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15:33 Uhr - 28.02.2020

«Wir setzen auf Strategien, die Volatilität reduzieren»

Adrian Schneider, CIO der Graubündner Kantonalbank, möchte weiterhin an den Aktienmärkten partizipieren, dies aber mit angezogener Handbremse.

Herr Schneider, die Börsen notieren trotz des Rückschlags von Anfang Woche auf hohem Niveau. Wie geht es an den Aktienmärkten weiter?
Wir glauben auch dieses Jahr an ein positives Anlageumfeld und halten Aktien weiterhin für attraktiv. Allerdings muss man mit Störungen von politischer Seite und erhöhter Volatilität rechnen.

Was sind Ihre Erwartungen an das Anlagejahr 2020?
Im Prinzip hat der Januar die Blaupause für das gesamte Anlagejahr geliefert. Risikoreiche Anlageklassen werden eine positive Rendite liefern, doch die politischen Risiken sind nicht zu unterschätzen. Ich denke an einen Handelskrieg 2.0 oder natürlich die Präsidentschaftswahl in den USA. Wann die Corona-Epidemie den Höhepunkt überschreiten wird und wie sie sich gesamtwirtschaftlich und in den Unternehmensergebnissen niederschlägt, ist auch noch offen. Aufseiten der Bonds ist der Raum für noch niedrigere Zinsen beschränkt. Es wird schwierig, die Performance der letzten Jahre zu wiederholen. Generell zeigt sich, dass es wichtiger für den Anlage- und den Vorsorgeerfolg ist, wie lange man im Markt investiert ist, als das Timing richtig zu treffen.

Können die Finanzmärkte auch ohne Stütze der Zentralbanken leben?
Grundsätzlich ist die Unterstützung durch die Währungshüter enorm. Auch im letzten Jahr haben sie ihren Zentralbanken-Put wieder ausgespielt. Sowohl das Fed in den USA als auch die Europäische Zentralbank haben in vorauseilendem Gehorsam gehandelt und die Geldschraube nochmals lockerer gedreht. Dies tun sie auch schon bei ersten Schwächezeichen. Im Zuge der Virusepidemie hat die People’s Bank of China die Zinsen bereits gesenkt. Die Marktteilnehmer können sich auf die geldpolitische Hilfestellung wohl nach wie vor verlassen.

Kommen die Notenbanken somit nicht mehr aus ihrem Krisenmodus raus?
Das kann man schon so sagen. Die Abhängigkeit der Finanzmärkte von den geldpolitischen Stützen ist gross. Gleichzeitig findet eine Entkopplung von den wirtschaftlichen Entwicklungen statt. Das Makroumfeld hat sich zwar stabilisiert, es rechtfertigt aber nicht die Kursentwicklungen, wie wir sie teilweise an den Märkten beobachten.

Und in welchen Anlageklassen sehen Sie in diesem Jahr noch am ehesten Potenzial für eine gute Rendite?
Unserer Meinung nach gehören Aktien unbedingt ins Portfolio. Das Umfeld spricht auch in diesem Jahr für eine gute Performance. Das Wirtschaftswachstum ist moderat, die Inflation zeigt sich eher verhalten, und die Notenbanken stehen bereit, falls Schwächezeichen am Horizont auftauchen. Selbst wenn die Bewertungen teilweise sehr hoch sind. In einem ausgewogenen Portfolio müssen auch Obligationen vertreten sein. Die Diversifikation ist wichtig. Bei den festverzinslichen Werten sehen wir jedoch eher Potenzial in den Schwellenländern, allerdings immer mit Währungsabsicherung.

Würden Sie aufgrund des Coronavirus von Finanzanlagen in Asien Abstand nehmen?
Nein, die Diversifikation ist uns im Gesamtportfolio überaus wichtig. Die Kursabschläge bieten auch interessante Einstiegsmöglichkeiten in Asien. Das gilt für Aktien, Staatsanleihen, aber insbesondere für Unternehmensanleihen. Aus strategischer Sicht gehören diese Werte in unserem Anlageuniversum unbedingt dazu.

Wie ist Ihr gemischtes Portfolio derzeit aufgebaut?
Aktien sind übergewichtet. Prinzipiell haben wir Staatsanleihen als Anlageklasse im Portfolio untergewichtet, halten als Hedge aber an einem gewissen Anteil fest.  Da wir im Bereich Obligationen sehr stark durch das Prämiendenken getrieben sind, schöpfen wir gerne im hochverzinslichen Bereich die Kreditprämie ab. Das bedeutet, sowohl Schwellenländeranleihen als auch hochverzinsliche Unternehmensobligationen spielen strategisch eine wichtige Rolle im Portfolio. Ausserdem halten wir ein Übergewicht in Gold (Gold 1615.27 -1.82%), das auch als gutes Absicherungsinstrument gilt. Dies hat sich gerade in der letzten Zeit wieder bewährt, zumal der Goldpreis nochmals deutlich gestiegen ist. Schliesslich halten wir auch ein leichtes Übergewicht in Liquidität.

Wie beurteilen Sie die Attraktivität von Unternehmensanleihen der industrialisierten Welt?
Ihr Potenzial ist langsam ausgereizt. Was uns besonders Sorgen macht, ist die stark abnehmende Kreditqualität der Titel in den globalen Bondindizes. Die Bewertung der Wertpapiere ist sehr weit fortgeschritten. Dies macht die kritische Selektion der Bonds umso wichtiger für den Anlageerfolg. Deshalb ist aus Diversifikationsgründen die Beimischung von Schwellenländeranleihen und auch von Staatsanleihen unabdingbar.

«Die SNB (SNBN 4810 -4.75%) würde wohl eher den Leitzins senken, als bei weiterer Frankenstärke zu kräftigen Deviseninterventionen zu greifen.»

Nach welchen Kriterien bauen Sie das Engagement in Aktien auf?
Auch bei den Risikopapieren setzen wir auf die Selektion nach Faktoren. Allokationsentscheide nach geografischen Regionen erachten wir als weniger sinnvoll.

Auf welche Faktoren setzen Sie dabei?
Im Rahmen der Allokation nach Faktoren finden wir derzeit Small und Mid Caps interessant. Sie haben noch Aufholpotenzial gegenüber den grosskapitalisierten Unternehmen und liefern eine interessante Prämie. Darüber hinaus setzen wir auf Strategien mit geringer Volatilität, sogenannte Min-Vol-Strategien. Da wir wie erwähnt mit höherer Volatilität in diesem Jahr rechnen, finden wir diese defensive Strategie, die anstrebt, die Kursschwankungen zu minimieren, überaus interessant. Hier geht es primär darum, die Rückschläge in einer Baisse so gering wie möglich zu halten. Dank diesem Kriterium können wir mit unserem Übergewicht in Aktien an der allgemeinen Marktentwicklung partizipieren, tun dies aber mit angezogener Handbremse.

Eine Value-Strategie, also das Aufspüren unterbewerteter Papiere, kommt für Sie als Schutz vor einer Baisse nicht in Frage?
Value-Titel hinken der allgemeinen Marktentwicklung und vor allem den Growth-Valoren hinterher. Das macht sie prinzipiell interessant, insbesondere für langfristig orientierte Investoren. Kurzfristig macht es auch Sinn, gewisse Technologieaktien – beispielsweise Google oder Facebook (FB 189.75 -3.78%) – in das Portfolio zu integrieren, besonders wenn sich die Unsicherheiten rund um die Coronavirusepidemie bald legen sollten. Sie bringen ein gewisses Momentum mit.

Die Bewertungen, insbesondere des US-Marktes, machen Ihnen keine Sorgen?
Wie teuer oder wie günstig ein Markt ist, steht und fällt mit der gewählten Methode. Wenn man im aktuellen Umfeld mit extrem tiefen Zinsen das zyklische Kurs-Gewinn-Verhältnis betrachtet, liegt es teilweise auf einem Fünfzehnjahreshoch. Stützt man sich allerdings auf die Risikoprämie ab, also die Überrendite einer Aktienanlage gegenüber Staatsanleihen, dann sind Aktien natürlich überaus interessant. Wir sind in der ungewöhnlichen Situation, dass sich sowohl das Kurs-Gewinn-Verhältnis als auch die Risikoprämien ausdehnen.

Und der Blick nach Europa: Können Sie hier Sektoren ausmachen, die aus Aktiensicht Opportunitäten bieten?
Wir finden Finanztitel interessant, auch wenn sie seit Jahresbeginn teilweise schon deutlich zugelegt haben. Die Bewertungen sind fair, und sie bieten eine attraktive Dividendenrendite. In einem Umfeld mit einer potenziell steileren Zinskurve in der mittleren Frist profitieren diese Papiere ganz besonders.

Der Franken-Euro-Kurs lief zwischenzeitlich fast Gefahr, unter 1.06 zu fallen. Wird die SNB wieder stärker am Devisenmarkt intervenieren, falls sich der Franken noch mehr aufwertet?
Da steckt die Notenbank etwas in der Zwickmühle. Die Schweiz befindet sich auf der Liste des US-Finanzministeriums der potenziellen Währungsmanipulatoren, und insofern sind der SNB etwas die Hände gebunden. Wir glauben, dass sie eher den Leitzins senken würde, auch wenn der Spielraum eingeschränkt ist. Werden die Zinsen noch weiter in den negativen Bereich gedrückt, hat dies eher ungünstige Folgen für die Wirtschaft.

Sie sind auch stark in der Vergabe von Hypotheken engagiert. Wie schätzen Sie den Schweizer Immobilienmarkt ein?
Aus Anlagesicht sind die Agios auf Immobilienfonds natürlich auf sehr hohem Niveau. Allerdings unterstützt das aktuelle Zinsumfeld dieses Niveau, und die Ausschüttungsrendite der Fonds liegt noch immer etwa 3% höher als die Durchschnittsverzinsung auf dem Obligationenmarkt. Auch hier ist die Alternativlosigkeit bei den Anlagen ein wichtiger treibender Faktor für die anhaltend hohe Nachfrage nach dieser Anlageklasse.

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