Antoinette Hunziker-Ebneter, CEO und Gründungspartnerin des Vermögensverwalters Forma Futura Invest, spricht über den Steilpass für die Vorsorge.
Frau Hunziker, nachhaltig anlegen liegt im Trend. Was steckt dahinter, Marketing, eine Modeerscheinung, oder handelt es sich um ein neues Denken, einen grundlegenden Wandel?
Es ist kein Modetrend, sondern pure Notwendigkeit, und zwar aus ökologischer und ethischer sowie auch aus ökonomischer Sicht. Mit Freude stelle ich fest, wie immer mehr Unternehmen die Nachhaltigkeit erfolgreich in ihr Geschäftsmodell integrieren, ob Grosskonzerne wie SAP (SAP 92.21 0.13%), mittelgrosse Unternehmen wie Sonova (SOON 165.2 0.73%), Georg Fischer (FI-N 1193 -0.42%), Bucher (BUCN 357 0.07%) Industries oder auch kleinere Gesellschaften. Gleichzeitig haben sich bereits mehr als 430 Institutionen und zahlreiche Einzelpersonen mit zusammen 2600 Mrd. $ an verwalteten Vermögen öffentlich verpflichtet, ihr Geld verantwortungsbewusst und nachhaltig anzulegen und beispielsweise auf Investments in die fossile Industrie zu verzichten.
Wozu die Diskussionen? Ist weitsichtig und verantwortungsvoll, sprich nachhaltig investieren nicht schon der Inbegriff der erfolgreichen Kapitalanlage?
Bereits frühere Generationen haben nachhaltig gehandelt, wenn auch meistens intuitiv. Sie kannten ein Unternehmen, das Management, stuften es als verlässlich ein und beobachteten sein Wirken finanziell, aber auch in der Öffentlichkeit. Genau so funktioniert Nachhaltigkeitsanlage heute, nur wird systematischer analysiert und selektioniert.
Was zählt für Sie?
Es geht darum zu erfassen, wie ein Unternehmen tickt. Sind die Ziele vernünftig? Provozieren sie so grossen Druck oder so grossen Anreiz, dass die Führung für sich schaut oder sich unfair verhält gegenüber Mitarbeitenden und Kunden? Sind Leistungen und Produkte Teil eines Kreislaufs, können die Erzeugnisse repariert, umgenutzt oder nach Gebrauch rezykliert werden? Entsteht dauerhafter Mehrwert für Investoren? Wir engagieren uns dort, wo ein Investment nicht nur finanziellen Erfolg verspricht, sondern sich gleichzeitig positiv auf Gesellschaft und Umwelt auswirkt.
Was bedeutet das konkret? Ist ein Energiekonzern wie Total, der viel in die Verbesserung seines ökologischen Fussabdrucks investiert, schlecht und eine Tesla, die Elektroautos herstellt, über alle Zweifel erhaben?
Beide sind nach unserer Analyse nicht nachhaltig – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Tesla weitet die Verschuldung massiv aus und ist deshalb finanziell zu wenig gefestigt. Total (FP 45.125 -0.42%) hängt zu stark von der Ölwirtschaft ab. Erdöl verursacht Treibhausgasemissionen und ist als Energieträger irgendwann einmal erschöpft. Weil eine allgemeine Definition und ein einheitliches Analysevorgehen fehlen, wirkt alles etwas beliebig. Ich würde weltweit akzeptierte Standards sehr begrüssen. Als ehemalige Börsenchefin sähe ich es sogar als Chance für die Schweizer Börse, ein Nachhaltigkeitssegment zu schaffen und sich damit international zu profilieren. Das würde den Mut voraussetzen, im Kotierungsreglement Kriterien und ihre Bewertung zu definieren. Ist es nur Mut? Kritiker wenden ein, Nachhaltigkeitskriterien seien häufig diffus und daher schlecht messbar. Einspruch: Einerseits geben die Unternehmen selbst immer mehr überprüfbare Daten bekannt, und andererseits wird die externe Analyse laufend verbessert. Schauen wir uns nur an, in welchem Tempo die international anerkannten Rechnungslegungsstandards erweitert werden. Auch da ist die Messgenauigkeit nicht hundertprozentig, und trotzdem haben sich internationale Messlatten durchgesetzt.
Für viele Anleger sind erneuerbare Energien ein typisches Nachhaltigkeitsthema. Wie gross ist die Gefahr, dass es im Portfolio zu einem Klumpenrisiko kommt?
Erneuerbare Energien sind ein eng fokussiertes Investment und dürfen höchstens einen kleinen Teil eines Nachhaltigkeitsdepots ausmachen. Diversifikation ist auch bei der Nachhaltigkeit das A und O für den langfristigen Erfolg. So ist es ratsamer, in Energieeffizienz zu investieren statt nur in erneuerbare Energien. Alles, was den Energieverbrauch vermindert, ist attraktiv. Dazu gehören auch spezifische Zulieferer der Automobil- und der IT-Industrie wie beispielsweise Autoneum (AUTN 265.5 0.19%), AMS (AMS 68.55 -5.71%) und U-Blox (UBXN 179.8 -0.06%).
Die deutschen Autohersteller galten lange Zeit als vorbildlich, auch in den Augen von Nachhaltigkeitsexperten. Nun sind die Hersteller wegen schwerer Verfehlungen vom Podest gestossen worden. Wie kann man sich vor negativen Überraschungen schützen?
Wegen des Dieselskandals wird es Jahre dauern, bis den Unternehmen und ihren Managements wieder vertraut wird. An diesem Beispiel lässt sich aber auch festmachen, woran Anleger eine nicht nachhaltige Strategie erkennen können. Die Verfehlungen sind eine direkte Folge einer masslosen Salarierung von Topmanagern. Sie setzt kurzfristige, überrissene Ziele, was zu Fehlverhalten über alle Hierarchiestufen anstiftet. Eine gute Unternehmenskultur beginnt in der obersten Führungsetage. Das ist auch im Bankensektor so. Wer eine übermässige Eigenkapitalrendite anstrebt und verspricht, geht entweder grosse Risiken ein oder zieht der Kundschaft das Geld aus der Tasche.
Hände weg von Finanzaktien?
Banken und Versicherungen haben eine wichtige Aufgabe für die Entwicklung von Volkswirtschaft und Gesellschaft. Es hängt individuell von der Geschäftsstrategie ab, wie sie umgesetzt wird und wie sich das Management verhält, ob sich eine Anlage unter Nachhaltigkeitsaspekten aufdrängt. Investmentbanken fallen nicht darunter. Nachhaltigkeit würde ein ganz anderes Salärmodell bedingen. Im Büro Ökopapier zu verwenden, ist nett, aber nicht relevant.
Sie sind nicht nur Vermögensverwalterin, sondern auch VR-Präsidentin der Berner Kantonalbank. Was zeichnet die BEKB im Sinne der Nachhaltigkeit aus?
Wir führen die Bank mit einem Zehnjahresziel. Das Kreditvolumen nimmt nur zu, wenn zuvor die Kundeneinlagen gestiegen sind. Die Bilanz wird nicht gehebelt, nur damit sie grösser wird. Das Lohnsystem ist massvoll, und wir bekennen uns dazu, eine Ausbildungsbank für die nächste Generation zu sein. Das ist nur möglich, weil ausser dem VR und der Geschäftsleitung der Kanton als Hauptaktionär dahintersteht.
Sie gelten als Pionierin für nachhaltiges Investieren in der Schweiz. Was hat Sie aufs Thema gebracht?
Die Idee kam mir während Gesprächen mit Kundinnen und Kunden, mit Unternehmern, die ihre Gesellschaft wertebasiert führen, denen der verantwortungsbewusste Umgang mit Mitarbeitenden, mit der Öffentlichkeit, mit den Energiereserven überaus wichtig ist. Da stimmte es für mich nicht mehr, dass ihre Gelder irgendwie angelegt werden, ohne sich vorher auch über die ökologischen und die sozialen Auswirkungen Gedanken gemacht zu haben. Als Bankerin und später als Börsenchefin habe ich gesehen, wie Geld die Welt bewegt und es an uns ist, die Ressource Geld verantwortungsbewusst einzusetzen.
Was sollte jede Schweizerin, jeder Schweizer nachhaltig für die eigene Vorsorge tun, unabhängig davon, wie die Abstimmung zur Altersreform 2020 ausfällt?
Jeder und jede sollte sich bewusst sein, mit dem eigenen Geldentscheid zu einem nachhaltigen Finanzsystem beitragen zu können. Sei es in der Wahl entsprechender Anlagelösungen für das eigene Vermögen oder mit Einflussnahme bei der Pensionskasse. Wer sich bei der PK nur schon erkundigt, ob und wie das Kapital investiert wird, erzielt eine Wirkung. PK-Manager werden so motiviert, das treuhänderisch betreute Vermögen auch wirklich zukunftsfähig anzulegen. Vorsorgeeinrichtungen sind für nachhaltiges Anlegen prädestiniert. Sie verwalten grosse Vermögen mit einem langfristigen Horizont. Verantwortungsbewusstes Investieren ist sozusagen ihr Grundauftrag. Damit haben sie gewissermassen eine Vorbildrolle gegenüber ihren Versicherten.
Wie gut nehmen die Vorsorgewerke diese Aufgabe wahr, was ist verbesserungswürdig?
Der Treiber sind immer häufiger Krisen, zum Beispiel im Klimabereich, oder auch politische Risiken, wie sie sich besonders aus der Kluft zwischen Arm und Reich ergeben. Sie fördern das Bewusstsein für die Aspekte der Nachhaltigkeit. Bei der privaten Vermögensanlage ist nachhaltiges Anlegen in der Schweiz schon weit fortgeschritten. Im institutionellen Bereich, auch wenn wir hier Fortschritte machen, sind uns Skandinavien, Grossbritannien, die Niederlande oder auch Frankreich voraus. Frankreich etwa verpflichtet die Vorsorgeinstitute, ihre Versicherten zu informieren, ob und wie sie Nachhaltigkeit im Anlageprozess berücksichtigen. Eine solche Regelung würde ich auch für unser Land begrüssen. Wichtiger ist aber nochmals, dass sich jeder Versicherte bei «seiner» Pensionskasse erkundigt.
Wie stark ist die Rendite ein Treiber – oder ein Bremsklotz – für Nachhaltigkeitsanlagen? Geht mit einer besseren Welt eine tiefere Rendite einher?
Überhaupt nicht. Die ökonomische Nachhaltigkeit ist ebenso wichtig wie die ökologische und die soziale. Bei systematischer Analyse, breiter Diversifikation und guter Handelbarkeit der gewählten Titel fällt risikoadjustiert mindestens die gleiche Rendite an wie bei konventioneller Auslese. Eine Fülle von Studien liefert den Beweis dafür. Wer nachhaltig investiert, verzichtet nicht auf Rendite, im Gegenteil.
Wie informiert ist in Anlagefragen die Bevölkerung?
Leider sind die Investmentkenntnisse weit geringer, als es das hohe Ausbildungsniveau in der Schweiz erwarten liesse. Wissen und Erfahrung sind wichtig, sonst funktioniert Marktwirtschaft nicht. Leider stecken wir heute aber weltweit in vielerlei Hinsicht in einer Planwirtschaft.
Wie meinen Sie das?
Ist es nicht die grösste Planwirtschaft aller Zeiten, wenn Notenbanken offen deklariert die Zinsen künstlich niedrig halten? Natürlich mussten sie einschreiten, damit die Finanzkrise nicht noch schlimmer wird. Aber so massiv und mit unbekanntem Ausgang? Wir wissen, dass in einer Marktwirtschaft schlechte Elemente verschwinden und besseren Platz machen. Zwar brutal, aber ein Prinzip, das uns die Natur vorlebt, das dauerhaft funktioniert.
Das Tiefzinsumfeld erschwert die Geldanlage für Private und Pensionskassen. Wie nachhaltig ist es, auf dem aktuellen Preisniveau Aktien und Obligationen zu kaufen?
Es gibt nichts anderes. Gold (Gold 1294.7 0.21%)? Der Markt ist klein und intransparent. Immobilien? Aus Investorensicht ein wenig liquider Markt, der auch noch hoch bewertet ist. Es bleiben Wertpapiere von soliden Unternehmen aus stabilen Branchen. Alle Menschen brauchen Nahrung, Gesundheit, Kommunikation, Transport, Infrastruktur. Gesellschaften, die diese Grundbedürfnisse zuverlässig decken, bieten ein Werteversprechen, Aktien, aber auch Obligationen, weil sie, bis Fälligkeit gehalten, ein ausgewogenes Portfolio stabilisieren.
Wie passt es zu Ihrem Vorgehen, dass im Anlagegeschäft der Trend klar in Richtung kostengünstiger passiver Lösungen geht, die schlicht einen Index abbilden?
Die passive Geldanlage hat Vor- und Nachteile. Das Pendel wird auch wieder zum aktiven Anlegen schwenken. Ich möchte meinerseits den Investoren und besonders den Pensionskassenverantwortlichen Mut machen, sich für das verantwortungsvolle Investieren zu entscheiden und nicht die simple passive Lösung zu wählen. Selbstverständlich müssen die Kosten auch beim aktiven Anlegen kompetitiv sein.
Ist nachhaltig anlegen auch ein Stück weit eine Geschlechterfrage? Fühlen sich vor allem Frauen vom Nachhaltigkeitsthema angesprochen?
In unserer Kundschaft sind die Geschlechter je etwa hälftig vertreten. Frauen haben möglicherweise einen näheren Bezug zum Thema, weil oft sie es sind, die aktiv Kinder grossziehen. Aber auch unter den Männern gibt es immer mehr verantwortungsbewusste, die an einer gesamtheitlichen Sicht interessiert sind.
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