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17:44 Uhr - 10.04.2015

Kurzes Aufatmen in Athen

Griechenland zahlt rechtzeitig, aber die Unsicherheit bleibt. Der Grexit ist nicht vom Tisch.

Griechenland hat diese Woche einen Zahlungsausfall knapp abwenden können und am Donnerstag einen fälligen Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) termingerecht zurückgezahlt. Die Rendite der 2019 fälligen Staatsanleihen ist daraufhin aber nur wenig von 18 auf 17,3% gefallen.

zoomDie Überweisung der 450 Mio. € ist denn auch nur ein kleiner Etappensieg Athens im Schuldenrückzahlungsmarathon. In den nächsten zehn Tagen muss Hellas Zinsen in der Höhe von knapp 290 Mio. € an private und öffentliche Gläubiger bezahlen. In den Monaten Mai und Juni sind insgesamt Zinsen und IWF-Kredite von 2,5 Mrd. $ fällig. Zudem muss das Schatzamt  T-Bills ersetzen. Die Refinanzierung dieser Geldmarktpapiere mit drei- oder sechsmonatiger Laufzeit wird als weniger problematisch betrachtet, solange die lokalen Banken die Papiere kaufen.

Drehbuch für einen «Grexit»Über die Höhe der Wahrscheinlichkeit eines Euro-Austritts Griechenlands gehen die Meinungen der Ökonomen auseinander. Weniger umstritten scheint die Frage, wie ein solcher Grexit aussehen könnte.
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Schwieriger wird es bei den Verpflichtungen gegenüber internationalen Gläubigern: Ohne neue Hilfsgelder wird Athen die nötigen Summen nicht auftreiben können. Anfang Jahr soll der griechische Staat nach Schätzung der Bank Bantleon noch über 2 Mrd. € flüssiger Mittel verfügt haben. Sie dürften inzwischen aber aufgebraucht sein. Denn die Steuereinnahmen lagen zuletzt weit unter dem Zielniveau. Ein deutliches Plus an Mehreinnahmen ist angesichts der schwachen Konjunktur nicht zu erwarten. Die jüngsten Frühindikatoren zeigen wieder nach unten: Der Industrie-Einkaufsmanagerindex (PMI) notiert seit Anfang Jahr wieder unter der kritischen Grenze von 50, der von der EU-Kommission ermittelte Index für das Wirtschaftsvertrauen ist seit November von 102,8 auf 96,8 gefallen.

Die grosse Verunsicherung, die das Verhandlungspoker zwischen der Regierung Tsipras und Brüssel ausgelöst hat, ist Gift für die Wirtschaft und spiegelt sich auch im Misstrauen der Sparer. Seit Dezember haben die Griechen insgesamt 26 Mrd. € von ihren Bankkonten abgezogen.

Lange Reformliste

Athen versucht, durch das Anzapfen von Bargeldreserven der Staatsunternehmen und eine Strafmilderung für Steuersünder schnell an Liquidität zu kommen, doch solche Notmassnahmen dürften nicht ausreichen. Griechenland ist deshalb auf die Auszahlung der letzten Kredittranche des Hilfsprogramms aus dem Jahr 2012 angewiesen.

Lindern könnte Hellas’ Finanznot auch die Rückerstattung der Gewinne, die der Rettungsfonds EFSF und die Europäische Zentralbank (EZB) mit den griechischen Anleihen erzielt haben. Das sind nach Berechnung von Nomura immerhin fast 3,7 Mrd. € und somit genug, um die Zahlungen bis Juni zu sichern. Über die Rückerstattung dieser Gewinne sowie über eine Teilauszahlung aus dem zweiten Hilfsprogramm von 2012 wird in zwei Wochen entschieden. Der Entscheid hängt davon ab, ob sich die europäischen Partner und die griechische Regierung auf eine Reformagenda einigen können.

Griechenland hat Ende März mit Verspätung eine Liste mit 75 Vorschlägen vorgelegt. Nun muss Brüssel entscheiden, ob die Reformagenda die Anforderung des Hilfsprogramms erfüllt.

Kritische Phase im Mai

Die grosse Frage ist, wann dem Staat das Geld ausgeht und ab wann weitere Hilfsgelder fliessen. Die Analysten von Nomura und HSBC (HSBA 611.8 1.21%) sehen die kritische Phase Anfang Mai, wenn ein weiterer IWF-Kredit um 800 Mio. € fällig wird.

Das Risiko, dass Griechenland Schulden nicht rechtzeitig bedienen kann, ist wieder gestiegen. Die UBS (UBSG 19.04 0.85%) schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür unterdessen auf über 50%. Falls Hellas gegenüber dem IWF in Verzug kommt, wäre das aber noch nicht einem richtigen Zahlungsausfall gleichzusetzen und hätte laut UBS auch nicht den Austritt Griechenlands aus der Eurozone zur Folge. Dennoch sei die Wahrscheinlichkeit eines Grexit unterdessen auf mehr als ein Fünftel gestiegen. Die Ansteckungsgefahr schätzen Experten wie auch EU-Politiker geringer ein als vor vier Jahren. Die europäischen Banken haben sich aus Griechenland zurückgezogen, und die anderen Euroländer werden als robuster wahrgenommen.

Drehbuch für einen «Grexit»Über die Höhe der Wahrscheinlichkeit eines Euro-Austritts Griechenlands gehen die Meinungen der Ökonomen auseinander. Weniger umstritten scheint die Frage, wie ein solcher Grexit aussehen könnte:

Wenn sich Brüssel und Athen nicht einigen können und Griechenland auch nach einer gewissen Fristerstreckung keine Schulden bedient, der Bankrott also perfekt ist, werden die Ratingagenturen Griechenland auf «D» herabstufen, was für Zahlungsausfall (Default) auf alle Verbindlichkeiten steht. Spätestens dann werden auch derivative Instrumente wie Kreditausfallversicherungen (Credit-Default-Swaps, CDS) ausgelöst.

Die EZB müsste wohl die Notfallkredite (ELA) an griechische Banken einstellen, was deren Ende bedeutete. Denn die Notfall-Kreditliquidität ist nur für solvente Banken vorgesehen.

«In Griechenland würde sich die Kapitalflucht zuspitzen, die bisher durch ordentliche Finanzierung der EZB oder die Notfallkredite (ELA) ausgeglichen wurde», sagt Moritz Krämer, Chefanalyst für Staatsanleihen bei der Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P). Griechenland müsste Kapitalverkehrskontrollen einführen.

Die Einführung einer neuen eigenen Währung geht nicht von einem Tag auf den anderen. Vom Design bis zum Druck muss laut Experten mit einer Dauer von Monaten gerechnet werden. «Griechenland müsste Schuldscheine an Lieferanten, Staatsangestellte und Pensionäre abgeben», sagt Krämer. «Der Euro würde noch als Wertaufbewahrungsmittel genutzt.»

Wenn die neue Währung dann in den Umlauf käme, würde ihr Wert zum Euro absacken, darin sind sich die Ökonomen einig. Capital Economics rechnet mit einer eher milden Abwertung von 20%, andere Analysten und Banken gehen von erheblich grösseren Verwerfungen aus. Die Folge davon wären wie derzeit in Russland und der Ukra­ine ein Anstieg der importierten Inflation.

Die Leidensfähigkeit der griechischen Bevölkerung würde ein weiteres Mal auf die Probe gestellt. Mit Ausschreitungen müsste gerechnet werden. Mit der Abwertung der neuen Währung stiege auch der Wert der alten Euroschulden. Die Gläubiger müssten die ausstehenden Forderungen wohl fast ganz abschreiben. Griechenland wäre danach noch lange von den Kapitalmärkten abgeschnitten.

In den Verträgen der EU ist die Möglichkeit eines Austritts aus der Währungsunion nicht vorgesehen. Dazu müsste der EU-Vertrag mit Zustimmung aller Mitgliedstaaten umgeschrieben werden. Die juristisch einfachste weg Weg aus der Eurozone wäre ein Austritt aus der EU.

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