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07:01 Uhr - 26.01.2018

«Es herrscht eine irrationale Sorglosigkeit»

Alberto Gallo, Portfoliomanager und Partner des Londoner Vermögensverwalters Algebris Investments, mahnt Anleger zu mehr Vorsicht.

Herr Gallo, die Weltwirtschaft befindet sich in einem synchronen Aufschwung und die Marktvolatiliät auf einem Rekordtief. Wird 2018 wieder so ein gutes Börsenjahr wie das vergangene?
Es herrscht derzeit eine irrationalen Sorglosigkeit. Die Märkte gehen davon aus, dass die Unternehmensgewinne weiter steigen, die Volatilität niedrig bleibt und die Zentralbanken wie bisher das Wachstum unterstützen, ohne Inflation herbeizuführen. Die Party kann noch eine Weile dauern, aber es gibt je länger, je mehr Gründe, als Anleger vorsichtig zu sein.

Welche Gründe sind das? Und was hat sich in den vergangenen Monaten verändert?
Die Zentralbanken kommen dem Punkt näher, an dem sie ihre Zinspolitik normalisieren müssen. Die Zinsen könnten dabei schneller steigen als von den Märkten erwartet. Dieses und nächstes Jahr läuft die Amtsperiode einiger Direktionsmitglieder der Europäischen Zentralbank aus. Das neue EZB-Direktorium wird gegenüber der lockeren Geldpolitik kritischer eingestellt sein als das aktuelle.

Die Teuerungsraten sind weltweit immer noch sehr niedrig. Heisst das nicht, dass die Geldpolitik noch lange locker gehalten werden kann?
Inflation war 2017 tatsächlich kaum auszumachen, aber dieses Jahr könnte sie wieder das grosse Thema werden. Es sind einige Kräfte am Werk, die den Teuerungsdruck erhöhen.

Die wären?
In den USA und in Europa zeichnet sich eine expansivere Fiskalpolitik ab: Die Steuersenkungen von US-Präsident Donald Trump wirken preistreibend, und auch in Deutschland könnten unter einer grossen Koalition die Staatsausgaben steigen. Ausserdem beginnt China, das zwischen 2012 und 2016 der Motor des globalen Inflationsrückgangs war, durch höhere Preise und einen stärkeren Yuan Inflation zu exportieren. Dazu kommen noch die steigenden Rohstoffnotierungen.

Aber warum sollte das die Anleger kümmern? Die US-Notenbank hat seit 2015  schon fünf Mal den Leitzins erhöht. Grössere Schäden gab es dabei nicht.
Diese Sorglosigkeit ist es, die mir zu denken gibt. Die Leute gehen davon aus, dass die Zentralbanken den Ausstieg aus ihrer  ultraexpansiven Geldpolitik ohne Unfall meistern. In den vergangenen zwei Jahren stiegen zwar die Aktienkurse, und die Kreditrisikoprämien für Anleihen schrumpften, selbst wenn die Zinsen anzogen. Doch diese Korrelation ist nicht stabil. Es besteht ein grosses Risiko, dass die Zentralbanken die Kontrolle über die Finanzmärkte verlieren. So wie 2013 während des sogenannten Taper Tantrum, als nur schon die Diskussion der US-Notenbank Fed, das Anleihenkaufprogramm zu reduzieren, die Märkte in Panik versetzte.

Haben die anderen Zentralbanken aus ­dieser Erfahrung nichts gelernt?
Viele Marktteilnehmer sind überzeugt, dass die Notenbanken ihre Lehren gezogen haben und heute in der Kommunikation vorsichtiger sind, sodass so ein Unfall nicht mehr passieren kann. Doch genau diese Überzeugung hat die Investoren dazu verleitet, noch mehr Risiko einzugehen.

Woran lässt sich diese Risikofreude am ­besten erkennen?
Viele Investoren verkaufen Volatiltät, zum Beispiel über Optionen. Sie wetten also darauf, dass es an den Finanzmärkten ­ruhig bleibt. Nach unseren Schätzungen stecken weltweit über 2 Bio. $ in solchen Short-Volatility-Strategien.

Was ist daran problematisch?
Man muss diese Anlagen im Gesamtkontext sehen, als Teil eines riesigen Berges von Wertschriften, der immer bedrohlicher wird. Da sind zum einen die 20 Bio. $ auf den Bilanzen der Zentralbanken. Da sind aber auch die etwa 8 Bio. $ an Anleihen mit negativer Marktrendite und dazu 5 bis 6 Bio. $ Anleihen ohne Anlagequalität, die knapp 2% rentieren. Die Short-­Volatility-Stategien sind nur die Spitze der Pyramide.

Braut sich da die nächste Finanzkrise ­zusammen?
Ich prognostiziere keine Finanzkrise, aber die Risiken steigen. Das Problem sind nicht mehr die Banken. Die Risiken haben sich an die Kapitalmärkte verschoben. Der Hebeleffekt durch den Einsatz von Fremdkapital, auch Leverage genannt, spielt auch jetzt wieder eine grosse Rolle. Nur hat sich das Ziel geändert. Vor der letzten Finanzkrise spekulierten die Investoren unter Einsatz von Leverage am Anleihenmarkt. Jetzt nehmen sie Kredit auf, um auf niedrige Volatilität zu wetten.

Wie beurteilen Sie das Sentiment, also die allgemeine Marktstimmung?
Die Anleger sind sehr bullish und werden es mit jedem Tag noch mehr. Noch vor einem Jahr beurteilten viele die Erholung in der Eurozone mit grosser Skepsis. Jetzt aber sind alle positiv, selbst für die schwächeren Volkswirtschaften wie Italien und Griechenland. Davon profitieren zwar jene Märkte, doch als Stimmungsindikator ist ein solch grosser Optimismus ein Warnsignal.

Warum?
Wenn alle bullish sind und die Kurse wie eine Gerade nach oben zeigen, kann eine Korrekur aus heiterem Himmel und ohne sichbaren Grund hereinbrechen.

Eine Korrektur ist das eine. Wie gross aber ist die Gefahr einer Rezession?
Kurzfristig mache ich mir vor allem wegen der hohen Bewertungen Sorgen und wegen des weit verbreiteten Glaubens, die Zentralbanken hätten das alles im Griff. Diese Konstellation macht eine Korrektur sehr wahrscheinlich. Eine Rezession erwarte ich aber in den nächsten zwölf ­Monaten nicht.

Was beschäftigt Sie auf längere Sicht?
Die jüngsten politischen Entscheide, wie etwa die Steuerreform der US-Regierung, erhöhen die Ungleichheit, wodurch sich die Polarisierung der Politik akzentuiert und populistische Strömungen noch stärker werden. Die Brexit-Abstimmung und die Wahl von Donald Trump waren erst der Anfang: Mit zunehmender Einkommens- und Vermögensungleichheit nehmen protektionistische und antikapitalistische Forderungen zu.

Ist die Situation in Kontinentaleuropa ­weniger schlimm?
In den USA und Grossbritannien ist die Polarisierung weiter fortgeschritten, auch weil die Ungleichheit schneller zugenommen hat. In der Eurzone hingegen haben Populisten wie die französische Politikerin Marine Le Pen bisher keine Mehrheit erlangen können. Aber das könnte sich im nächsten Abschwung ändern, vor allem wenn die EU und die Währungsunion mit den Reformen nicht vorwärtsmachen.

Nächstens finden in Italien Wahlen statt. Was wird dabei herauskommen?
Für die Finanzmärkte sind die italienischen Wahlen ohne Bedeutung. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird es zu einer fragmentierten Koalitionsregierung kommen. Dies zum Nachteil der Bevölkerung, denn es bedeutet, dass weitere Jahre ohne die dringend nötigen Strukturreformen verstreichen.

Was bedeutet das alles für Ihre Positio­nierung in den Portfolios?
Wir sind vorsichtiger als vor einem Jahr, halten also mehr Cash und gehen insgesamt weniger Kreditrisiken ein. Wir sehen bei Aktien grössere Gewinnchancen als bei Unternehmensanleihen. Insgesamt haben wir aber Risiko herausgenommen.

Wie schlimm sind steigende Zinsen für die Anleihenmärkte?
Die Normalisierung der Geldpolitik wird dem gesamten Markt für festverzinsliche Anlagen weh tun, ausser nachrangigen Bankanleihen sowie Bonds von Griechenland und Italien. Letztere benötigen etwas mehr Inflation, um ihre Schulden zu bedienen.

Welche Aktienmärkte finden Sie derzeit ­besonders attraktiv?
Die besten Opportunitäten bieten sich in den Schwellenländern. Dort hilft auch ein tendeziell weiterhin schwacher Dollar. Die interessantesten Branchen sind derzeit Energie und Finanz.

Wo bieten sich bei den Obligationen noch Kaufgelegenheiten?
Der Gesamtmarkt bietet weniger Value als noch vor einem Jahr. Europa haben wir auf Kosten der USA übergewichtet. Viele amerikanische Ramschanleihen haben wir verkauft, denn sie dürften besonders stark unter dem Ende der Geldschwemme der Notenbanken leiden. Europa hingegen ist im Kreditzyklus etwa zwei Jahre hinter den USA: Die Bilanzqualität verbessert sich, die Kreditrisikoprämien können noch weiter schrumpfen. Eine attraktive Nische sind auch griechische Staatsanleihen. Sie werden vom Markt immer noch als zu riskant eingestuft.

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