Salman Ahmed, Chefstratege von Lombard Odier IM, erwartet eine Entspannung im Handelskrieg. Die grössere Gefahrenquelle sei die Geldpolitik.
Herr Ahmed, das Jahr hat an den Finanzmärkten freundlich begonnen. Woher kommt der plötzliche Stimmungsumschwung nach der Panik im Dezember?
Zwei Dinge sind für den Stimmungsumschwung verantwortlich: ein anderer Ton der US-Notenbank Fed und eine weitere Entspannung im Handelsstreit zwischen China und den USA.
Was hat sich denn in der Kommunikation des Fed geändert?
Fed-Chef Jerome Powell hat gesagt, dass die Notenbank mit der nötigen Flexibilität auf die Entwicklungen reagieren werde. Hätte er das schon in der Sitzung im Dezember getan, wären die Marktteilnehmer niemals dermassen ausgeflippt. Aber damals zeichnete Powell noch ein rosiges Bild der US-Wirtschaft und ging nicht auf die Turbulenzen ein – im Kontrast zu den Investoren, die auf einmal vom Thema Rezession besessen waren. Der Markt war zu pessimistisch, das Fed gab sich zu zuversichtlich. Der Kurseinbruch war die Folge dieses Gegensatzes. Fed-Chef Powell wurde gezwungen, von seiner ursprünglichen Haltung abzurücken. Und das wiederum hat die Erholung ausgelöst.
Das heisst, weitere Leitzinserhöhungen sind vorerst vom Tisch?
Gut möglich, dass das Fed in der ersten Jahreshälfte pausiert – das hängt von den Daten ab. Ich rechne aber weiterhin mit ein bis zwei Zinsschritten nach oben in diesem Jahr. Vor wenigen Wochen lag ich mit dieser Prognose noch deutlich unter dem Marktkonsens. Jetzt ist in den Zins-Futures kein Zinsschritt mehr eingepreist.
Seit Oktober schrumpft die US-Notenbankbilanz um monatlich 50 Mrd. $. Wie geht es mit dem Bilanzrückbau weiter?
Powell hat einen Fehler gemacht, als er im Dezember sagte, die Rückführung sei auf Autopilot gestellt. Die Finanzmärkte wollen auch in dieser Frage, dass das Fed Flexibilität zeigt – sie werden die Flexibilität bekommen, wenn die Wirtschaftsdaten eine Anpassung erfordern. Wenn die Daten schwach sind, gehen die Diskussionen über die Bilanz los. Die Möglichkeit, an zwei Stellen, dem Leitzins und der Bilanz, Anpassungen vorzunehmen, macht die Situation für das Fed kompliziert. Das gibt Raum für Missverständnisse und wird dieses Jahr für Volatilität sorgen.
Wie gross ist denn die Gefahr einer Rezession in den USA in diesem Jahr?
Die Wahrscheinlichkeit hat zugenommen, liegt gemäss unseren Modellen aber immer noch unter 20%. Das US-Wirtschaftswachstum wird sich verlangsamen, aber nicht negativ werden. Diese Meinung teilen unterdessen die meisten Marktteilnehmer, nachdem sie im Dezember wegen der sturen Haltung des Fed viel zu negativ waren.
Die sehr flache und phasenweise sogar inverse Zinsstrukturkurve signalisiert aber Schlimmeres?
Die Zinskurve war in der Vergangenheit ein verlässlicher Rezessionsindikator. Wegen des Anleihenkaufprogramms und seiner Rückführung hat sie aber an Prognosewert eingebüsst. Das Fed verkürzt die Bilanz, indem es fällige Anleihen auslaufen lässt. Kurzfristige Papiere werden dann zu Cash, das heisst, der Bilanzabbau findet am kurzen Ende statt. Der Anteil langfristiger Papiere, die das Fed auf der Bilanz hält, bleibt aber hoch. Durch die Massnahmen des Fed reduziert sich die Laufzeitprämie schätzungsweise um 50 Basispunkte.
Was zeigen andere Rezessionsindikatoren?
Die sehr flache US-Zinskurve ist der einzige Indikator, der ein Warnsignal gibt, abgesehen von der Verschuldung. Doch der hohe Einsatz von Fremdkapital wird erst zum Problem, wenn die Zinsen steigen. Er wirkt dann wie ein Brandbeschleuniger.
Als zweiten zentralen Punkt für die Markterholung haben Sie eingangs die Entspannung im Handelskonflikt genannt. Was macht Sie diesbezüglich so optimistisch?
Seit Monaten stehen die Zeichen auf eine Annäherung zwischen den USA und China. Beide Seiten haben einen grossen Anreiz, den Konflikt zu entschärfen, weil jetzt immer klarer wird, dass er dem Wirtschaftswachstum schadet. China trifft das in einer heiklen Phase, denn gleichzeitig lässt das Wachstum wegen der internen Massnahmen gegen das rasante Kreditwachstum empfindlich nach. China geht es auch darum, im Konflikt wieder die Handelsbeziehungen ins Zentrum zu rücken und nicht die Frage der globalen Vormachtstellung. Denn diese macht den Investoren noch viel mehr Angst.
China wird also nachgeben und die Forderungen der Amerikaner erfüllen?
Nur teilweise und in Punkten, die relativ einfach umzusetzen sind. Zum Beispiel wird sich Peking bereiterklären, mehr US-Agrargüter wie Soja zu kaufen. Der US-Regierung würde das genügen, um gegenüber der Bevölkerung von einem Sieg im Handelskrieg zu sprechen.
Werden die letztes Jahr eingeführten Zölle in der Höhe von 10% auf chinesische Güter schon bald aufgehoben?
Das könnte durchaus passieren. Bestimmt aber werden die USA auf die geplante Zollerhöhung auf 25% verzichten.
Der Handelskrieg ist somit Geschichte?
Ich erwarte eine Entschärfung, und das wird vor allem den Anlagen der Schwellenländer helfen, die unter dem Konflikt massiv gelitten haben.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung in Europa?
Die wirtschaftliche Abkühlung ist noch etwas prononcierter. China muss als Sündenbock herhalten, aber die Exporte sind nicht der Hauptgrund der Konjunkturschwäche. Man muss anerkennen, dass die Wirtschaft in der Eurozone zuvor über Potenzial gewachsen war und eine Verlangsamung ein Stück weit normal ist.
Was bedeutet das für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank?
Bis vor kurzem ging ich davon aus, dass die EZB Ende 2019 den ersten Zinsschritt wagt. Doch dazu bräuchte es eine Stabilisierung der Konjunktur. Dafür gibt es noch keine Anzeichen. Positiv zu werten ist die Tatsache, dass die Risiken im Zusammenhang mit Italien gesunken sind.
Sie setzen wieder stärker auf Schwellenländer. Wie sind Ihre Erwartungen bezüglich der Aktienmärkte im Allgemeinen?
Es ist Zeit, wieder etwas mehr Aktien ins Portfolio zu nehmen. So schlecht, wie es die Kurse suggerieren, haben sich die Fundamentaldaten nicht entwickelt. Am attraktivsten sind Schwellenländeraktien. Auch US-Aktien sind durch die Korrektur günstiger geworden, da drängt sich kein Untergewicht mehr auf. Aber allzu wagemutig würde ich in der jetzigen Phase nicht sein. Schliesslich befinden wir uns im späten Stadium des Konjunkturzyklus, und dieses Jahr wird auch ohne Rezession wegen der schwierigen Mission der US-Notenbank sehr anspruchsvoll werden.
Mit welchem Anlagetipp heben Sie sich am ehesten von der Masse ab?
Im Umfeld wiederkehrender Volatilität mögen wir das Risiko-Ertrags-Profil von Wandelanleihen. Bei fallenden Aktienkursen werden die Verluste durch den Coupon reduziert.
Und wovon soll man die Finger lassen?
Generell raten wir von Unternehmensanleihen und Kreditpapieren mit niedriger Bonität ab. Dafür ist es zu spät. Im Spätstadium des Konjunkturzyklus schneiden Hochzinsanleihen schlecht ab. Wenn Sie heute neue Gelder anlegen müssen, dann tun Sie das bitte nicht im Bereich der High-Yield-Anleihen.
Sollten Frankenanleger dieses Jahr etwas mehr Währungsrisiken nehmen? Welche Währungen haben die besten Karten?
Wir sehen Potenzial bei den unterbewerteten Schwellenwährungen. Die vorsichtigere Fed-Politik, die nachlassende Dollarstärke und die Entspannung im Handelskrieg schaffen ein positives Umfeld. Angesichts der spätzyklischen Dynamik ist es jedoch wichtig, agil und aktiv zu bleiben, da die Marktstimmung schnell kippen kann. Die erhöhte Risikoaversion wird dann den Franken unterstützen.
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