkt, welche Investments sich wirklich rechnen. Deshalb kämpfen die Energiebranche und der gesamte Rohstoffsektor mit enormen Überkapazitäten.

Besteht dieses Risiko auch in Ihrem Kerngebiet, dem Tech-Sektor?
Das billige Geld hat riesige Fehlinvestitionen im Bereich Cloud Computing verursacht, bei dem Rechenleistung übers Internet abgerufen wird. Weil das Wachstum im Markt für PC, Smartphones, Tablets und in anderen Segmenten schwach ist, hat sich praktisch die gesamte Branche ins Cloud-Geschäft gedrängt: von Telecomanbietern wie AT&T (T 36.65 -1.24%), Verizon (VZ 50.15 -1.16%) und CenturyLink (CTL 24.81 -3.2%) über traditionelle IT-Konzerne wie IBM, Hewlett-Packard (HPQ 9.19 -1.92%), Dell (Dell 0 0%) und Apple bis hin zu Google, Amazon und Unternehmen aus dem Bereich soziale Medien.

Was hat das für Konsequenzen?
Nun stellt sich heraus, dass die Nachfrage zu wenig schnell wächst und an die Grenzen stösst. Es ist wie mit den kolossalen Überinvestitionen in Fiberoptikkabel und Speicherkapazitäten während des Internetbooms. Auch damals floss das Geld im IT-Sektor leicht, und die Fantasie ging mit den Investoren durch. Immer mehr Konzerne bemühen sich, aus dem Cloud-Markt auszusteigen. HP und Dell haben bereits aufgegeben, CenturyLink und Verizon versuchen, ihr Geschäft zu verkaufen, Apple sowie Google kürzen die Investitionen drastisch. Auch Amazon hat zu viel Cloud-Kapazität aufgebaut und musste über fünfzig Preiskürzungen vornehmen.

Sorgen macht Investoren auch, dass es in China zur harten Landung kommt. Was würde das für den Tech-Sektor heissen?
Die Abkühlung Chinas hat gravierende Folgen, denn es ist der grösste Endmarkt für viele IT-Produkte. Nach der Rezession von 2008/09 hat Chinas Wachstum die Konjunktur rund um den Globus belebt. Die Regierung in Peking hat es jedoch mit Schulden finanziert, die von 8 auf 30 Bio. $ gestiegen sind. Der einzige Ausweg scheint eine Abwertung des Yuans zu sein, was wiederum die Länder in Schwierigkeiten bringt, die mit China konkurrieren. Dazu zählen andere aufstrebende Volkswirtschaften, die ebenfalls grosse Schulden angehäuft haben. Obschon Schulden bereits das Grundproblem der letzten Krise waren, hat sich die Situation in den vergangenen Jahren weiter verschlimmert. Auch das ist ein Resultat der ultralockeren Geldpolitik, denn sie ermuntert Regierungen zu Fehlverhalten.

Wie macht sich die Konjunkturschwäche bei den einzelnen Unternehmen bemerkbar? Inzwischen haben fast alle IT-Konzerne die Quartalszahlen präsentiert.
Warnsignale kommen vor allem aus der Welt von Apple. Das erstaunt mich nicht. Apple ist ein gigantischer Hardwarekonzern, dessen Tentakel in fast alle Segmente reichen. Mit 235 Mrd. $ erwirtschaftete sie 2015 doppelt so viel Umsatz wie Hewlett-Packard, der weltgrösste Computerhersteller. Wenn Apple also in Probleme gerät, dann wird das vor allem die Aktien von Zulieferern wie Skyworks Solutions, Cirrus Logic, Qorvo, Avago and NXP (NXPI 65.54 2.41%) Semiconductors erheblich belasten. Apple war denn auch eine der grössten Enttäuschungen der Berichtssaison.
Die schlechten Nachrichten haben erst begonnen. Apple hat seit Jahren kein wirklich gutes Produkt lanciert. Apple TV, Apple Pay und die erste Version der Apple Watch sind alles Flops. Auch sind die Chancen gleich null, dass der Konzern 2019 ein eigenes Auto auf den Markt bringt. Er hat sich primär zu einem Produzenten von Smartphones entwickelt. Dieser Markt ist jedoch weit gereift. Im IT-Sektor bedeutet das sinkende Preise und schrumpfende Margen. Die Hersteller stehen permanent unter Druck, was die meisten Analysten aber noch nicht begriffen haben. Das Geschäft mit Smartphones wird quasi zu einem zweiten PC-Markt. Wie dort die letzten zehn Jahre gezeigt haben, sind das keine guten Aussichten.

Wie sollen sich Investoren in diesem Umfeld am besten verhalten?
Die Zentralbanken werden ihre fehlgeleitete Politik nicht aufgeben. Im Gegenteil: Sie werden noch mehr Geld drucken und die negativen Zinsen verschärfen. Das schafft extrem vorteilhafte Rahmenbedingungen für Gold. Anders als bei den Überkapazitäten in der Ölbranche oder im Cloud-Geschäft gab es im Goldminensektor kaum grössere Investitionen, weil der Preis in den letzten Jahren so stark gesunken ist. Für dieses Jahr wird sogar erwartet, dass die Fördermenge zurückgeht. Gleichzeitig bleibt die Nachfrage gerade aus Ländern wie China, Russland und Indien robust. Das spricht für ein starkes Comeback von Gold. Ich rechne damit, dass der Preis letztlich auf mehrere Tausend Dollar steigen wird.

Wie haben Sie sich dafür positioniert?
Noch braucht es Geduld. Doch wenn ich richtigliege, werden Minenaktien sogar noch mehr avancieren als der Goldpreis. Im Verhältnis zu ihm bewegen sie sich auf dem tiefsten Stand seit Jahrzehnten. Selbst Branchenveteranen haben das noch nie gesehen. Um nur schon auf ein normales Bewertungsniveau zum Goldpreis zu kommen, müssten sich Minenwerte verdreifachen. Ich bin daher überzeugt, dass ich mit Goldaktien den grössten Gewinn meines Leben mache.

Welche Titel sind besonders attraktiv?
Mein Topfavorit ist bereits seit einiger Zeit Agnico Eagle. Das Unternehmen wird hervorragend geführt, und es besteht keine Gefahr von finanziellen Schwierigkeiten. Obschon Goldaktien letztes Jahr ausgesprochen schlecht abgeschnitten haben, konnten sich Agnico Eagle sogar leicht im Plus halten. In guter Verfassung ist ebenso Detour Gold. Unter den abgeschlagenen Werten gefallen mir ausserdem New Gold, Goldcorp (GG 14.16 -3.8%) und Alamos Gold.

 

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