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19:31 Uhr - 26.07.2018

«Ich habe unterschätzt, wie sehr mir die Hände gebunden sein werden»

Pascal Gantenbein, Interimspräsident von Raiffeisen Schweiz, erklärt im FuW-Interview, warum er seine Bewerbung um das Präsidium zurückzieht. Die Bank werde die Veröffentlichung des Gehrig-Berichts, der die Ära Vincenz aufarbeitet, prüfen.

Erst Ende Juni hatte Pascal Gantenbein seinen Hut für die Kandidatur zur Präsidentschaft von Raiffeisen Schweiz in den Ring geworfen. Jetzt zieht er zurück. Im Interview mit «Finanz und Wirtschaft» erklärt der Wirtschaftsprofessor seinen Schritt. Interimspräsident will Gantenbein bleiben und sagt, was er bis zur Delegiertenversammlung im November noch alles erreichen will.

Herr Gantenbein, Sie wollen nicht mehr Präsident von Raiffeisen Schweiz werden. Wieso?
In den vergangenen fünf Wochen wurden praktisch alle meine Entscheide im Licht eines Wahlkampfs gesehen. Dafür sind die Entscheide aber zu wichtig. Ich bin angetreten, um Aufgaben zu lösen, nicht um auf einen Sessel zu kommen. Jetzt kann ich die inhaltlichen Themen wieder mit freiem Rücken zusammen mit meinen Verwaltungsratskollegen angehen. Zudem will ich einen medialen Showdown und Machtkämpfe um das Präsidium vermeiden.

Hat Ihnen der Verwaltungsrat den Rückzug nahegelegt?
Ich habe keine Signale bekommen, mich zurückzuziehen. Im Gegenteil, ich spüre grosse Unterstützung vom Verwaltungsrat bei meiner Aufgabe.

Der Nominierungsausschuss soll sich im August auf einen einzigen Kandidaten festlegen, der dann den Delegierten im November zur Wahl vorgeschlagen wird. Wo findet dabei ein medialer Showdown statt?
Es gibt unterschiedliche Meinungen innerhalb der Raiffeisen-Gruppe, und gewisse Akteure innerhalb der Gruppe haben in den vergangenen Wochen über die Medien sehr stark Einfluss auf die Thematik genommen.

Was hat Sie in der Rolle als Präsidentschaftsbewerber daran gehindert, Ihre Aufgaben zu erfüllen?
Das Stigma der Ambition. Alles, was man vorschlägt und mit wem man redet, wird als Strippenzieherei im Hinblick auf die Präsidentschaft beurteilt. Diese Erfahrung musste ich machen. Ich habe unterschätzt, wie politisch eine Amtsführung plötzlich werden kann und wie sie kontaminiert wird. Ich will einfach nur meinen Job machen.

Sie haben erst Ende Juni Ihren Hut in den Ring geworfen. Es muss Ihnen doch klar gewesen sein, dass Sie als Bewerber ums Präsidentenamt exponierter sein werden?
Ich finde, ein Prozess hin zur Präsidentenwahl gehört nicht an die Öffentlichkeit. Aber ich wurde von den Delegierten nach meinen Absichten gefragt, und sie haben eine ehrliche Antwort verdient. Mir war bewusst, dass ich exponierter sein werde, aber ich habe unterschätzt, wie sehr mir dadurch die Hände gebunden sein werden. Das war nicht im Sinn der Gruppe.

Sie haben die Ambition aufgegeben Präsident zu werden. Treten Sie ganz aus dem Verwaltungsrat zurück?
Nein, ich trete nicht zurück. Ich bleibe Interimspräsident bis zur ausserordentlichen Delegiertenversammlung und werde auch danach als Vizepräsident die aufgegleisten Vorhaben konsequent umsetzen. Über Nacht wurde ich im März zum Interimspräsidenten. Ich halte weiter intensiv an meinen Aufgaben fest und werde meine Versprechungen erfüllen. Ich wurde von mehreren Regionalverbänden motiviert, mich um die Kandidatur zu bewerben. Das war nicht per se mein Wunsch, sondern ein Zeichen meines Engagements.

Aber verlieren Sie durch Ihren Rückzieher nicht an Autorität in der Gruppe?
Das denke ich nicht. Wichtig aber ist: Ich werde mit diesem Schritt Freiheit gewinnen, das Erneuerungsprogramm mit aller Konsequenz weiter durchzuziehen.

Sie haben in den vergangen Monaten ein Tandem mit Bankchef Patrik Gisel gebildet. Hat Gisels Ankündigung, auf Ende Jahr zurückzutreten, Ihre Entscheidung beeinflusst?
Zwischen den Entscheidungen besteht keine Verbindung. Ich hatte sicher viele Auftritte mit Patrik Gisel zusammen. Das hat den Eindruck vermittelt, dass wir ein Tandem bilden. Das hat mit einer neuen Arbeitsteilung zwischen Präsident und Vorsitzendem der Geschäftsleitung zu tun, die wir eingeführt haben. Es wäre unverantwortlich von mir gewesen, gleich zu Beginn Veränderungen in der operativen Leitung der Bank zu fordern. Stabilität hatte Priorität. Wenn man mir vorwerfen will, dass ich professionell mit Patrik Gisel zusammenarbeite, soll man das tun.

Ist Ihr Rückzieher, ähnlich wie Gisels Rücktritt, ebenfalls Ausdruck des Erneuerungsprozesses?
Nein, ich bin Teil dieses Erneuerungsprozesses. Ich kam erst 2017 in den Verwaltungsrat – als Unabhängiger. Davor war ich noch nicht einmal Kunde von Raiffeisen, hatte keine Kontakte zur Führungsebene der Bank. Ab dem ersten Amtstag habe ich diesen Erneuerungsprozess mit aufgegleist. Es ist essenziell, daran festzuhalten.

Was heisst das? Werden Sie jetzt die Berichte zur Ära Vincenz veröffentlichen, zum Beispiel den Bericht von Ex-Swiss-Life-Präsident Bruno Gehrig, der die Ära Vincenz untersucht?
Wir werden prüfen, in welcher Form der Gehrig-Bericht öffentlich gemacht werden kann. Die Kernergebnisse werden wir hoffentlich bis zur ausserordentlichen Delegiertenversammlung vorlegen können. Auf dieser Basis werden die Delegierten über die Décharge entscheiden können. Den finalen Bericht werden wir Ende Jahr abschliessen.

Die Gehrig-Untersuchung prüft alle Transaktionen während der Zeit von Vincenz, schliesst jedoch alles aus, was von der Staatsanwaltschaft untersucht wird?
Das ist richtig.

Was ist mit den anderen Berichten von Prager Dreifuss, Deloitte oder auch dem Forstmoser-Gutachen?
Diese Berichte sind Teil der Strafuntersuchung der Staatsanwaltschaft gegen Pierin Vincenz und wurden von der Behörde unter Verschluss gestellt. Ich hätte keine Probleme, diese Berichte – sofern wir damit nicht gegen das Bankgeheimnis verstossen – öffentlich zu machen.

Den Finma-Bericht dürfen nur die Bankpräsidenten und -chefs einsehen. Dabei hätte die Finma selbst kein Problem mit der Veröffentlichung.
Der Bericht basiert auf den vorher genannten Berichten, die unter Verschluss sind. Wir haben mit der Staatsanwaltschaft eine Vereinbarung gefunden, dass es den Bankführungen möglich ist, Einsicht zu nehmen und sich zu informieren.

Gibt es bis jetzt aus der Gehrig-Untersuchung irgendwelche Erkenntnisse?
Es gibt keine belastenden Erkenntnisse. Dies ist wichtig im Zusammenhang mit der Geschäftsleitung. Natürlich stellt sich die Frage bei dreizehn Jahren, die Patrik Gisel Stellvertreter von Pierin Vincenz war: Wie kann es sein, dass er nichts wusste? Ich muss aber klar festhalten: Der Finma-Enforcementbericht stellt Unschönes fest, aber nichts aufsichtsrechtlich Relevantes. Es gibt keine Fakten, die die heutige Geschäftsleitung substanziell belasten würden – nicht einmal die Kreditgeschäfte, die die Finma bemängelte. Auch die Kredite sind unter dem Druck von Pierin Vincenz vergeben worden. Natürlich kann man immer sagen: Hätte man nicht an der einen oder anderen Stelle Fragen stellen müssen?

Hätte man?
Man weiss heute sehr viel mehr als das, was eine Person vielleicht in der Vergangenheit an Informationen hatte. Im Nachhinein ist die Antwort klar: Man hätte genauer nachfragen müssen.

Geben die bisherigen und die laufenden Untersuchungen Hinweise darauf, dass Pierin Vincenz Raiffeisen finanziellen Schaden zugefügt hat?
Zum heutigen Zeitpunkt und Wissensstand lautet die Antwort: Nein, es ist Raiffeisen kein finanzieller Schaden entstanden. Der Schaden an der Reputation ist gewaltig, aber nicht zu beziffern. Dazu kommen Untersuchungskosten, die auf das Verhalten von Pierin Vincenz zurückgehen.

Was sind Ihre weiteren Ziele für die Delegiertenversammlung im November?
Wir werden einen Präsidenten wählen und den Verwaltungsrat auf mindestens neun Personen vervollständigen. Dabei geht es nicht nur um die Anzahl Köpfe, sondern dass wir qualitativ die Profile erfüllen, die wir in Absprache mit der Finma definiert haben. Auf diesen Prozess möchte ich Einfluss nehmen.

Raiffeisen hat keinen Präsidenten, der CEO hat den Rücktritt erklärt. Wer sucht nun wann einen Nachfolger für Patrik Gisel?
Die Suche ist gestartet. Wir evaluieren bereits Executive-Search-Unternehmen, die uns in diesem Prozess unterstützen. Die Personalentscheidung wird voraussichtlich der neue Verwaltungsrat fällen. Bis Ende Jahr ist die Kontinuität mit Patrik Gisel gewährleistet, was uns etwas Zeit gibt. Es stellt sich aber auch die Frage nach der Verfügbarkeit eines Nachfolgers.

Der Rücktritt von Patrik Gisel auf Ende Jahr ist nicht fix?
Doch, aber ein neuer CEO kann vielleicht erst im Februar oder im März starten. Dann bräuchte es eine Interimslösung.

Erwarten Sie bis dahin weitere Abgänge aus der Geschäftsleitung?
Nein. Es ist jedoch ein normaler Prozess, dass ein neuer CEO die Möglichkeit haben wird, sein Team neu zu bestimmen.

Die Finma hat Raiffeisen Schweiz die Auflage gemacht, die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft zu prüfen. Wann werden Sie damit fertig sein?
Dafür haben wir kein Zeitlimit. Diese Frage muss sehr sorgfältig diskutiert werden. Wir befinden uns in ersten Vorarbeiten zu diesem Thema. Wichtig ist, dass es dabei nur um Raiffeisen Schweiz geht, nicht um die Genossenschaftsbanken.

Raiffeisen ist eine systemrelevante Bank. Ist das Genossenschaftsmodell für die Zentrale nicht ungeeignet?
Aktiengesellschaften, insbesondere wenn sie kotiert sind, stehen unter einem anderen Kontrolldruck als Genossenschaften. Wir sind aktuell jedoch daran, diese Lücke innerhalb der bestehenden Genossenschaftsstruktur zu schliessen.

Wie soll das gehen?
Auf der einen Seite steht der Ausbau der Kontrolle, auf der anderen ein detaillierteres Reporting. Wir werden das Mitspracherecht der Delegierten ausbauen, insbesondere was den Verwaltungsrat angeht. Wir planen, die Wahlperiode für die Verwaltungsratsmitglieder von gegenwärtig zwei auf ein Jahr zu verkürzen. Zweitens werden wir ein neues Vergütungsmodell erarbeiten, das an der der ausserordentlichen Delegiertenversammlung besprochen werden kann.

Was, wenn die Bank durch eine Krise in Kapitalnot käme?
Eine Genossenschaftsstruktur macht es im Notfall schwieriger, Kapital zu beschaffen, als bei einer Aktiengesellschaft. Seit jüngstem besteht jedoch die Möglichkeit, Partizipationskapital zu schaffen. Das Parlament hat dem zugestimmt, was uns entgegenkommt. Wir haben jetzt zwar einen neuen Kanal, aber es stellt sich die Frage, ob in einem Notfall als Genossenschaft tatsächlich Kapital geschaffen werden kann. Dies wird Teil der Evaluation sein, die wir im Auftrag der Finma durchführen werden.

Werden die Delegierten künftig über die Vergütung der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats abstimmen können?
Wir überarbeiten die Vergütungsstruktur. Dabei geht es um die Höhe, aber auch um eine Vereinfachung des Modells. Ich denke, dass mindestens eine Konsultativabstimmng über den Vergütungsbericht eingeführt werden sollte.

Werden alle Genossenschafter Einfluss nehmen können?
Wir haben gegenwärtig eine zweistufige Struktur, wobei nicht alle Genossenschaften die gleiche Mitsprache haben. Wir haben 255 Banken, die für die Versammlung 168 Delegierte bestimmen. Diese bestimmen den Verwaltungsrat. Ich bin offen für eine Neuerung hin zum Prinzip «One Bank, One Vote». Am Ende entscheiden jedoch unsere Eigentümer, die Genossenschaftsbanken.

Öffnen sich die Delegiertenversammlungen, beispielsweise für die Medien?
Ich habe diesen Ruf bereits oft gehört. Es ist jedoch nicht eine zentrale Frage, die Raiffeisen gegenwärtig beschäftigt. Wir haben eine etwas spezielle Struktur.

Sie erachten eine Öffnung nicht für notwendig, um die Kontrolle zu erhöhen – auch nicht angesichts der Vergangenheit sowie der Systemrelevanz der Raiffeisen?
Diese Diskussion müssen wir erst intern führen. Längerfristig sehe ich eine gewisse Notwendigkeit, in diese Richtung zu gehen.

Pierin Vincenz wollte mit einer Vielzahl von Beteiligungen das Geschäft diversifizieren. Patrik Gisel schnitt den Wildwuchs zurück. Liegt das Heil Raiffeisens in Zukunft allein im Hypothekargeschäft?
Der Rückbau der Beteiligungen ist richtig. Es ist nicht notwendig, Kapitalbeteiligungen einzugehen, um mit Partnern kooperieren zu können. Gerade angesichts der Systemrelevanz von Raiffeisen kann dieses Kapital sinnvoller eingesetzt werden. Die Ressourcen sollen in eine Diversifikation fliessen, aber nur im Kerngeschäft: Wir sind traditionell eine starke Hypothekenbank und wollen nun das Anlage- und das Firmenkundengeschäft ausbauen. Ertragsdiversifikation ist unsere Antwort auf die gewachsene Abhängigkeit vom Immobilienmarkt.

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