Michael Allison schliesst eine temporäre Abkühlung im Geschäftsgang nicht aus. Doch er ist überzeugt, dass der Vakuumventilspezialist auch künftig zu Lasten der Konkurrenz wächst.
Der neue CEO von VAT Group (VACN 148.1 2.92%), Michael «Mike» Allison, kennt die Halbleiterbranche in- und auswendig. Mit dieser Industrie erwirtschaftet der Marktleader in Vakuumventilen etwa zwei Drittel des Umsatzes. VAT hat seit dem Börsengang vor zwei Jahren einen unglaublich guten Lauf. Geht es in diesem Tempo weiter? «Das Geschäft könnte sich vorübergehend abkühlen», räumt der Schotte im Gespräch ein. Doch die langfristigen Aussichten des Markts für Vakuumventile blieben «fantastisch». Die Halbleiterindustrie werde in den nächsten zehn Jahren eine der attraktivsten Wachstumsmärkte überhaupt sein.
Herr Allison, VAT hat sich seit dem Börsengang vor zwei Jahren rasant entwickelt. Von aussen gesehen läuft es nahezu perfekt. Wie und wo können Sie da als neuer CEO persönliche Akzente setzen?
In meiner Karriere habe ich vor allem für amerikanisch geprägte Gesellschaften gearbeitet, mit einer Unternehmenskultur, in deren Zentrum dynamische Produktentwicklung und Wachstum standen. Das Erbe von VAT sind Vakuumventile, am Kern möchte ich nicht rütteln. Aber er lässt sich erweitern, mit Software, Kontrollinstrumenten und anderen Komponenten. So streben wir an, den Marktanteil weiter zu steigern.
Das heisst aber nicht, dass VAT mittel- oder langfristig diversifiziert?
Nur in dem Sinn, dass die Kernaktivität technisch ergänzt oder das Kerngeschäft weiter verbreitert und gestärkt wird. VAT ist globaler Marktführer im Bereich Halbleiter und Display, aber nicht im Segment Industrie, wo weniger ausgefeilte und preisgünstigere Komponenten gefragt sind.
Die Komponenten für Industriezweige wie Nahrungsmittel und Pharma sind weniger komplex. Wie kann VAT die sehr hohe operative Marge von über 30% halten?
In der Tat ist die Ebitda-Marge im Segment Industrie eher im Bereich 20 bis 25%. Wir müssen genau analysieren, in welche Bereiche wir expandieren. Mit den chinesischen Vakuumventilherstellern werden wir nicht in Konkurrenz treten. Da geht es um den niedrigsten Preis. Wir müssen mit unserem Know-how dem Kunden einen Zusatznutzen liefern, der einen höheren Preis rechtfertigt.
Der grösste Kunde von VAT, Applied Materials, sorgte vor Pfingsten mit Andeutungen, das Geschäft könnte sich vorübergehend abkühlen, für Unruhe am Markt. Am Tag darauf fielen auch die VAT-Aktien 10%.
Ich hatte etwas vorsichtigere Prognosen aus der Halbleiterindustrie erwartet. Unsere Aktionäre sind an ausserordentlich hohes Wachstum gewöhnt. Doch kein Unternehmen wächst jedes Jahr 36%, wie wir es im vergangenen Jahr taten. Wird das Branchenumfeld nun etwas moderater, ist es wichtig, darauf zu achten, die Organisation für die Zukunft zu stärken, also den Fokus auf Forschung und Entwicklung, Marktanteilsgewinne, Kostenmanagement und Personalentwicklung zu richten.
Ist VAT zu rasch gewachsen?
In Zeiten grossen Wachstums besteht die Gefahr, ungenügend qualifizierte Leute einzustellen. Die Bleibenden müssen gut angelernt werden, denn die Qualitätsanforderungen unserer Kunden sind sehr hoch. Wir haben viel zu tun, eine kleine Verschnaufpause ist kein Problem, zumal die langfristigen Aussichten für Vakuumventile fantastisch bleiben. Die Halbleiterindustrie wird in den nächsten zehn Jahren einer der attraktivsten Wachstumsmärkte überhaupt sein.
Warum?
Das jüngste Wachstum der Halbleiterindustrie war von Mikroprozessoren und Mikrospeichern sowie Displays für Mobiltelefone getrieben. Nun gibt es neue Anwendungsbereiche wie virtuelle Realität, künstliche Intelligenz und selbstfahrende Automobile. Autonomes Fahren benötigt ein digitales Datenvolumen von vier Terabytes, also viertausend Milliarden Dateneinheiten pro Auto jeden Tag. Das Auto wird zum Server. Die riesigen Datenmengen benötigen Datenzentren, die auf Speicherchips angewiesen sind. Um diese Chips herzustellen, braucht es Vakuumventile, die für die nötige Sauberkeit in der Produktion sorgen.
Das klingt plausibel. In der zweite Jahreshälfte oder 2019 könnte es trotzdem eine Volumenbaisse geben.
Es wird kurzfristige Rückschläge im langfristigen Trend nach oben geben. Aber sie werden nicht mehr so gross sein wie früher, weil es viel mehr Anwendungsgebiete für Mikroprozessoren gibt. Ausserdem hat die Branche mittlerweile stark konsolidiert. Mitte der Achtzigerjahre gab es dreissig Unternehmen, die Speicherchips für Computer herstellten, unter anderem Siemens (SIE 114.1 0.85%) in Deutschland. Heute gibt es noch vier, keines mehr aus Europa. Diese vier Grossen achten darauf, den Markt nicht mit Überkapazität aus dem Lot zu bringen.
Am Jahresziel eines Umsatzwachstums von 15 bis 20% und einer steigenden Ebitda-Marge halten Sie fest?
Ja. Sollte ein Umsatzwachstum von 15 bis 20% im Markt als Abschwächung wahrgenommen werden, dann bin ich ziemlich happy. Ich habe früher Umsatzverluste von 40% erlebt. Unsere grossen Kunden sind sehr zuversichtlich für die Zukunft, auch wenn sich einige darauf einstellen, dass das dritte und vierte Quartal schwächer werden könnten. Wie viel Intel (INTC 56.66 -0.3%) und Samsung (SMSN 1188 -0.59%) in neue Chipanlagen investieren, kann ich nicht beeinflussen. Aber ich mache mir Gedanken, wie wir auf eine vorübergehende Marktabkühlung reagieren und gestärkt daraus hervorkommen.
Und wie bereiten Sie die Organisation für ein Zwischentief vor?
Wir arbeiten mit einem Puffer von 20% Temporärarbeitern. Zudem haben wir zwei Drittel der Herstellkapazität an Zulieferbetriebe ausgelagert. Beides gibt uns viel Flexibilität und einen hohen Anteil an variablen Kosten. Sogar wenn die Aufträge im unwahrscheinlichen Fall 30% sänken, strebt VAT noch eine Ebitda-Marge von mehr als 20% an.
Wie lässt sich von aussen beurteilen, wann ein Rückschlag droht?
Man muss die Markttrends verfolgen, die Kunden unserer Kunden usw. Unsere Grosskunden wie Applied Materials, Tokyo Electron und Lam liefern Intel und Samsung Anlagen für riesige Halbleiterfabriken, die 10 und mehr Mrd. $ kosten. Die geplante Anzahl Fabriken liefert eine Indikation für das Momentum im Markt. Zudem schauen wir uns Prognosen von Marktforschungsinstituten wie VLSI und Gardner und Reports von Marktkennern an.
Die Marktforschung sagte 2017 ein Wachstum von 10% voraus – schliesslich waren es mehr als 20%. Und VAT wuchs 36%. Was halten Sie von der diesjährigen Marktprognose von plus 10%?
Es könnte in der Tat eine kleine Wachstumsabschwächung geben. Aber wie gesagt, wir haben unsere Jahresprognose nicht geändert.
Und wie wird 2019?
Es ist noch zu früh, eine verlässliche Aussage zu formulieren. Vermutlich wird es ein eher komplexes Jahr. Es hängt stark davon ab, ob die vielen geplanten Grossprojekte noch gegen Ende 2018 oder erst im Startquartal 2019 ausgeführt werden.
Läuft der beträchtliche Kapazitätsausbau am Standort Malaysia nach Plan?
Ja. Die Fabrik ist nach den neusten Grundsätzen eines effizienten Produktionsflusses gebaut. Bis sie die Produktivität des hiesigen Standorts in Haag erreicht, wird es noch dauern, dann läuft die Fabrik aber zu niedrigeren Kosten. Aber es geht nicht nur um Kosten. Viele Kunden möchten, dass wir zwei Fabrikationsstandorte betreiben. Auch ist es wichtig, einen Fuss in der Region Asien zu haben. Dort werden etwa 80% aller Halbleiterchips produziert. Zudem bringen Asiaten eine andere Kultur in unser Unternehmen, von der wir lernen können.
Wie schwierig ist es in einer solchen Phase rasanten Wachstums, Qualität und Verlässlichkeit der Produkte und Dienstleistungen aufrecht zu halten?
Sowohl hier im St. Galler Rheintal wie in Malaysia sind Produktionsmaschinen und Herstellprozesse identisch. Bislang haben wir keinerlei Hinweise darauf, dass die Qualität in Malaysia schlechter ist. Alle wichtigen Kunden haben auch unseren Standort in Asien mit ihren strengen Qualitätsanforderungen geprüft.
Sie erwähnten den hohen Konzentrationsgrad im Halbleitergeschäft. Das trifft auch auf die Nische der Vakuumventile zu. VAT hat 2017 den Marktanteil von 57 auf 64% gesteigert. Lockt die hohe Rentabilität früher oder später nicht neue Konkurrenten an?
Sie können davon träumen (lacht). Aber wir träumen rascher. Die Hürde für einen Markteintritt ist sehr hoch. VAT investiert über 30 Mio. Fr. pro Jahr in Forschung und Entwicklung. Das ist mehr als der Etat der fünf nächstgrösseren Konkurrenten zusammen. Ein grosser Teil unserer Anstrengungen richtet sich darauf, den Produktionsprozess absolut sauber zu halten. Ein Halbleiterchip misst mittlerweile nur noch zehn Nanometer, also zehn millionstel Millimeter. Ein Partikel dieser Grösse kann einen Chip zerstören. Selbst japanische Ausrüster von Halbleiteranlagen bevorzugen als Komponentenlieferanten oftmals VAT und nicht einen japanisches Unternehmen. Das ist eine Seltenheit.
Sie sprachen vom Plan, mehr Kunden ausserhalb der Halbleiter- und Solarindustrie zu gewinnen. Kann VAT den Anteil am Markt für Vakuumventile so weiter steigern?
Unser gesamter Marktanteil über alle Segmente beträgt 45%. Also lassen sich noch 55% holen. In unserer Nische ist es möglich, den Marktanteil kontinuierlich auszubauen. Die Bedingungen für hochsaubere Produktionsprozesse werden ständig komplexer, Forschung und Entwicklung immer teurer. Viele Unternehmen unserer Branche berücksichtigen nur noch einen Lieferanten von Komponenten. Die niederländische ASML zum Beispiel hat mit fotolithografischen Systemen einen Marktanteil von 95%. Zeiss Optik ist alleiniger Zulieferer.
Es ist schwierig, Schwachpunkte von VAT zu entdecken. Woher kommt die grösste Gefahr, die die Erfolgsgeschichte des Unternehmens in Frage stellen könnte?
Dass wir unser Potenzial nicht ausschöpfen, unseren Geist zu wenig offen halten, Innovationen nicht mehr vorantreiben und uns dadurch nicht mehr rasch genug entwickeln. Wir leben in einer Zeit unglaublichen Wandels. Nicht umsonst spricht man von der digitalen Revolution.
Seit 2012 hat VAT nicht mehr akquiriert. Das scheint auch nicht nötig, bei diesem Wachstum der vergangenen Jahre.
Doch, doch, externes Wachstum sollte immer auf der Agenda sein. Es können kleinere Unternehmen sein, um zum Beispiel eine technologische Lücke zu füllen. Eine grosse Transaktion würde unsere Marge verwässern. Wir haben den Investoren versprochen, die Ebitda-Marge bis 2020 von 31 auf 33% zu steigern. Abgesehen davon ist unsere Organisation wegen der kräftigen Expansion nicht bereit für Übernahmen.
VAT ist nunmehr eine echte Publikumsgesellschaft. Einziger Ankeraktionär ist Rudolf Maag mit etwa 10%. Könnte VAT ein Übernahmeobjekt werden?
Ein Interessent müsste wohl mindestens 6 Mrd. Fr. auf den Tisch legen. VAT hat keinen Cashberg angehäuft, wir schütten einen grossen Teil des freien Cashflows aus. Von den Kunden könnte uns keiner übernehmen, weil sehr rasch 60% des Geschäfts wegfallen würden. VAT ist eine Schweizer Firma, ein neutraler Player im Universum der Vakuumventile. Wir beliefern alle, seien sie Amerikaner, Koreaner, Chinesen oder Japaner. Vertrauen ist ein Kernelement unseres Geschäfts.
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