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17:51 Uhr - 16.06.2017

«Wir hätten mehr machen können»

Urs Rüegsegger, scheidender CEO der SIX-Gruppe, über härteren Wettbewerb, verpasste Chancen und die Zukunft der Schweizer Börsenbetreiberin.

Im Büro von Urs Rüegsegger stehen noch Umzugskisten. Der CEO der ­Finanzmarktinfrastrukturgruppe SIX richtet sich an der neuen Stätte der Gruppe in Zürich West ein. Die Kunstwerke zieren schon die Wände, aber eigentlich bleibt Rüegsegger nur für kurze Zeit. Denn er wird nach Abschluss des ­laufenden Geschäftsjahres das Steuer der Börsenbetreiberin abgeben. Vorher will er seinen Nachfolger einarbeiten. Auch ­unangenehme Entscheidungen muss der St. Galler in seinen letzten Monaten noch treffen, der mit seiner Bilanz an der Spitze nicht ganz zufrieden ist.

Herr Rüegsegger, Anfang 2017 haben Sie die Verlagerung von Arbeitsplätzen nach Warschau geprüft. Jetzt verschieben Sie 100 Stellen dorthin. Wird der Kostendruck SIX zu weiteren Auslagerungen zwingen?
Das Umfeld wird sich nicht so schnell ändern, wir wollen heute die Weichen stellen, um unsere Kostenstruktur auch künftig in Griff zu haben. Dazu gehört auch die Abwägung, wo wir welche Leistungen erbringen. Es handelt sich um ein länger­fristiges Vorhaben, bei dem die Abläufe immer wieder aufs Neue hinterfragt und wenn sinnvoll angepasst werden.

Wird sich SIX in Zukunft auf geringeren Umsatz und Gewinn einstellen müssen?
Wir wollen erfolgreich sein. Daher stellen wir sicher, dass wir auch in Zukunft unsere strategischen Ziele erreichen. Wir erwarten eine weitere Steigerung sowohl des Umsatzes als auch des Gewinns.

Auch wenn die Anzahl der kotierten Unternehmen sinkt? Sie hatten Pläne, indische oder chinesische Unternehmen hierher zu bringen, was bisher wenig Erfolg hatte. Ist die Schweizer Börse nicht attraktiv?
International gesehen ist die Zahl der kotierten Gesellschaften stabil oder leicht sinkend. Es gibt Fusionen und weniger Börsengänge als vielleicht um die Jahrhundertwende. Darum haben wir versucht, aus gewissen Ländern Kotierungen zu holen. Das ist bisher nicht gelungen. Dennoch ist die Anzahl der Börsengänge bei uns über die Jahre stabil geblieben.

Dabei ist die Schwelle zu Kotierung ziemlich niedrig, wenn Mini-Unternehmen wie Wisekey (WIHN 2.96 0.34%) oder Rapid Nutrition (RAP 0.33 -10.81%) an der Schweizer Börse gelangen können.
Das sind nicht zwei Beispiele, die unseren Standard spiegeln. Mit Bezug auf unsere Ansprüche haben wir keine Kompromisse gemacht.

Aber haben diese zwei Unternehmen nicht zu wenig Qualität für die Schweizer Börse?
Im Rahmen des Kotierungsverfahrens werden formelle Kriterien geprüft und nicht das Geschäftsmodell, das ist den Anlegern überlassen. Wir könnten keinen Emittenten abweisen, nur weil wir nicht an dessen Geschäft glauben. Wir haben formelle Kriterien und Vorgaben, wir können nicht einfach sagen, die dürfen nicht an die Börse.

Man könnte zum Beispiel verlangen, dass eine Bank die Kotierung begleitet?
Die geltenden Regeln sehen das nicht vor. Ausserdem gibt es ja auch Beispiele, bei denen es super funktioniert hat.

Sie denken an VAT?
Ja. Ich habe Riesenfreude, weil ich die Industrieunternehmen VAT und auch SFS (SFSN 114 1.33%) schon länger kenne. Oder auch U-Blox (UBXN 190.5 0.26%), das ist eine gute Story. Genauso wie Molecular Partners (MOLN 30 2.04%) im Biotechbereich. Diese Vielfalt ist attraktiv für den Investor.

Keine Freude dürften Sie daran haben, dass die Schweizer Banken kaum Prozesse an SIX ausgelagert haben, wie Sie das wollten.
Ich hätte sicher mehr übernehmen wollen. Wir hätten in diesem Bereich für die Profitabilität und Effizienz des Finanzplatzes mehr machen können. Da hatte ich höhere Ansprüche. Statt den grossen Wurf machen wir jetzt in kleinen Schritten das Mögliche.

Die Banken wollen ihnen das Geschäft nicht übertragen?
Die Bereitschaft unter den Banken ist sehr unterschiedlich. Es gibt welche, die wollen, es gibt solche, die nicht wollen. Die Heterogenität unter den Banken in Bezug auf Ausgangslage und Strategie hat über die letzten Jahre deutlich zugenommen, und die Bereitschaft für eine konzertierte Aktion war nicht überall vorhanden.

Ein grosses Projekt wäre eine Superbank für das Backoffice der zwei Schweizer Grossbanken gewesen. Die SIX erteilte dem Vorhaben nun selbst eine Absage. Wieso?
Die Übernahme dieser zwei Backoffices ginge nicht. Nicht nur wegen der absoluten Grösse, sondern auch wegen der Internationalität, das würde unseren Erfahrungsschatz übersteigen.

Wenn nicht das umfassende Backoffice, was will die SIX denn sonst anbieten?
Der grosse Wurf wäre mit hohen Risiken verbunden gewesen. Wir gehen pragmatisch vor und konzentrieren uns auf Dienstleistungen, mit denen eine Standardisierung einfacher zu erzielen ist. So betreiben wir für Banken Bancomaten und stellen Produktinformationsblätter zur Verfügung. Aber gerade im regulatorischen Umfeld können wir mehr anbieten.

Was genau?
Zum Beispiel die Datenlieferungen beim automatischen Informationsaustausch. Oder wir können Meldepflichten unter dem Regelwerk Mifid 2 übernehmen. Ebenso das Steuer-Reporting an die US-Behörden bei amerikanischer Kundschaft.

Zudem bauen wir mit IBM (IBM 154.795 0.37%) ein Operationszentrum im Bereich Cyber Security auf, um Sicherheitslücken besser identifizieren und bekämpfen zu können. Diese Dienstleistung wollen wir auch den Banken anbieten. Ebenso den Bereich der ­Referenzdatenaufbereitung.

Wieso sollen diese Projekte Erfolg haben?
Der Unterschied ist, dass wir sie nicht erst aufbauen, wenn genügend Banken einen Vertrag unterschrieben haben. Wir gehen in Vorleistung und tragen ein höheres ­finanzielles Risiko. Dann verkaufen wir die Dienstleistung an die Banken, die wollen. Das ist eine Umkehr gegenüber der Vergangenheit. Wir sind so deutlich flexibler und schneller.

Neue Wege ging SIX auch mit der mobilen Bezahl-App Paymit, inzwischen Twint. Die sechs grössten Banken haben mittlerweile eine Twint-App, dennoch wurde diese erst eine halbe Million mal heruntergeladen. Ist das nicht zu wenig?
Ich bin mit dem Tempo der Markteinführung auch nicht zufrieden. Um Twint als Zahlungsmittel zu etablieren, reichen die Downloads noch nicht. Wir müssten in die Grössenordnung der damaligen EC-Karte kommen, sagen wir zwei Drittel der Bevölkerung. Das war am Anfang auch eine ­harzige Geschichte. Heute sind fast so viele Karten ausgegeben wie Einwohner.

Aber bei der EC-Karte hatten sie nicht die gleiche Konkurrenz. Jetzt stehen sie im Wettbewerb mit Apple (AAPL 143.36 -0.64%), Samsung (SMSD 726.45 0.6%), Alibaba (BABA 134.62 -0.34%). Hat Twint da überhaupt eine Chance?
Dem Wettbewerb stellen wir uns. Dabei zählt die Einfachheit der Anwendung. Wenn wir es nicht gut machen, sind wir weg vom Fenster. In der Interaktion zwischen Kunde und Bank ist Zahlungsverkehr die häufigste Form des Kontakts, so führt an Twint kein Weg vorbei. Die Institute müssen diese Schnittstelle besetzt halten, bevor die Fintechs sie besetzen.

Die Übergabe an Ihren Nachfolger wollen Sie sanft gestalten. Sie selbst hatten 2008 einen turbulenten Start als erster CEO des Fusionsprodukts SIX. Alle Divisionsleiter gingen. Wie lange brauchten Sie damals, bis alles lief?
Es hat tatsächlich zwei bis drei Jahre gedauert, bis wir das komplexe Gebilde SIX auf volle Fahrt bringen konnten und ich ein Führungsteam etabliert hatte. Unsere Eigner, die Schweizer Banken, hatten vorgegeben, dass kein Leiter der drei Vorgängereinheiten CEO werden durfte. Damit wurde ich den früheren Chefs als Externer vor die Nase gesetzt. Dass Leute dann gehen, weil Sie Ambitionen hatten und frustriert sind, ist normal bei einem Fusionsprojekt. Die Art der Abgänge war unschön, aber damit muss man klarkommen.

Haben Sie damals nicht einen Monopolisten geschaffen?
Nein, wir stehen in fast allen Geschäfts­bereichen voll im Wettbewerb, und die Banken haben die Wahl des Anbieters. Sie müssen zum Beispiel nicht zu uns an die Börse, sie können zu einer Multilateral Trading Facility. Darum ist unser Marktanteil auch von 92 auf unter 70% zurückgegangen. Das Geiche gilt fürs Post-Trading. In der Schweiz sind wir der grösste Anbieter, haben aber kein Monopol.

Eine wirkliche Entwicklung der SIX fand seit der Fusion aber nicht statt.
Wir haben unsere einzelnen Geschäfts­bereiche klar definiert und strategische wichtige Schritte eingeleitet, die das Unternehmen auf den Wachstumspfad gebracht haben. Zusätzlich haben wir mit dem Verkauf von Stoxx und Eurex unser Portfolio bereinigt. Beim Joint Venture Scoach haben wir den für uns wertvollen Teil zurückgekauft und eingebunden.

Wo flossen die Erlöse hin?
Wir haben vor allem in den Zahlungsverkehr investiert. Als wir SIX gründeten, war die Börse erlösseitig klar dominant. Inzwischen sind die Verhältnisse ausgeglichener, die Division Payment Services ist grösster Geschäftsbereich geworden. Mit dem Kauf und der Integration der grössten österreichischen und Luxemburger Zahlungsdienstleister haben wir unsere internationale Präsenz ausgebaut. Zum andern haben wir den Finanzinformationsbereich neu aufgebaut, nachdem vor gut vier Jahren ein IT-Projekt mit einem Abschreiber von 30 Mio. Fr. gescheitert ist.

Die ganz grossen Deals haben Sie aber nicht gemacht, wobei Sie für 1 Mrd. Fr. auf Einkaufstour hätten gehen können.
Dieser Druck wurde immer von aussen aufgesetzt. Zum Beispiel wollten wir nie die Euronext übernehmen, das haben aber alle geschrieben. Es gab nichts, was wir jemals unbedingt gewollt, aber nicht bekommen haben.

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