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13:33 Uhr - 20.05.2015

Vorerst kein Silicon Valley in der Schweiz

Warum sich die hiesige Fintech-Szene schwer tut, ihren Rückstand aufzuholen.

Wie Amazon (AMZN 421.71 -0.83%) den Buchhandel und Uber das Taxigewerbe, so sollen Fintech-Innovationen in den kommenden Jahren die Finanzbranche durcheinanderwirbeln. Gemeint sind neue Lösungen im Zahlungsverkehr, bei der Kreditvergabe oder in der Vermögensverwaltung – Dienstleistungen, die früher allein in der Hand der etablierten Finanzindustrie lagen. Die neuen Angebote sind digital, mobil, allzeit verfügbar und benutzerfreundlich. Doch die Rolle der Schweiz ist im weltweiten Vergleich überschaubar.

zoomSchätzungen der Beratungsgesellschaft Accenture (ACN 97.18 -0.29%) zufolge sollen im vergangenen Jahr 12 Mrd. $ an Investitionen in den Bereich Fintech geflossen sein. Der Löwenanteil ging in die USA, ein kleiner Teil gelangte nach Europa. London ist dabei wichtigster Vertreter des Kontinents. Nur gerade zirka 175 Mio. $ flossen nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz.

Zu viele sichere Jobs

Warum ist die Schweiz im Hintertreffen, obwohl der Finanzplatz eine globale Rolle spielt? «Die Banken waren sehr langsam mit Innovationen in den vergangenen Jahren», sagt Brigitte Baumann, Gründerin der Investorenplattform Go Beyond Investing. Gleichzeitig ziehen die Finanzinstitute in hohem Masse Arbeitskräfte an. «Wenn man von der Uni kommt, findet man hier relativ leicht einen sicheren Job bei einer Bank oder Versicherung», erklärt Christina Kehl, Gründerin des Fintech-Start-ups Knip. «In der Schweiz gibt es deshalb kaum Jungunternehmertum in diesem Bereich», sagt sie. Knip ist eine von rund neunzig Gesellschaften, die die kleine Schweizer Fintech-Start-up-Szene bilden. Knip ist ein Versicherungsmanager, der den Nutzern via App gratis all ihre Versicherungen verwaltet.

Der Finanzplatz kam darüber hinaus im internationalen Vergleich ziemlich glimpflich durch die Krise. In London wurden viel mehr Angestellte von den Banken entlassen. Einige dieser Personen gründeten danach eigene Unternehmen oder wurden in innovative Fintech-Start-ups gespült. Die Zerstörungen der Krise haben sich für die britische Fintech als schöpferisch herausgestellt.

Doch auch auf Kundenseite gibt es Gründe für den Aufholbedarf: «Das Vertrauen in die Banken ist immer noch sehr hoch», weiss Falk Kohlmann, Leiter des Swisscom-Thinktank e-Foresight. Kunden würden ein digitales Angebot mehrheitlich von ihrer Hausbank annehmen, wenn es vergleichbar ist zu den Angeboten von Start-ups. Die Affinität für ­digitale Lösungen sei allerdings in den angelsäch­sischen Ländern höher.

Kein Wagniskapital

Auch bei den Behörden. «In Grossbritannien arbeitet der Regulator eng mit den junge Gesellschaften zusammen», meint Brigitte Baumann. «Die Finma sollte einen ähnlichen Anstz wählen». Andreas Sprock, Gründer des Bezahldiensts milliPay, weiss um die gesetzlichen Schwierigkeiten: «Am Anfang sagten uns Spezialisten: Das, was ihr machen wollt, geht rechtlich gar nicht.» Es ging dann doch. Heute lassen sich mit milliPay mit einem Klick Kleinstbeträge beispielsweise für Zeitungsartikel oder Videos bezahlen.

Ein weiterer Stolperstein ist die Finanzierung. «Wenn es um Fintech geht, interessieren sich internationale Wagniskapitalgeber nicht für die Schweiz», sagt Michael Bornhäusser, Leiter des Bereichs Private Equity (PEHN 60 0%) bei der Privatbank Sallfort. Für das Basler (BSL 53.66 -0.37%) Geldhaus ist Bornhäusser im Silicon Valley unterwegs und kennt die Unterschiede. «Die Schweizer Start-ups müssen aggressiver in ihrer Expansion sein, vor allem international», sagt Bornhäusser. Sie bräuchten zu lange in ihrer Entwicklung, seien zu schnell zu hoch bewertet und würden bei Erfolg zu schnell wieder aus dem Geschäft aussteigen.

Die Banken blicken eher über die Grenzen der Schweiz hinaus, wenn sie Partner für die Umsetzung ihrer digitalen Strategien suchen, oder sie wenden sich an etablierte Tech-Konzerne.

Hubs und Labs

Trotzdem werden zurzeit einige Anstrengungen gemacht, um der jungen Szene Auftrieb zu verleihen. Im Juli startet SIX einen Fintech-Inkubator in Zürich, der mit dem bereits vor Ort befindlichen Impact Hub kooperiert. Und im Oktober öffnet bei Genf die Swiss Fintech Factory von Polytech Venture.

In der Szene äussern sich Insider – viele hinter vorgehaltener Hand – skeptisch. «Im Moment passiert sehr viel, aber eher unkoordiniert», bringt es Knip-Gründerin Kehl auf den Punkt. «Man muss darauf achten, dass man Infrastruktur schafft, die für internationale Investoren interessant ist», sagt ihr Start-up-Kollege Sprock. Und Michael Bornhäusser sieht den Wettlauf schon verloren: «Die Vorstellung von einem Silicon Valley in der Schweiz ist ein Wunschtraum.»

Zumindest könnte bald der grosse koordinierte Wurf stattfinden. Am 18. Juni treffen sich Banken, Finanzdienstleister, Hochschulvertreter und Behörden zum Workshop für ein neues Swiss Fintech Innovation Lab. Das gemeinsame Ziel: Zürich auf die Fintech-Weltkarte hieven.

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