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07:29 Uhr - 07.09.2017

«Die Reformvorlage setzt Anreize, länger als bis 65 Jahre zu arbeiten»

Martin Eling, Professor Uni St. Gallen, beurteilt den AHV-Aufschub und die Teilrente günstig.

Über die umstrittenen Teile der Abstimmung zur Altersvorsorge 2020 ist schon viel gesagt worden – besonders zur Angleichung des Rentenalters von Frau und Mann, zur Umwandlungssatzsenkung und zum AHV-Zustupf von 70 Fr. monatlich. Martin Eling, Professor an der Universität St. Gallen, leuchtet einige weitere Aspekte der Reform aus.

Herr Eling, wie nachteilig an der Reformvorlage ist, dass die in sachlicher Betrachtung längst angebrachte allgemeine Erhöhung des Rentenalters – anders als in vielen weiteren europäischen Ländern – weiterhin ausbleibt?

Bis anhin konnte man in der Schweiz mit der Weiterführung bezahlter Arbeit und der Zahlung weiterer AHV-Beiträge nach Alter 65 keine höhere Rente generieren. Die Reformvorlage setzt nun finanzielle Anreize, länger als bis 65 Jahre arbeitstätig zu sein. Das ist gut so, denn wir müssen schauen, dass wir die Leute länger im Arbeitsmarkt halten.

Wie würden sich denn die Anreize ändern, dass die Menschen freiwillig länger im Erwerbsleben aktiv bleiben?
Neu würden die nach dem Referenzalter bis Alter 70 bezahlten AHV-Beiträge in der späteren Rente berücksichtigt. So würde mit bezahlter Arbeit im Alter und dem Aufschub des Rentenbeginns eine höhere Rente entstehen. Dass der bisherige Freibetrag für Über-65-Jährige wegfällt und folglich ab dem ersten Franken Verdienst die volle AHV-Beitragspflicht gelten soll, wirkt zwar für die Längerbeschäftigung kontraproduktiv. Dennoch überwiegen die positiven Aspekte.

Andererseits soll, wer will, noch früher als bisher AHV-Rente beziehen können. Welchen Effekt erwarten Sie sich davon?
Das Element der Flexibilisierung ist ein Pluspunkt der vorliegenden Reform. Die Menschen können den Pensionierungszeitpunkt flexibler nach eigenen Bedürfnissen festlegen. Kommt die Abstimmung durch, kann die AHV ein Jahr früher als heute bereits ab Alter 62 bezogen werden. Ich erwarte keine negativen Arbeitsmarkteffekte, sondern eher leicht positive.

Neu würde in der AHV auch ein Teilrentenvorbezug möglich, wie auch ein teilweiser Aufschub des Rentenbeginns bis zum Alter 70.
Das eröffnet einen Weg, gute Arbeitskräfte länger zu binden. Viele Arbeitnehmer haben ein Interesse, nicht von 100%-Jobpensum gleich auf 0% zu reduzieren. Sie könnten einen stufenweisen Übergang zur AHV-Rente durchaus attraktiv finden. Auch für die Pensionskassenrente ist eine parallele Entwicklung möglich, wenn das Reglement so angepasst würde. Diese Flexibilisierung trifft wohl die Bedürfnisse von Angebot wie auch Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt.

Bei einem Vorbezug wird der AHV-Betrag gekürzt, bei einem Aufschub erfolgt ein Zuschlag. Was ändert sich daran?
Der Effekt soll in beiden Richtungen prozentual niedriger als bisher ausfallen, um so die längere Lebenserwartung abzubilden. Die hierzulande schon heute enorm hohe Erwerbstätigkeit im Alter und die geringe Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmender sind gewichtige Potenziale für die Schweizer Volkswirtschaft. Das sollten wir weiterhin nutzen. Vor diesem Hintergrund mag das Modell eines flexiblen AHV-Renteneintritts in Teilzeit vielleicht in einigen Jahren sogar die Regel statt die Ausnahme sein. Das wäre für alle Beteiligten eine gute Sache.

In der beruflichen Vorsorge will die Altersreform 2020 neu für 35- bis 54-jährige Personen höhere lohnabhängige Beiträge vorschreiben. Wie belastend ist der vorgeschlagene Anstieg der Lohnnebenkosten?
Die neue Staffelung der minimalen BVG-Beiträge und auch der geringere Koordinationsabzug als Verbindung von erster und zweiter Vorsorgesäule würden dazu führen, dass wir in unserem Land insgesamt mehr für das Alter sparen, besonders die Personen mit kleinen Einkommen. Das ist wichtig, weil der Umwandlungssatz sinkt und deshalb ohne Gegenmassnahmen das Rentenniveau erodiert. Wegen der vorgesehenen zusätzlichen Lohnabzüge ist grundsätzlich ein negativer Arbeitsmarkteffekt denkbar. Ich bin zuversichtlich, diese Mehrbelastung würde nicht so schwer wiegen, dass es zu spürbaren nachteiligen Auswirkungen auf die Beschäftigungslage kommt.

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