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07:03 Uhr - 20.04.2018

«Wir sitzen auf einem Pulverfass»

Edward Altman, Finanzprofessor an der Stern School of Business in New York, äussert sich besorgt über die weltweit stark gestiegene Verschuldung.

Manche mögen Filme, andere frönen der Musik. Einer wesentlich exotischeren Leidenschaft geht Edward Altman nach. «Ich liebe Konkurse!», sagt der 76-Jährige begeistert – und man ist geneigt, ihm vorbehaltlos zu glauben. Der Grund: Jede neue Insolvenz versorgt Altman mit weiteren Daten zur Verbesserung seiner Prognosemodelle. Zudem hat er sich zur Gewohnheit gemacht, mit Ehefrau Elaine jeden Bankrott mit einer guten Flasche Rotwein zu feiern.

FuW hat sich am Rande einer von der CFA Society Switzerland organisierten Präsentation mit dem Finance-Professor und Schöpfer des Altman Z Score getroffen.

Herr Altman, die Verschuldung hat langjährige Höchst erreicht. Das weckt ungute Erinnerungen an 2007, den Vorabend der Finanzkrise. Worin erkennen Sie Parallelen zu damals, worin sehen Sie Unterschiede?
Eine Parallele ist die hohe Liquidität: Es ist viel Kapital für Investments in den Aktienmarkt vorhanden sowie in alles, was eine Überrendite zu Staatsanleihen bietet. Auch scheinen Anleger – zumindest bis vor kurzem – die Risiken vergessen zu haben. 2007 war ich ausserdem besorgt, dass Gesellschaften, deren operativer Gewinn die Zinskosten nicht deckt, weiterhin günstiges Kapital erhalten. Das ist auch jetzt wieder der Fall.

Gibt es Faktoren, die solider aussehen?
Die Wild-West-Zeiten der strukturierten Finanzinstrumente sind vorbei. Zudem notieren die Zinsen auf einem deutlich tieferen Niveau. Das macht es den Unternehmen leichter, die Schulden zu bedienen. Ein wichtiges Element sind auch die hypothekenbesicherten Wertpapiere, die 2007 als Auslöser der Krise fungierten. Die Hypothekenindustrie wirkt weniger aufgeblasen als damals.

Was sagen Sie zum Verschuldungsgrad?
Der Schuldenberg ist wesentlich grösser als 2007 – und das auf allen Ebenen. Besonders deutlich wird dies bei Unternehmen ausserhalb des Finanzsektors und bei den Staatshaushalten. Nicht ganz so krass – aber dennoch Anlass zur Sorge – ist die Lage bei Privathaushalten und Finanzunternehmen. Das Verhältnis zwischen Gesamtverschuldung und globaler Wirtschaftsleistung notiert klar höher als 2007.

Was bedeutet das für die Märkte?
Wir befinden uns in unbekannten Gewässern. Zwar ist es einfach festzustellen, dass die globale Verschuldung stark zugenommen hat. Deutlich schwieriger ist jedoch abzuschätzen, wie gefährlich dieser Zustand tatsächlich ist – selbst für jemanden wie mich, der sich ständig mit der Thematik beschäftigt. Bedeutet die hohe Verschuldung, dass wir uns alle in Sicherheit bringen müssen? Ein Teil der Unsicherheit ist darauf zurückzuführen, dass es bislang noch nicht zu einem Zinsanstieg gekommen ist, der die Schuldenbedienung erschwert hätte. Eines ist allerdings klar: Wir sitzen auf einem Pulverfass. Kommen geopolitische Probleme dazu, ist das ein Rezept für eine globale Finanzkrise.

Was sagen die Z Scores aktuell über die finanzielle Gesundheit der Konzerne aus?
Auf den ersten Blick wirken die Unternehmen solider als 2007, etwa wenn man den hohen Bargeldbestand betrachtet. Doch die durchschnittlichen Z Scores bewegen sich ungefähr in den gleichen Sphären wie damals – wenn nicht sogar ein bisschen tiefer. Das ist ein beunruhigendes Zeichen. Zudem notieren die Aktienmärkte auf sehr stattlichem Niveau. Ohne den Einfluss dieses erhöhten Marktwerts lägen die Z Scores noch niedriger.

Was ist der Grund für die tiefen Z Scores?
Der Grund sind die gewaltigen Schulden, die in den Unternehmensbilanzen aufgebaut wurden. Interessanterweise scheint dies die Kapitalmärkte aber immer noch nicht zu beunruhigen.

Was passiert, wenn die Zinsen wieder zu klettern beginnen?
Alles hängt von den Wachstumsraten ab – also der Entwicklung von Umsatz, Gewinn und Cashflow bei den Unternehmen sowie des BIP auf Länderebene: Kommt es bei steigenden Zinsen zu einer Verlangsamung oder gar einem Wachstumsstopp, wird das Pulverfass explodieren. Wegen der deutlich höheren Verschuldung fiele der Abschwung an den Kreditmärkten wohl schärfer aus als 2007. Immerhin gäbe es zumindest keine negative Folgewirkung vom Immobilienmarkt.

Welche Sektoren sehen verwundbar aus? Was halten Sie etwa von den Energiekonzernen, die öfters für Turbulenzen sorgen?
Die Ölnotierungen haben sich deutlich von ihren Tiefst 2016 erholt. Deshalb hat sich nicht nur die Ausfallwahrscheinlichkeit verringert, sondern auch die Rückgewinnungsquote erhöht. Verglichen mit früheren Jahren wirkt der Energiesektor also weniger problematisch. Dennoch haben wir hier in letzter Zeit eine signifikante Anzahl an Konkursen gesehen. Das hat mich wirklich überrascht.

Welche anderen Branchen sind exponiert?
Ein Bereich, der mich beunruhigt, ist der Gesundheitssektor, primär weil er dem Risiko staatlicher Beitragskürzungen ausgesetzt ist. Hier wird es zu einer Bereinigung kommen. Auch die Rundfunk- und Verlagsbranche befindet sich unter Druck. Ebenfalls gefährdet scheint der Detailhandel. Er war allerdings schon immer anfällig – selbst ohne die vom E-Commerce ausgelösten Verwerfungen.

Gibt es Sektoren, die positiv überraschen?
Vor nicht allzu langer Zeit wurden Luftfahrtgesellschaften als riskant angeschaut. Inzwischen scheint der Sektor jedoch den Turnaround geschafft zu haben. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass diverse Wettbewerber in Konkurs gegangen und restrukturiert aus dem Bankrott auferstanden sind. Airlines haben die Chance wahrgenommen, den Schuldenberg zu reduzieren und ihr Geschäftsmodell erfolgreich zu straffen, etwa durch eine Kürzung der angebotenen Routen und Services.

Welche Indikatoren sollte man als Investor betrachten? Was sind Warnsignale?
Ich würde raten, auf den High-Yield-Sektor zu fokussieren und darauf, wo es zu Ausfällen kommt. Üblicherweise entsteht ein Dominoeffekt: Wenn die Ausfälle deutlich steigen, belastet dies auch die Aktienmärkte – und vice versa. Zudem sollte man Fundamentaldaten wie Cashflow und das BIP-Wachstum im Auge behalten.

Was sagen Ihnen die Ausfallraten zurzeit?
In den USA befinden wir uns immer noch in einem gutmütigen Kreditzyklus, in dem die Investoren die Risiken vergessen haben. Allerdings scheint sich just in den letzten drei Wochen etwas verändert zu haben: Ende Februar notierte die kumulative Ausfallrate 2018 im High-Yield-Markt bei 0,2%. Allein im März ist sie auf 1% geklettert, was einem signifikanten Anstieg entspricht. Wenn man diesen Trend extrapoliert, liegen wir per Jahresende bei 4%. Klar, ein einziges Quartal ist ein sehr kurzer Zeitraum für eine Extrapolation. Ich sage also nicht, dass wir zwingend dieses Niveau erreichen. Falls es aber dennoch dazu kommt, wäre es das erste Mal seit Jahren, dass wir das historische Mittel von 3,8% wieder überschreiten.

Wie präsentiert sich die Lage in Europa?
Wie die USA befindet sich auch Europa in einem gutmütigen Kreditzyklus. Die letzte signifikante Häufung an Konkursen sahen wir 2009. Seitdem notieren die Ausfallraten stetig unter dem langjährigen Durchschnitt. Ein wichtiger Faktor ist die quantitative Lockerung durch die Europäische Zentralbank. Zwar kauft die EZB nur Anleihen auf, die Anlagequalität besitzen. Die Aktivität färbt allerdings auch positiv auf den High-Yield-Sektor ab.

Können Sie Konzerne nennen, bei denen Sie grosse Abweichungen zwischen dem Kreditrating und dem Z Score erkennen?
Ehrlich gesagt schaue ich mir das nicht so genau an. Ich richte meinen Fokus mehr auf allgemeine Ausfallwahrscheinlichkeiten denn auf individuelle Unternehmen.

Dennoch: Was halten Sie etwa vom Autobauer Tesla, dessen Finanzlage zurzeit für einigen Gesprächsstoff sorgt?
Zufälligerweise habe ich meinen Studenten jüngst eine entsprechende Prüfungsfrage gestellt: Die Aufgabe war, die finanzielle Gesundheit von Tesla zu beurteilen. Der Z Score des Unternehmens ist tief, suggeriert allerdings nicht, dass es bald in Konkurs geht. Der Schlüssel zu Erfolg oder Misserfolg wird sein, ob Tesla den kommunizierten Produktionsplan erfüllen kann oder nicht. Der Konzern hat bereits gewaltige Mittel für Autos eingesetzt, die er noch gar nicht gefertigt hat. Sollte er die Produktionsagenda wie erhofft umsetzen, dürfte er wohlauf bleiben – zumindest vorläufig.

Wo findet man im gegenwärtigen Tiefzinsumfeld noch attraktive Investments?
Als Bondinvestor gibt es nur zwei Welten: Himmel und Hölle. Entweder zahlt die Anleihe zur Fälligkeit aus, was sie versprochen hat, oder sie erleidet einen Ausfall. Kann man solide Unternehmen identifizieren, die eine hohe Rendite abwerfen, weil sie ungerechtfertigterweise ein tiefes Rating aufweisen, ist das ein Rezept für Erfolg. Ich nenne sie Quality Junk.

Können Sie spezifische Namen nennen?
Wie haben vor kurzem dieses Konzept ausgetestet – wobei ich leider keine konkreten Titel erwähnen kann. Als Ausgangsbasis dienten 2800 High-Yield-Anleihen, die wir auf 46 reduziert haben, die allesamt Quality-Junk-Eigenschaften besitzen. Anschliessend haben wir ein Investment simuliert und mit dem Index verglichen. Zwischen Anfang 2016 und Ende 2017 warf der Index eine Rendite von 24% ab. Die Quality-Junk-Unternehmen erzielten derweil eine Rendite von 32%.

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