Zurück zur Übersicht
13:46 Uhr - 16.03.2017

Nokia meldet sich zurück

Die Handys baut jetzt ein anderer. Doch die Finnen besetzen eine Spitzenposition beim Bau von Telecomnetzen.

Die erste Frage im Gespräch kann Kristian Pullola unmöglich in der gebotenen Kürze beantworten: Was hat sich geändert bei Nokia (NOKIA 5.025 0.82%), seit er 1999 dort angefangen hat? «Vielleicht ist es einfacher zu sagen, was sich nicht geändert hat», parliert der Finanzchef des finnischen Traditionskonzerns. Nokia sei noch immer eine Tech-Gesellschaft, die innovative Produkte auf den Markt bringe. Nur der Fokus habe sich über die Jahre geändert. Das ist eine nette Umschreibung dafür, das sich Nokia gerade neu erfunden hat – wieder einmal in der mehr als 150-jährigen Geschichte. Dieses Mal will der Konzern mit der neuen Mobilfunkgeneration wachsen – und darüber hinaus.

Angefangen hat alles 1865 mit Holz. Nach Papiererzeugnissen stieg Nokia Anfang des 20. Jahrhunderts auf Gummi um, produzierte Gummistiefel und Radmäntel. Die Wurzeln der modernen Nokia reichen ins Jahr 1967 und bis zur Fusion mit Finnish Rubber Works und Finnish Cable Works. Anfang der Achtzigerjahre stellte Nokia erste Autotelefone her, einige Jahre später die ersten halbwegs tragbaren Mobilfunktelefone. Von 1998 bis 2011 führte der Konzern im Handyweltmarkt. Das iPhone brachte Nokia zu Fall. Die Finnen hatten keine Antwort auf das erste Smartphone moderner Prägung: Zwei Jahre später übernahm Microsoft (MSFT 64.75 0.53%) das Handygeschäft von Nokia – und schrieb den Kauf kurz darauf fast komplett ab. Es blieb allein die Netzausrüstersparte bei den Finnen.

Depression, die keine war

Nokia verfiel in eine Depression, so beschreiben es Beobachter – was Pullola naturgemäss anders sieht. Die verbliebene Mannschaft habe sich auf das Ausrüstergeschäft für Telekommunikationskonzerne «laserfokussiert». Durch eine Reihe strategischer Geschäfte hat CEO Rajeev Suri die Ausrichtung weiter geschärft. Vor vier Jahren übernahm Nokia für 1,7 Mrd. € den 50%igen Anteil von Siemens (SIE 124.2 0.53%) am Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks. Vor zwei Jahren kündigten die Finnen den Kauf von Alcatel-Lucent (6687 3.5 0%) für 15,6 Mrd. € an. Sie steigen damit in die Spitzengruppe auf im Markt für die Ausrüstung von Telecomnetzen.

zoomSeit 1999 arbeitet CFO Kristian Pullola bei Nokia – vieles hat sich seither geändert. Bild: ZVGIm vergangenen Jahr stiess Withings zur Gruppe, ein Hersteller von Gesundheits-Gadgets. Es folgten mit Gainspeed und Eta Devices zwei Start-ups im Netzbereich und vor wenigen Wochen das Softwarehaus Comptel. Hinzu kommen Partnerschaften. So steht die Foxconn-Tochter HMD hinter den neuen Nokia-Handys, die für Furore sorgen. Nokia selbst erhält Lizenzzahlungen. Auch von Samsung (SMSD 673 2.46%) und Apple (AAPL 140.46 1.06%) fliesst Geld aus der Nutzung von Patenten der «alten» Nokia. Ende Dezember hatte Nokia an Barem noch 5,3 Mrd. € in der Bilanz stehen. So kurz nach dem Kauf von Alcatel-Lucent über eine weitere Milliardenakquisition zu sprechen, hält CFO Pullola jedoch für verfrüht. «Wir sind gerade erst durch eine grosse Transformation», sagt er. Im Fokus stünden wie zuletzt kleinere, ergänzende Zukäufe. «Wir haben jetzt die finanzielle Stärke, unsere Strategie in verschiedenen Bereichen zu verfolgen», erklärt der Finne.

Suche nach Neukunden

Drei Prioritäten habe das Management: Zunächst solle das Wachstum im Netzwerksegment stabilisiert werden. «Der Markt ist weiter sehr hart und wettbewerbsintensiv», sagt Pullola. Die chinesische Billigkonkurrenz macht ebenso zu schaffen wie die Kaufzurückhaltung der Telecomkunden. Als Zweites stünden die Kosten im Blick: 2018 will Nokia zusammen mit Alcatel-Lucent 1,2 Mrd. € einsparen. Als Drittes sucht Nokia Wachstum ausserhalb der angestammten Telco-Industrie. Auf dem Mobile World Congress in Barcelona hat Nokia etwa verkündet, die Rechenzentren der chinesischen Xiaomi zu vernetzen. Google (GOOGL 868.39 0.29%) und Amazon (AMZN 852.97 0.05%) gehören hier ebenso zur Zielgruppe.

Einen weiteren Wachstumsschub soll 5G bringen. Auf der Mobilfunkmesse in Barcelona wurde das Rennen eröffnet: Dort hat Nokia nach eigenen Angaben das erste kommerzielle Produkt für das neue Mobilfunknetz vorgestellt. Es soll schon in der zweiten Jahreshälfte erscheinen. Nach den Übernahmen sieht sich Nokia dafür bereit: «5G braucht ein Unternehmen im Weltmassstab.»

An der Börse schlagen sich die Nokia-Aktien mässig, auf Sicht der vergangenen zwölf Monate immerhin besser als Rivale Ericsson (ERIC B 58.625 0.9%). Interessant macht die Titel eine Dividendenrendite von 2,4%. «Unser Ziel ist es, die Ausschüttung zu steigern», sagt Pullola. Hinzu kommt ein Aktienrückkaufprogramm über 1 Mrd. €. Das Management hat im Umschwung bisher gute Arbeit geleistet. Für langfristig orientierte Anleger sollte sich eine Investition in die Finnen wieder rentieren.

Das lange Warten auf 5GKristian Pullola sieht die Netzausrüsterbranche vor einem neuen Technologiezyklus. «Wir bewegen uns von 4G zu 5G», erklärt der CFO von Nokia. Und auch Ulf Ewaldsson, CTO des Rivalen Ericsson, gibt sich optimistisch: «5G kann deutliche Zuflüsse bringen –und die Industrie beleben.» Ob das gelingt? Die nächsten Jahre werden es zeigen.

5G – die Weiterentwicklung von 4G, auch LTE (Long Term Evolution) genannt – ist nicht nur ein weiterer Mobilfunkstandard. Klar, der Neue ist schneller, verspricht weniger Verzögerungen. Das soll die Last im Mobilnetz verringern – die in den nächsten Jahren vor allem durch Smartphones gemäss Schätzung von Ericsson exponentiell steigen wird.

Der künftige Standard soll aber auch Milliarden neuer Geräte ins Netz bringen: Storen, Maschinen, Roboter, Fahrzeuge. 5G bringe die Industrie ins Internet, sagt Nokia-CFO Pullola. «Das ist anders als beim Übergang von 2G zu 3G oder dann zu 4G.» Das neue Mobilfunknetz muss daher ganz besondere Anforderungen erfüllen in Sachen Robustheit der Verbindungen oder auch was den Energieverbrauch angeht.

Die Industrie scharrt in den Startlöchern. Sie wartet auf den dringend benötigten Impuls, dass Telecomkonzerne wieder in ihre Netze investieren. Doch erst im nächsten Jahr soll das Standardisierungsverfahren der Internationalen Fernmeldeunion abgeschlossen sein. Nokia hat daher mit Verizon und Intel zur Mobilfunkmesse in Barcelona ein Pilotprojekt vorgestellt – namens 4.9G.

Zunächst werden 5G-Netze in grossen Städten und Ballungszentren verfügbar sein, nicht anders war es bei der Einführung von 4G. Doch ein grundsätzliches Problem löst sich für die Netzausrüsterindustrie wohl auch durch 5G nicht: die Zyklizität des Geschäfts. Denn irgendwann im nächsten Jahrzehnt werden die wichtigsten Flecken in den Industriestaaten mit 5G versorgt sein – und dann setzt die Durststrecke bis zum nächsten Standard ein: 6G.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.