Sandro Merino, Chief Investment Officer der Basler Kantonalbank und ihrer Tochter Bank Cler, erwartet, dass der SMI bis Ende Jahr auf 10‘000 steigt.
Herr Merino, seit rund einer Woche geben die Kurse an den globalen Aktienmärkten nach. Steht nun die Trendwende bevor, oder handelt es sich lediglich um eine überfällige Korrektur?
Wegen des freundlichen konjunkturellen Umfelds erwarten wir keinen Bärenmarkt. Die Angst vor einem unerwarteten Zinsanstieg kann zwar kurzfristig eine Korrektur in der Grössenordnung von 10% auslösen. Die Wachstumsprognosen für die Unternehmensgewinne in den USA stimmen aber zuversichtlich. Sie liegen bei hohen 25%. Der Gewinnanstieg kann die höheren Zinsen somit mehr als kompensieren. Insgesamt ist der Ausblick für Aktien für die nächsten zwölf Monate trotz höherer Kursschwankungen attraktiv.
Wo wird der SMI (SMI 8919.17 0.93%) Ende 2018 stehen?
Wir erwarten, dass der Schweizer Leitindex auf rund 10‘000 steigen wird, von aktuell knapp unter 9000. Das entspricht inklusive Dividenden einer Rendite von rund 8%. Das liegt im langfristigen Durchschnitt des Schweizer Aktienmarktes.
Rechnen Sie mit einer weiteren Bewertungsexpansion, oder steigen die Aktienkurse nur noch im Rahmen der Unternehmensgewinne?
Ich erwarte keine weitere Bewertungsexpansion. Unsere Kursziele sind daher zu erreichen, ohne dass sich die Bewertung weiter aufblasen muss. Viele nutzen das gegenwärtige Tiefzinsumfeld als Entschuldigung für die hohen Bewertungen. Wir lassen das teilweise gelten, sind wegen des derzeit stolzen Niveaus aber schon deutlich vorsichtiger geworden.
Welche Segmente betrachten Sie als zu teuer?
Zyklische Valoren, Small und Mid Caps sowie Technologieaktien sind bereits sportlich bewertet. Wir raten deshalb eher zu einer defensiveren Strategie, die sich stärker auf die Blue Chips fokussiert und eine günstige Bewertung gegenüber den Wachstumschancen in den Vordergrund stellt.
Was könnte die Bewertung von Aktien sinken lassen?
Kurzfristig sehe ich vor allem eine der Konjunktur zu wenig angepasste Zinspolitik der Notenbanken als Risiko für Aktien. Über 2018 hinaus stelle ich mir die Frage, ob wir derzeit nicht gar blauäugig sind, was die finanzielle Lage der USA und auch vieler Länder in Europa anbelangt. Die Konjunktur brummt. Jetzt wäre es Zeit, aufzuräumen. Doch leider geschieht das viel zu zaghaft.
Muss sich Europa nach der Steuerreform in den USA im Wettstreit um Investitionen wärmer anziehen?
Ich bin skeptisch, ob Steuervergünstigungen in der Hochkonjunktur sinnvoll sind. Sie wirken vor allem während einer Konjunkturflaute. Ich bin zudem der Meinung, dass Europa durchaus mitziehen kann. Steuervergünstigungen sind beispielsweise auch in Deutschland oder in Italien ein Thema.
Die Konjunktur entwickelt sich gut, die Zinsen sind rekordniedrig. Wird die Inflation weltweit bald anziehen?
Die Teuerung dürfte in den nächsten Jahren in Europa und in den Vereinigten Staaten spürbar anziehen. Ich rechne mit einem Anstieg auf ein Niveau, das dem langfristigen Durchschnitt entspricht, also in etwa 2 %.
Damit einher gehen aber Interventionen der Notenbanken.
Die Notenbanken werden ihre Geldpolitik in den nächsten Jahren ohne Zweifel straffen. Es wird sich zeigen, ob die Aktienmärkte dies ohne eine Neubewertung goutieren – davor haben wir schon Respekt. Bislang handeln die Zentralbanken aber sehr vorhersehbar, wohl auch aus Angst, die Finanzmärkte zu beunruhigen.
Welches Zinsniveau würden die Aktienmärkte ertragen, ohne dass der Höhenflug gestoppt wird?
Das hängt vom Wachstum der Unternehmensgewinne ab. Treffen die gegenwärtigen Erwartungen ein, kann der Aktienmarkt auch mit Zinsen für zehnjährige US-Staatsanleihen um 3,5% gut leben. Die Leitzinsen in den Vereinigten Staaten werden bis Ende Jahr ungefähr 2% erreichen. Dennoch stehen dank der Gewinnentwicklung die Chancen gut, dass das Niveau am Aktienmarkt auch bei einer Zinswende gehalten werden kann.
Warum laufen die Aktienmärkte in den USA trotz höherer Zinsen und stolzer Bewertungen immer noch besser als diejenigen in Europa?
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Dazu zählen etwa die Fantasie im Technologiesektor, die Schwäche des Dollars zum Euro sowie die wirtschaftsfreundliche Rhetorik von US-Präsident Donald Trump. Wir sind wegen der hohen Bewertungen jedoch vorsichtig geworden, was amerikanische Titel anbelangt. Die gegenwärtige Korrektur trifft Aktien aus den USA bisher stärker als europäische Valoren. Aufgrund der Bewertungsdifferenz ist dies für uns nicht überraschend.
Welche Aktienmärkte empfehlen Sie aus geografischer Sicht?
Wir setzen auf europäische Papiere und Aktien aus Schwellenländern.
Wenn die Zinsen steigen, hat das auch Auswirkungen auf den Anleihenmarkt. Empfehlen Sie im gegenwärtigen Marktumfeld noch Obligationen?
Das derzeitige Umfeld ist tatsächlich sehr herausfordernd für die Festverzinslichen. Wenn, dann würde ich kurze Laufzeiten wählen und Bonds von Schwellenländern zur Diversifikation nutzen.
Warum steigt der Dollar nicht? Immerhin nehmen die USA bei der Normalisierung der Geldpolitik eine Vorreiterrolle ein.
Wenn man die Kaufkraftparitäten beobachtet, ist der Dollar zu schwach. Ich kann deshalb nur annehmen, dass die Anleger die fundamentalen Risiken höher gewichten. In den Vereinigten Staaten steigt die Staatsverschuldung weiterhin. Wegen der Steuersenkungen und der schwachen Aussenhandelsbilanz ist nicht abzusehen, wie sich das ändern soll. Das weckt natürlich Ängste. Wir wurden von der aktuellen Dollarschwäche indes auch überrascht.
Ist ein schwacher Dollar gut oder schlecht für die Weltkonjunktur?
Ich würde eine schwache US-Währung nicht unbedingt als vorteilhaft für die Weltwirtschaft bezeichnen. Würde sie sich rasch abwerten, käme die US-Notenbank unter Druck, die Zinsen heraufzusetzen. Das wiederum würde die amerikanische Konjunktur tangieren und sich auch auf die Weltwirtschaft auswirken. Von diesem Szenario gehe ich jedoch nicht aus.
Sehen Sie ein Risiko für die Schwellenländer, wenn der Dollar steigen würde?
Die Emerging Markets sind viel weniger anfällig für Einflüsse von aussen als noch während der Asienkrise Ende der Neunzigerjahre. Ich sehe deshalb kein allzu grosses Problem in einer Abwertung der Schwellenländerwährungen gegenüber dem Dollar.
Werden Bitcoin und andere Kryptowährungen noch lange Bestand haben?
Das ist schwierig vorherzusehen. Eine langfristige Daseinsberechtigung hätten sie beispielsweise, wenn sie von vielen Händlern als Zahlungsmittel akzeptiert würden. Würden beispielsweise grosse Online-Anbieter wie Amazon (AMZN 1442.84 3.8%) oder Alibaba (BABA 185.17 2.57%) Bitcoin nutzen, wäre das schon ein Zeichen für Nachhaltigkeit. Gegenwärtig sieht es aber sehr nach einer platzenden Spekulationsblase aus.
Gehen von Kryptowährungen konjunkturelle Risiken aus?
Das denke ich nicht. Der Wert aller Kryptowährungen beläuft sich derzeit zwar auf etwa 400 Mrd. $. Das klingt nach viel. Realwirtschaftlich ist jedoch viel weniger Geld in das System geflossen. Ein paar hundert Millionen, verteilt auf die ganze Weltbevölkerung, sind vernachlässigbar. Solange keine Kredite von Banken für Bitcoin vergeben werden, ist das Risiko für die Realwirtschaft gering.
Auf welche Aktien sollten Schweizer Anleger 2018 setzen?
Wir empfehlen unter anderem Autoneum (AUTN 297.2 1.71%). Der Automobilzulieferer ist sehr gut positioniert, um vom bevorstehenden Trend zur Elektromobilität und zu selbstfahrenden Fahrzeugen profitieren zu können. Auch in Credit Suisse (CSGN 16.82 0.48%) sehen wir Chancen. Die Grossbank verfügt über ausreichend Kapital und kann von ihrer starken Marktstellung vor allem in Asien profitieren. Credit Suisse ist zudem relativ günstig. Die aktuelle Korrektur ist eine Kaufgelegenheit. Weitere Valoren mit Potenzial sind Dormakaba (DOKA 860 1.59%), der Flughafen Zürich (FHZN 226.8 2.16%) und Basilea (BSLN 71.3 1.28%).
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